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09.01.2022 19:30 Uhr

Freche Zuversicht

Bleiben wir bei unseren Liedern: Die Kulturbeiträge auf der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin
Von Ken Merten
Der Unwissenheit etwas entgegensetzen: Die Grenzgänger

Die Kunst der Marxistinnen und Marxisten ist die Vermittlung. Einer zornigen Masse dienen sie mit der kühlen Einsicht in die Parameter jenes Ausbeutersystems, das nur auf bestimmte Weise getreten werden kann, so dass es fällt; Vereinzelten, für wie großkopfert sie sich auch halten mögen, legen sie nahe, dass man sich nicht nur alleine und aus purer Verzweiflung wehren kann, dass es auch Aussicht auf Erfolg gibt, in einer Bewegung, die die Atomisierung aufhebt. Und Marxistinnen und Marxisten kennen das Weltgesetz, dass eine Grenze stets zwei Seiten haben muss, und sie übertragen von der alten Ordnung, in der die Seiten diese und jene Nation oder dieses und jenes Volk sein mögen, auf eine neue, höhere Art der Organisation, die da Verse hervorbringt wie diese: »Wenn sie uns zwingen, die Barbaren, / Soldat zu spielen noch einmal, / wir werden unsre Kugeln sparen / für unsern eignen General«.

Die Zeilen stammen selbst aus einer Vermittlung: Erich Weinert übertrug 1937 »Die Internationale« auf Grundlage des Liedes »L’Internationale« des französischen Kommunarden Eugène Pottier. Es ist die nichtkanonisierte Variante, gesungen wird hierzulande fast ausschließlich die Version des Gewerkschafters Emil Luckhardt von 1910. Bislang auch jeweils zum Abschluss der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Für den letzten Akt der vergangenen Samstag aus der jW-Ladengalerie live ­gestreamten 27. Ausgabe der internationalen Konferenz entschieden sich Die Grenzgänger für die Weinert-Übertragung.

Es war der Schlusspunkt nicht nur einer politischen Manifestation. Auch die kulturelle Vermittlung, so schon eingangs der Konferenz von der Balkanbeats-Band Skazka bewiesen, können Marxistinnen und Marxisten.

Eine Große dieser Kunst war Esther Bejarano. Die Überlebende des KZ Auschwitz-Birkenau und Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der BRD war im Juli letzten Jahres gestorben. Bis zuletzt war sie aktive Antifaschistin und kämpfte mit Wort und Stimme gegen das Vergessen und Vertuschen der Verbrechen der deutschen Faschisten und deren Wiedererstarken. Der Schauspieler Rolf Becker hielt die Laudatio »Gedenken ohne Wenn und Aber. Abschied und Auftrag« auf seine »große Schwester«. Er ließ sie – begleitet von Gesten die zeigten, dass eine liebe Freundin und Weggefährtin von ihm und von uns gegangen ist – durch sich sprechen: für den aktiven Kampf in Solidarität mit den streikenden Kolleginnen und Kollegen, in der antirassistischen, internationalistischen Solidaritätsbewegung und gegen die Kriegshetze gegen Russland und China. Kein Zweifel: Abschied und Auftrag.

Ohne Wenn und Aber auch das Set der 1989 in Bremen gegründeten Truppe Die Grenzgänger. Mit Gitarre, Cello, Akkordeon und Gesang leistet die Folkband Aufklärungsarbeit, ihr letztes Album »Die Lieder der Commune« steuert musikalisch gegen die verbreitete Unwissenheit um den ersten Sozialismusanlauf, den »Sozialismus in einer Stadt«, wie der Autor Dietmar Dath die Pariser Kommune von 1871 nannte. Die dargebrachten Lieder sind melancholisch und so kitschfrei optimistisch, wie es nur Arbeiterlieder können. Esther Bejarano hätte das gefallen.

Was die Härte der Zustände bedeutet, aber auch die in ihnen steckenden Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung und letztlich ihrem Umsturz transportiert der serbische Regisseur Srdan Golubovic mit seinem sozialrealistischen Spielfilm »Vater – Otac«. Die Chefredakteurin von Melodie & Rhythmus, Susann Witt-Stahl, sprach mit ihm über einen Film, in dem viel zuviel aus Furcht und Scham zu Boden geschaut wird, in dem der Protagonist lernt, den Menschen zu misstrauen und sich liebevoll oft nur noch jenen Wesen zu zeigen vermag, die ihn nicht schlagen, ihn nicht arm machen, ihm nicht die Kinder wegnehmen können: selbst vom Menschen drangsalierten Straßenhunden. Dass es in dem im Dezember angelaufenen Film zuviel an Missständen gibt, ist kein Argument gegen den Film, sondern eines gegen die Verhältnisse, die dieser zeichnet. Der Film, so Golubovic gegenüber jW im Vorfeld der Konferenz, zeige Serbien »genau so, wie es ist.« Eingeschlossen: der Kampf um den Wandel und die Rückgewinnung der Zuversicht, die Solidarität schafft.

Wie es ist, so wird es bleiben, das ist, was seit der Konterrevolution hierzulande in Ost und West vorgegaukelt wird. Dass es so bleibt, daran wird auch gearbeitet: Kulturförderung wird gestrichen, Kunstschaffende werden prekarisiert. Auch das Simon-Dach-Projekttheater Berlin (SiDat!) kann davon berichten. Für ihr Projekt »Hoelz trifft Bischofferode« musste Peter Wittig, der darin Volker Brauns »Die hellen Haufen« für die Bühne adaptierte, selbst aufkommen. Aus der eigenen Tasche herausgekommen ist eine Inszenierung, die mehrere historische Kämpfe zusammendenkt: In Volker Brauns Erzählung sind es streikende Arbeiter, die 1992 aus Wut über die Treuhand gen Berlin marschieren, ähnlich der Bauern, die Thomas Müntzer um sich scharte – ähnlich vergebens, will man sagen. Auch die von dem Linksradikalen Max Hoelz angeführten Aufstände Anfang der 1920er traten die bestehende, sicher im Sattel sitzende Ordnung nicht fest genug.

Die Inszenierung des SiDat!, in die man durch kurze Videosequenzen Einblicke gewinnen konnte, stellt die kollektive Kraft der Wütenden durch steten chorischen Sprechgesang dar. Der Aufstand mag gescheitert sein, die Verhältnisse, die Aufstände und ganze Revolutionen gebären, sind noch da. Auch die Wut ist geblieben. Singen dann zwei mit Pestdoktorenmasken »Friede, Friede den Palästen« auf der Melodie des »Liedes der Deutschen« von Hoffmann von Fallersleben – man kennt es von Länderspielen vorm Anpfiff – dann wirkt die bestehende Ordnung so gar nicht sattelfest, vielmehr kränklich und ängstlich.

In Erich Weinerts »Internationale« heißt es im Kehrreim: »Zum letzten Kampf! Ihr alle, / ihr Völker im Verein! / Die Internationale / wird alle Menschheit sein!« Bleiben wir also besser bei diesen, bei unseren Liedern. Sie vermitteln, wofür es zu kämpfen lohnt. Und gekämpft wird weiter: Die XXVIII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz findet am 14. Januar 2023 statt – in der Max-Schmeling-Halle, die dafür in Max-Hoelz-Halle umbenannt wird. »Sie nennen es Frechheit, ich revolutionäres Klassenbewusstsein«, sagte Hoelz 1921 vor dem Moabiter Sondergericht in seiner »Anklagerede gegen die bürgerliche Gesellschaft«.

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