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Aus: Ausgabe vom 31.05.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Einwanderung nach Großbritannien

Um Menschen geht es nicht

Migration instrumentalisiert: Labour und Tories wetteifern um repressivste Abschottung
Von Christian Bunke
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Wer kann besser abschotten? Für Labour liefert die Regierung um Premier Sunak und Innenministerin Braverman (M.) nicht beim Migrationsthema

Wer glaubt, dass die oppositionellen britischen Sozialdemokraten progressive Antworten auf die Thesen des sogenannten nationalen Konservatismus finden, irrt. Im Gegenteil bedient sich die Labour-Partei unter ihrem Vorsitzenden Keir Starmer zunehmend des Vokabulars der Tories. So machte Labour in der vergangenen Woche Migration zum bestimmenden Thema im britischen Unterhaus. 600.000 Menschen seien im Laufe des vergangenen Jahres nach Großbritannien eingereist, das seien viel zu viele, so Starmer und Labours innenpolitische Sprecherin Yvette Cooper in verschiedenen parlamentarischen Interventionen.

Während der Fragestunde im Unterhaus am 24. Mai sagte Starmer wörtlich, die Tories hätten »die Kontrolle über die Immigration verloren«. Das ist eine direkte Anspielung auf den zentralen konservativen Slogan während des Brexit-Referendums im Jahr 2016. Unter dem Motto »Take back control« hatten die konservativen Befürworter des EU-Austritts unter anderem versprochen, der Brexit bedeute die Eindämmung der Einwanderung nach Großbritannien. Starmer befand sich damals im Lager der Brexit-Gegner. Heute macht er sich deren zentrale politische Aussagen zu eigen. »Der Premierminister hat dreimal an Wahlkämpfen teilgenommen, in denen die Konservativen die Reduktion der Einwanderung versprochen haben. Diese Wahlversprechen hat er gebrochen«, so Starmer im Unterhaus in Richtung Premierminister Rishi Sunak.

Am 25. Mai wurde im Unterhaus über geplante Verschärfungen des Einwanderungsrechts debattiert. Unter anderem soll ausländischen Studierenden in Großbritannien der Familiennachzug erschwert werden. Labours innenpolitische Sprecherin Cooper befürwortet diese Idee. Zwar brächten ausländische Studierende dem Land viele Vorteile, doch den Familiennachzug zu beschränken sei »sinnvoll«. Die Nettozuwanderung solle zurückgehen, »und das erwarten wir auch«, so Cooper. »Schädlich« ist für sie nicht der von London betriebene rassistische Diskurs, sondern »die anhaltende Kluft zwischen der Rhetorik der Regierung und der Realität«. Der Rückstau an Asylanträgen sei auf einem Rekordhoch: »Für weniger als ein Prozent der im letzten Jahr mit kleinen Booten ankommenden Flüchtlinge wurde eine Entscheidung getroffen.« Und die Abgeordnete, die im Wahlkampf 2015 für das Design einer Tasse mit dem Slogan »Nur Labour kann die Einwanderung stoppen« verantwortlich zeichnete, hob auch in Richtung Sue-Ellen Braverman an und fragte: »Wo ist die Innenministerin, die für diese Politik zuständig ist?«

Das sind keine Betriebsunfälle. Dahinter steckt Kalkül. In Meinungsumfragen sind große Bevölkerungsmehrheiten der Auffassung, Labour habe größere Fähigkeiten bei der Einwanderungskontrolle als die regierenden Tories. Die Einschränkung des Zuzugs insbesondere für Menschen aus den ehemaligen Kolonien nach Großbritannien ist bereits seit Ende des Zweiten Weltkriegs und dem seither fortschreitenden Zusammenbruch des britischen Empire ein sozialdemokratisches Kernthema. Hartnäckig hält sich jedoch bis heute das Gerücht, Labour sei in Großbritannien traditionell eine Partei des Antirassismus. Im Gegenteil hat sie regelmäßig eine an die »weiße Arbeiterklasse« gerichtete Identitätspolitik in britische soziale Bewegungen hineingetragen. In Großbritannien lebende migrantische Lohnabhängige mussten ihre Interessen allzu oft gegen die Sozialdemokratie durchsetzen, und werden es auch weiterhin tun müssen.

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