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Blog

  • 13.10.2021 14:46 Uhr

    Kommunistischer Engel

    Ernest Kaltenegger ist Gastredner auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Werner Pirker
    Soziale Gegenwehr in die politische Sphäre zurückgeholt: Wahlpla
    Soziale Gegenwehr in die politische Sphäre zurückgeholt: Wahlplakat 2005
    Es lohne sich, darüber nachzudenken, heißt es in einem mit Familie Berger unterzeichneten Leserbrief an die Oberösterreichischen Nachrichten, »warum ausgerechnet ein Vertreter der KPÖ eine so hohe Glaubwürdigkeit besitzt und den Menschen seit Jahren tatsächlich aktiv mit Rat und Tat zur Seite steht. Sarkastisch gesagt, sieht man, daß sogar Kommunismus funktionieren kann, wenn die entsprechenden Hauptdarsteller auch danach leben«. Bei dem entsprechenden Hauptdarsteller handelt es sich um Ernest Kaltenegger, Landtagsabgeordneter der KPÖ im österreichischen Bundesland Steiermark und davor Stadtrat für Wohnungsfragen in der Landeshauptstadt Graz. Den Beweis für die Funktionsfähigkeit des Kommunismus zu erbringen, dürfte er vorläufig aber eher nicht als eine vordringliche Aufgabe betrachten.

    Soziale Gegenwehr

    Daß der Kommunismus eine wunderbare Idee sei, die sich in der Praxis aber leider nicht verwirklichen lasse, gehört zu den Standardfloskeln politischer Diskussionen. Kaltenegger dürfte diesem Lob des Kommunismus wohl kaum etwas abgewinnen können. Jedenfalls ist er erkennbar darum bemüht, das Ganze vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das hat ihm über die Steiermark hinaus eine hohe Wertschätzung in der Bevölkerung eingebracht. Nicht als kommunistischer Propagandist, sondern als jemand, in dem die soziale Idee Gestalt angenommen hat. In Umfragen zur Ermittlung des glaubwürdigsten steirischen Politikers rangiert Kaltenegger seit Jahren überlegen an der Spitze.

    Das ist um so überraschender, als die Partei, die er vertritt, außerhalb der Steiermark aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden ist. Die Bundes-KPÖ hatte sich nach dem Ende der Sowjetunion – den Worten ihres inzwischen zurückgetretenen Vorsitzenden Walter Baier zufolge – »auf eine lange Reise der Erneuerung kommunistischer Ideen, marxistischer Wissenschaft und sozialistischer Politik« begeben und ist dabei irgendwo verlorengegangen. Auf dem heimischen Feld von Klassenauseinandersetzungen ward sie seitdem nicht mehr gesehen.

    Die steirische KPÖ hat sich der neoliberalen Herausforderung gestellt und die verdrängte Einsicht in die Möglichkeiten sozialer Gegenwehr in die politische Sphäre zurückgeholt. Auf einer Konferenz über »Fortschrittliche Kommunalpolitik« in Berlin führte ihr Vorsitzender Franz Stephan Parteder aus: »Wir stellen uns die Aufgabe, durch praktische Basisarbeit möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, daß wir uns verändern und mit dem medial vermittelten Zerrbild unserer Bewegung nichts zu tun haben. Es geht uns darum, in Betrieben und Gemeinden Namen und Gesicht zu bekommen und Teile jener Bevölkerungsschicht zu erreichen, deren Interessenvertretung von den technokratischen Modernisierungsparteien faktisch aufgegeben worden ist.«

    Wohnungsfrage

    Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zu essen, bitte sehr. Drum braucht er auch noch Kleider und Schuh. Und auch ein Dach über dem Kopf. Der Menschenrechtsaktivist Ernest Kaltenegger hat die Wohnungsfrage zu seinem zentralen Anliegen gemacht. Nicht in Positionspapieren, sondern in mühseliger Kleinarbeit, die nach und nach Wirkung zu zeigen begann.

    1998 erhielt die KPÖ in Graz, Österreichs zweitgrößter Stadt, acht Prozent der Stimmen, was damals schon als sensationell galt. 2003 waren es »unfaßbare« 21 Prozent. Mit Kaltenegger war ein Politiker aufgetaucht, den es aus der Sicht der herrschenden politischen Kultur eigentlich gar nicht geben dürfte. Authentisch, geradlinig und nur seinem sozialen Gewissen verpflichtet. Zum ersten Mal erlebten die Grazer einen Wohnungsstadtrat, der sich grundsätzlich auf die Seite der Mieter stellte. Der sich wöchentlich auf Rundgänge durch die Armenviertel der Stadt begab, mit den Problemen ihrer Bewohner vertraut war und, wo es möglich war, Lösungen anbot. Er hat nie Unmögliches versprochen, aber was er versprach, hat er gehalten.

    Damit verstieß er gegen das wichtigste ungeschriebene Gesetz des bürgerlichen Politikbetriebes: Wie versprochen, so gebrochen. Was aber Kaltenegger erst zum populärsten kommunistischen Politiker seit Bestehen der KPÖ gemacht hat, war die Selbstreduzierung seines Politikergehalts. Mehr als die Hälfte seines Einkommens stellt er notleidenden Menschen zur Verfügung. Populistischen Volksbetrügern erscheint das als »populistisch«. Andere versuchen es mit der Weichzeichnung des »Kaltenegger-Phänomens«. Das Boulevardblatt Kronen Zeitung nennt den kommunistischen Politiker mit feinem Gespür für das Gerechtigkeitsempfinden seiner Leser »Engel der Armen«. Der Subtext lautet: Ein Engel kann kein Kommunist sein. Das bekommt Kaltenegger auch von seinen »revolutionären« Kritikern zu hören: Wer wie Mutter Theresa Almosen verteilt, kann kein Kommunist sein.

    Mit ihrer christlich anmutenden Losung »Geben statt nehmen« wollen die steirischen Kommunisten vor allem den Gedanken der Umverteilung nach unten popularisieren. Natürlich wissen sie, daß sich die soziale Ungerechtigkeit nicht mit karitativer Gutmenschlichkeit überwinden läßt. Sie wissen auch um den zentralen Stellenwert der Eigentumsfrage. Denn um sie dreht sich ihre Politik. Deshalb hat die KPÖ Steiermark die Verteidigung des öffentlichen Eigentums zu ihrem wichtigsten Anliegen gemacht.

    Revolutionäre Tat

    Das Kapital ist zur totalen Offensive gegen diese zivilisatorische Errungenschaft angetreten. Private Interessen streben die Herrschaft über die Befriedigung der elementarsten Lebensbedürfnisse der Bevölkerung an. Mit der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen werden die Volksvertretungen zu Statisten degradiert. Motor dieser Entwicklung ist die EU, zu der die steirischen Kommunisten in prinzipieller Gegnerschaft stehen. »Ohne kommunale Betriebe«, so Ernest Kaltenegger, »gibt es keine kommunale Selbstverwaltung«. Um das öffentliche Eigentum zu schützen, müsse es von seinen Deformationen – Ineffektivität, Verschwendung, Filz und Pfründewirtschaft – befreit werden. Kaltenegger: »Es ist unsere Aufgabe, dafür einzutreten, daß die Eigentümerfunktion demokratisiert wird, daß die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, es geht um ihren Betrieb und nicht um den Privilegienstadel der herrschenden Parteien«.

    Das mag manchem »Revolutionär« als beschränkter Kommunalismus oder auch als Reformismus erscheinen. Doch allein das Aufzeigen von Möglichkeiten sozialer und demokratischer Reformen ist in Zeiten der rasenden Gegenreform schon eine revolutionäre Tat.
  • 13.10.2021 14:45 Uhr

    »...dann schicke ich einen Brief aus dem Knast«

    Über sein Reiseverbot und wie er trotzdem auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz auftreten will, über die Autobombe am Madrider Flughafen und drohende Repression im Baskenland. Ein Gespräch mit Arnaldo Otegi
    Gerd Schumann, Donostia (San Sebastian)
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    Der Diplomphilosoph Arnaldo Otegi, geboren 1958, ist Sprecher der seit 2003 in Spanien verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna (Einheit) und führender Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung des Baskenlandes; langjähriges Mitglied des Autonomieparlaments in drei baskischen Provinzen; ehemaliges Mitglied der Untergrundorganisation ETA, politischer Flüchtling in Frankreich, nach Auslieferung durch Paris 1987 in Madrid verurteilt zu sechs Jahren Gefängnis wegen angeblicher Beteiligung an einer Entführung. Seit 2006 ist er Mitglied der Batasuna-Verhandlungskommission im baskisch-spanischen Friedensprozeß. Otegi ist eingeladen zur Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar in Berlin.

    Danke zunächst, daß Sie der Einladung von junge Welt und Cuba Si zur Rosa-Luxemburg-Konferenz folgen wollen. Allerdings gab und gibt es bekannterweise einen kleinen Haken für Ihre Teilnahme: Sie mußten beim Obersten Gerichtshof (Audienca Nacional) in Madrid eine Genehmigung für Ihre Reise nach Berlin einholen. Was macht Sie so gefährlich für den spanischen Staat?

    Offiziell laufen noch einige Verfahren gegen mich, unter anderem wegen »Beleidigung des Königs«. Sie stammen aus der Regierungszeit des erzkonservativen Premierministers José Maria Aznar – und damit aus jener Periode, in der sich George W. Bush und sein spanischer Freund Aznar aufmachten, den »internationalen Terrorismus« zu bekämpfen. Zu dem zählten sie auch uns. Gefährlich sind wir aber vor allem, weil wir ein Konzept erarbeitet haben, wie der politische Konflikt im Baskenland politisch gelöst werden kann. Und: Wir bieten eine Alternative für eine zukünftige, soziale Gesellschaft an. Bekannt ist, daß derjenige, der so etwas tut, den Herrschenden generell ein Dorn im Auge ist – und also eine Gefahr darstellt.

    Wie hat das Gericht auf Ihr Begehren reagiert, vom 12. bis 14. Januar in die deutsche Hauptstadt zu fliegen, um dort über eben jenes alternative Konzept für ein anderes Gesellschaftskonzept zu referieren?

    Mein Reiseantrag wurde von der Audienca Nacional definitiv abgelehnt. Trotzdem arbeiten wir an einer Möglichkeit, damit ich in Berlin doch noch zu Wort komme.

    Ihr Auftritt am 13. Januar steht weiter auf der Tagesordnung. Der Zeitraum zwischen 15 und 16 Uhr bleibt für Sie reserviert.

    Natürlich würde ich äußerst gern an der prestigereichen, revolutionären Rosa-Luxemburg-Konferenz teilnehmen, aber derzeit sieht es tatsächlich so aus, als wenn es nicht geht. Leider hat sich wieder einmal herausgestellt, daß das so oft proklamierte »Europa der freien Reise«, das grenzenlose Europa, nicht für alle gilt. Trotzdem werde ich mich in irgendeiner Form einbringen.

    Welches sind die Themen, die Sie behandeln wollen?

    Es geht zum einen um unser politisches Projekt. Dieses handelt im Kern von einem unabhängigen, fortschrittlichen Baskenland und ist ein Kann-Projekt. Das heißt, daß es das nur geben wird, wenn es die Leute wollen. Insofern treten wir für das vielzitierte »Europa der Urnen« ein, in dem alles abstimmbar ist. Auch die baskische Bevölkerung soll in allen Bereichen, in denen sie lebt, darüber entscheiden können, welches Projekt sie sich in Zukunft wünscht. Kurz: Es geht um das Recht auf Selbstbestimmung. Das wird ihr derzeit verwehrt. Dabei ist uns klar, daß letztlich eine linke Alternative für unser Land von linken Alternativen für Europa nicht zu trennen ist – das zweite Thema meines Referats. Mit großem Interesse beobachten wir derzeit die Entwicklungen in Lateinamerika, wo sich die linken Kräfte im Aufwind befinden. Das kann auch für uns in Europa ein Ansporn sein. Wir können davon lernen.

    Wenn sich Marxisten unterschiedlicher Richtungen auf Foren wie der Rosa-Luxemburg-Konferenz treffen, geht es sicherlich darum, gemeinsam darüber nachzudenken und eine Strategie zu planen, wie ihre Vorstellungen letztlich realisierbar sind. Also: Wie können wir den Sozialismus in Europa auf die Tagesordnung bringen?

    Wie wollen Sie Ihr Referat auf der Konferenz einbringen, wenn Sie nicht persönlich anwesend sein dürfen?

    Denkbar wäre eine Videoschaltung vom Baskenland nach Berlin. Und wenn die staatliche Repression auch dieses nicht zuläßt, dann schicke ich einen Brief aus dem Knast.

    Es scheint, als würde die staatliche Repression gegen die Linke im Baskenland nach dem fatalen Autobombenanschlag, der den Madrider Flughafen Barajas am 30. Dezember erschütterte, wieder zunehmen. Der baskisch-spanische Friedensprozeß befindet sich in der Krise und droht zu scheitern. Trotzdem meinten Sie jüngst, der sei »nicht kaputt«. Was bewegte Sie zu dieser Hoffnung?

    Der Friedensprozeß steckt zweifelsohne in einer enormen Krise. Nunmehr geht alles darum, dessen momentane strukturelle Blockierung zu durchbrechen. Wir sind davon überzeugt, daß es zu einer politischen Lösung des weiter bestehenden Konfliktes keine Alternative gibt. Jeder andere als der politische Weg ist auf Sand gebaut. Wir müssen nun in dieser komplizierten Lage versuchen, die Fahne der Verständigung hochzuhalten. Das heißt für uns, mit allen Seiten und mit allen Leuten zu besprechen, wie wir aus der Krise herauskommen. Eine politische Dialoglösung ist unverzichtbar. Es kann allerdings nicht angehen, daß immer von einer »politischen Lösung« des Konflikts gesprochen wird, aber eine der beteiligten politischen Parteien unter undemokratischen Verhältnissen arbeiten muß und von der demokratischen Arbeit ausgeschlossen wird.

    Sie meinen damit das – trotz Verhandlungen mit deren Vertretern – weiter existierende Verbot von Batasuna?

    Ja. Das paßt nicht zusammen.

    Sie selbst haben 2004 vor 15000 Menschen im Velodrom von Donostia (San Sebastian) die aufsehenerregende Initiative für eine Lösung des damals verfahrenen baskisch-spanischen Konflikts präsentiert – weg von der bewaffneten hin zur politischen Auseinandersetzung durch Initiierung eines Dialogs zwischen Madrid und ETA einerseits sowie eines parallelen Prozesses aller politischen Kräfte auf Ebene des gesamten Baskenlandes. Am 22. März 2006 begann dann auf Grundlage dieser Idee mit dem ETA-Waffenstillstand der eigentliche Friedensprozeß. Dieser scheint nun nach nur neun Monaten beendet. Und inzwischen existieren zumindest Zweifel an dessen grundsätzlicher Substanz. Wie ist er verlaufen?

    Zu Beginn des Prozesses gab es zunächst eine Phase, in der Bedingungen diskutiert wurden, wie er insgesamt ablaufen könnte. Dafür wurden monatelang Gespräche geführt – auch mit dem Staat. Das kann man nicht so abtun, als wenn nichts gewesen wäre. In dieser Phase wurden einige Eckpunkte festgelegt, die unabdingbar waren, damit sich der Prozeß überhaupt entwickeln konnte. Nur leider wurden diese Verbindlichkeiten dann zunehmend von staatlicher Seite nicht eingehalten.

    Was meinen Sie konkret?

    Zum Beispiel die erwähnte Abmachung, demokratische Verhältnisse zu schaffen und für eine gleichberechtigte Teilnahme aller Beteiligten zu sorgen. Statt dessen versuchte die Regierungsseite, den Prozeß für Frieden und eine politische Normalisierung rein technisch zu behandeln und die politische Dimension auszuklammern. Das führte letztlich von der seit Monaten existenten kleineren Krise zur jetzigen schweren Krise. Wir befinden uns heute in einer Situation der Verunsicherung. Trotzdem bleibt eine politische Lösung möglich und unbedingt nötig. Zwingende Voraussetzung hierfür ist die Abwesenheit jeglicher Gewalt. Sie kann nur in einem Umfeld diskutiert werden, das gewaltlos ist. Durch eine Wiederbelebung der Gespräche kann der politische Prozeß wiederbelebt werden. Darum ringen wir.

    Trotz dieses Anspruchs und obwohl Sie den Attentatsopfern und Angehörigen Ihr Mitgefühl ausgesprochen haben, wächst insbesondere der Druck auf die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung. Drohen nun härtere Zeiten als vor Beginn des Friedensprozesses?

    Die Gefahr, daß repressive Mittel ergriffen werden, ist real, und damit auch, daß wir Opfer von staatlicher Gewalt werden. Ein derartiges Vorgehen wäre allerdings nichts anderes die Neuauflage eines alten Konzepts, das nie gewirkt hat und auch diesmal nicht wirken wird. Die PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei) weiß, daß der Konflikt nicht mit dem Mittel der Unterdrückung zu lösen ist. Damit sorgt sie lediglich für Auftrieb bei den frankistischen und faschistischen Kräften im spanischen Staat, stärkt diese und gefährdet die sozialdemokratische Linie selbst. Die PSOE kann letztlich nur erfolgreich sein, wenn sie versucht, den Konflikt politisch zu lösen. Unsere Aufgabe ist es, so schnell wie möglich wieder den Kontakt mit den Sozialdemokraten zu suchen und mit dafür zu sorgen, daß die Phase der Rückkehr zu den alten repressiven Mitteln so kurz wie möglich ist.

    Die Repression betrifft auch Sie persönlich, wie das aktuelle Reiseverbot nach Berlin verdeutlicht. Sind weitere Maßnahmen gegen Sie als führenden Repräsentanten des Friedensprozesses zu erwarten?

    Es sieht tatsächlich so aus, als ob das, was wir jetzt erleben, nur der Anfang von dem ist, was kommen wird.

    Was ist schief gelaufen?

    Die PSOE-Regierung hat den Prozeß insgesamt schlecht geleitet und sich anscheinend auf die nächsten Wahlen konzentriert, um als Friedensbringerin in die Geschichte einzugehen. Trotzdem muß sie auch jetzt daran interessiert sein, daß es zu einer politischen Lösung kommt. Bisher haben die Regierenden auf weitere Repression gesetzt, waren unbeweglich, versuchten, im rechten Lager Sympathien zu sammeln und zu zeigen, daß sie gegenüber ETA nicht klein beigeben. Leider war die PSOE nicht dazu in der Lage, im humanitären Bereich Erleichterungen einzuräumen – wie beispielsweise in der Frage der politischen Gefangenen. Kontraproduktiv war schließlich die Veröffentlichung eines Videos, in dem sie sich damit brüstete, keine Konzessionen gegenüber ETA gemacht zu haben. Oder anders: Sie brüsteten sich gar damit, weniger Zugeständnisse gemacht zu haben, als die Aznar-Regierung während der ETA-Waffenruhe 1998/99. Diese ließ seinerzeit tatsächlich einige Gefangene ins Baskenland verlegen. Es entstand zuletzt ein regelrechter Wettbewerb der PSOE mit der spanischen Rechten, wer wem weniger Zugeständnisse gemacht hat. Damit schadete die Regierungspartei ihren eigenen Interessen.

    Nun heißt es, ETA hätte durch die Bombe von Madrid den Friedensprozeß zerstört und damit auch eine Verlegung der baskischen Gefangenen ins Baskenland verhindert. Diese hätte, so mutmaßte beispielsweise der Madrider Korrespondent der FAZ am Mittwoch, spätestens im Frühjahr 2007 begonnen. Angesichts des Attentats vom 30. Dezember allerdings drängt sich natürlich die Frage auf, warum Premier Zapatero nicht schon eher eine Geste des guten Willens gezeigt und beispielsweise die Situation der baskischen Gefangenen erleichtert hat. Was meinen Sie?

    Die Frage haben wir uns auch oft gestellt. Warum haben sie es nicht gemacht? Wir können uns das nicht anders als mit wahltechnischen Überlegungen erklären. Oder damit, daß der Druck der rechten Volkspartei (PP) so stark war, daß die Regierung öffentlich nicht den Eindruck erwecken wollte, gegenüber ETA etwa »einzuknicken«. Trotzdem bleibt festzuhalten: Sie hätte, ohne auch nur das geringste an der Gesetzgebung ändern zu müssen, die politischen Gefangenen näher ans Baskenland verlegen können. Dieser Schritt wiederum hätte ein Klima befördert, das dem gesamten Prozeß förderlich gewesen wäre. Dieses nicht zu machen, war auch aus ihrer Sicht unintelligent. Es fällt schwer nachzuvollziehen, warum. Wir haben dafür keine Erklärung. Schlechter als die PSOE in den vergangenen Monaten kann man einen politischen Dialog nicht führen.

    Nun warnte die baskische Seite in den vergangenen Monaten mehrfach vor einer weiteren Blockade des Friedensprozesses. Auch wurde im November und Dezember immer deutlicher: Der Unmut im Baskenland darüber, daß sich nichts Substanzielles tut, wächst. Und trotzdem kam das ETA zugeschriebene Attentat von Madrid für viele überraschend. Auch für Sie?

    Ja. Es war zu diesem Zeitpunkt nicht damit zu rechnen. Generell allerdings weiß ich nicht, ob man von »Überraschung« sprechen kann, wenn bei einem längeren Prozeß verschiedene Grundvoraussetzungen mehrfach angemahnt und trotzdem nicht eingehalten werden. Zudem weiß man aus der Geschichte des Konflikts, wozu Ignoranz führen kann. Insofern kann man nicht grundsätzlich von Überraschung sprechen. Wenn allerdings der spanische Ministerpräsident noch am 29. Dezember absolut sicher auftritt und behauptet, der Prozeß laufe gut und es sei alles klar, und am 30. Dezember passiert solch ein Attentat, dann – tut mir leid – hat der Mann demonstriert, daß er sich eine absolute Fehleinschätzung geleistet hat.

    Trotzdem kam auch für Sie das Attentat überraschend.

    In der Tat. Und die nun entstandene Situation ist alles andere als wünschenswert. Der Prozeß gerät in eine noch tiefere Krise, und wir müssen jetzt sehen, wie wir mit den neuen Tatsachen umgehen. Dazu gehört zwar, erst einmal zu beraten, doch möchte ich an dieser Stelle zunächst den spanischen Regierungschef beim Wort nehmen. Dieser hat am 29. Dezember auch gesagt: Wir stehen jetzt besser da als vor einem Jahr, und in einem Jahr werden wir besser dastehen als jetzt. Ich nehme ihn also beim Wort und antworte: Dann gehe ich davon aus, daß wir am 29. Dezember 2007 besser dastehen als am 29. Dezember 2006. Auf dieses Ziel wollen wir hinarbeiten.

    Das Gespräch führte Gerd Schumann in Donostia (San Sebastian)

    Übersetzung: Stefan Natke

  • 13.10.2021 14:45 Uhr

    Eine Option für die Armen

    Zu den politischen Veränderungen in Lateinamerika hat auch die Theologie der Befreiung beigetragen
    Michael Ramminger
    Viele Sozialprojekte in Lateinamerika werden von Christen getrag
    Viele Sozialprojekte in Lateinamerika werden von Christen getragen. Hier ein Obdachlosenasyl in Sao Paulo (Brasilien)
    Bolivien hat die Erdölindustrie verstaatlicht, in Nicaragua regieren wieder die Sandinisten und Venezuela ist gar auf dem Weg zum »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«: Große Teile Lateinamerikas sind nicht mehr bereit, sich dem Diktat der US-amerikanischen oder einheimischen Konzerne sowie ihrer politischen Sachwalter zu beugen. Zu dieser Entwicklung hat auch die in den 70er Jahren entstandene Theologie der Befreiung beigetragen, über deren Einfluß der brasilianische Theologe Alberto Moreira auf der XII. Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar in Berlin berichten wird.
    Millionen Christinnen und Christen haben sich in Lateinamerika in Befreiungsbewegungen und im Kampf gegen Militärdiktaturen engagiert. Sie haben dort nicht nur Gott erfahren, sondern auch strategische Erfahrungen gesammelt, so daß die Theologie der Befreiung zum theoretischen Ausdruck vielfältigen praktisch-politischen Engagements wurde. Die lateinamerikanische Bischofskonferenz brachte das 1968 in Medellín (Kolumbien) auf den Begriff »Option für die Armen« – d.h. die Welt sollte aus der Perspektive der Ausgebeuteten analysiert werden.
    In Argentinien, Brasilien, Chile, Nicaragua, Guatemala und El Salvador entwickelte sich in der Folge die »befreiende Kirche« oder die »Kirche des Volkes«, es entstanden »Basisgemeinden«. Theoretische Haupteinsicht der damit verbundenen Theologie war, daß man nicht vom christlichen Gott reden sollte, wenn man dem Elend des Volkes den Rücken kehrt. Sie hatte deshalb zwei Hauptanliegen: Die ideologische Stärkung der in den Befreiungskämpfen engagierten Christinnen und Christen und die Auseinandersetzung mit der eigenen Kirche, die in den meisten Ländern Teil der Mittelschichten und der Oligarchien war.
    Obwohl die Theologie der Befreiung von vielen Bischöfen der »Dritten Welt« unterstützt wurde, war sie vor allem unter Papst Johannes Paul II. und seinem damaligen Chef der Glaubenskongregation, Josef Kardinal Ratzinger, massiver Verfolgung ausgesetzt (wie z. B. der Franziskaner Leonardo Boff oder Ernesto Cardenal, Priester und Kulturminister im sandinistischen Nicaragua). Als später viele Befreiungsbewegungen scheiterten oder Militärdiktaturen durch sozialdemokratische oder andere Befriedungsprojekte ersetzt wurden, gerieten auch die Basisgemeinden in Krisen.
    In den 90er Jahren kam es zu einer Renaissance der »Kirche der Armen« und der Befreiungstheologie. Inzwischen hatten sich nämlich auch in Afrika und Asien ähnliche Bewegungen gebildet, die theoretischen Ansätze hatten sich ausgefächert. Vor allem die Frage der Volksgruppenzugehörigkeit, der kulturellen Identität, der feministischen Theologie und der Ökologie traten nun zu den Themen ökonomische Ausbeutung und Unterdrückung hinzu. Allerdings hatte sich einiges geändert: Während es noch eine deutlich marxistische und sozialistische Linie gab, wäre sie heute wohl präziser als »antikapitalistisch« zu bezeichnen.
    Bis heute hat sich die Theologie der Befreiung nicht von der Verfolgung durch Kirche und Militärdiktaturen erholt. In vielen Volksbewegungen und Parteien Lateinamerikas, in Afrika und Asien aber sind Christinnen und Christen ein selbstverständlicher und unverzichtbarer Bestandteil des Widerstandes gegen den neoliberalen Kapitalismus.
    Michael Ramminger ist promovierter Theologe und arbeitet am Institut für Theologie und Politik in Münster
  • 13.10.2021 14:44 Uhr

    Reiseverbot für Otegi

    Gerd Schumann, Donostia (San Sebastian)
    Pressekonferenz mit Folgen: Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi am v
    Pressekonferenz mit Folgen: Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi am vergangenen Samstag in Donostia
    Mit einem Reiseverbot versucht Spaniens Justiz derzeit, die Teilnahme von Arnaldo Otegi an der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin zu verhindern. Otegi, Sprecher der verbotenen Partei Batasuna (Einheit), bestätigte am Donnerstag gegenüber junge Welt, daß sein beim zuständigen Gericht eingereichter Antrag auf einen Berlin-Aufenthalt vom 12. bis 14.Januar »definitiv abgelehnt« worden ist. Diese repressive Maßnahme »ist lediglich der Anfang von dem, was noch kommen wird«, befürchtet Otegi. Es könne sein, daß insbesondere der baskischen Linken eine neue, ungeahnte Unterdrückungswelle bevorsteht. Im Baskenland löste der Angriff auf die Bewegungsfreiheit des prominenten Politikers der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung starke Diskussionen aus. Die Zeitung Gara kommentierte am Donnerstag, Otegi stehe »wieder einmal im Zentrum gerichtlicher Verfolgung«.

    Als Begründung für die höchstrichterliche Entscheidung wurde angeführt, es sei »unabdingbar«, daß sich der Batasuna-Sprecher wegen verschiedener Ermittlungsverfahren »innerhalb des nationalen Territoriums befindet und jederzeit der Audienca Nacional (Oberster Gerichtshof) zur Verfügung steht«. Neben einigen nicht abgeschlossener Strafverfahren, darunter eines wegen »Majestätsbeleidigung«, führte Audienca-Staatsanwalt Carlos Bautista laut El Pais vom Donnerstag den Auftritt Otegis auf einer Pressekonferenz »im Namen Batasunas« an. Da Batasuna verboten ist, sei dieser illegal gewesen. Otegi hatte sich am Samstag vor der Presse in Donostia (spanisch: San Sebastian) zum mutmaßlich von der Untergrundorganisation ETA zu verantworteten fatalen Autobombenanschlag auf ein Parkhaus des Madrider Flughafens Barajas geäußert und den Opfern und Angehörigen sein Mitgefühl ausgesprochen. Zugleich hatte er sich eindeutig für eine notwendige Fortsetzung des Friedensprozesses engagiert – eine Position, die von wichtigen Teilen des politischen Spektrums im Baskenland geteilt wird.

    In einem ausführlichen Exklusivgespräch mit junge Welt, das in der Wochenendausgabe veröffentlicht wird, verweist Otegi darauf, daß es zu einer »politischen Lösung des bestehenden Konfliktes keine Alternative« gibt: »Alles andere ist auf Sand gebaut.« Voraussetzung hierfür sei allerdings eine »Ablehnung jeglicher Gewalt«, also nicht nur die von ETA, sondern ebenfalls die vom spanischen Staat verübte. Madrid habe auch nach dem Beginn der Waffenruhe der Untergrundorganisation vom 22. März 2006 weiter repressiv agiert, Raz­zien und Verhaftungen vorgenommen. Nunmehr, nach dem Anschlag vom 30. Dezember, befindet sich der Friedensprozeß laut Otegi in einer »enormen Krise«. In diesen komplizierten Zeiten gelte es umso mehr für die Linke, sich trotz aller Turbulenzen für eine »Dialoglösung« einzusetzen.

    Otegi war von junge Welt und Cuba Si im Herbst vergangenen Jahres zur XII. Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar 2007 eingeladen worden, hatte seine Teilnahme zugesagt und wollte sich zum Motto »Das geht anders – united, unido, vereint« mit Fragen des Kampfes um Unabhängigkeit und Sozialismus am Beispiel des Baskenlandes auseinandersetzen – ein angesichts der zugespitzten Lage noch brisanter gewordenes Thema. Trotz Reiseverbot gibt sich Otegi aber zuversichtlich. Derzeit werde alles versucht, »damit ich trotzdem auf der Konferenz zu Wort komme«.
  • 13.10.2021 14:44 Uhr

    Madrids Gegenspieler

    Gast auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz: Arnaldo Otegi. Bewegte Zeiten für den Sprecher der Linken im Baskenland und Akteur im baskisch-spanischen Friedensprozeß
    Gerd Schumann
    Arnaldo Otegi auf einer Demonstration in Donostia (San Sebastian
    Arnaldo Otegi auf einer Demonstration in Donostia (San Sebastian), April 2006
    So manches heute erinnert an gestern. Was sich seit dem 26.März auf der Iberischen Halbinsel – und speziell ihrem nordwestlichen Rand – tut, ähnelt dem Geschehen nach dem 18. September 1998. Beide Male hatte die von der EU und dem spanischen Staat als »terroristisch« gebrandmarkte, im Kampf gegen den Franco-Faschismus entstandene und gewachsene Untergrundorganisation ETA (Baskenland und Freiheit) einen einseitigen Waffenstillstand mit dem Ziel erklärt, einen Weg zur Lösung des verfahrenen baskisch-spanischen Konflikts zu öffnen.

    Vor sieben Jahren – genau: am 28.November 1999 – setzte die ETA ihren »bewaffneten Kampf« fort. Zu wenig hatte sich ihrer Meinung nach bewegt: sowohl im Baskenland selbst, wo die konservative Nationalpartei (PNV) Referendumsforderungen blockierte, als auch seitens Madrid. Dort regierte mit dem in falangistischen Strukturen befangenen José Maria Aznar ein Politiker, der zwar mit Vertretern der klandestinen Organisation redete und kleinere Zugeständnisse machte – hundert politische Gefangene wurden damals ins Baskenland verlegt –, der jedoch zugleich die Repressionsschraube weiter anzog. Er ließ die gefürchtete Guardia Civil immer häufiger aus ihren Kasernen ausrücken und favorisierte offen eine »militärische Lösung des Problems«.

    Damals war Arnaldo Otegi, ein Diplomphilosoph mit bewegter Vergangenheit und Gegenwart, Aznars Gegenspieler. Der 1958 in der baskischen Provinz Gipuzkoa geborene Otegi war 1977 ETA-Mitglied geworden, lebte lange als politischer Flüchtling in Frankreich, wurde von Paris Ende der achtziger Jahre an Madrid ausgeliefert und wegen Unterstützung einer Entführung durch die ETA zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Seine anschließenden Haftstationen: Carabanchel, Alcala Melo, Herrera de la Mancha, Almería, Ciudad Real, Huesca. 1998 dann vertrat er als Sprecher von Herri Batasuna (HB – Vereintes Volk) die linke Unabhängigkeitspartei des Baskenlandes, in den Medien ausdauernsd – wie ihre Nachfolgerin Batasuna (Einheit) – als »politischer Arm der ETA« bezeichnet.
    Für HB unterzeichnete Otegi im selben Jahr das damals etwas voreilig als »historisch« bewertete Abkommen von Lizarra-Garazi, das die gesamte baskische Politszene unter einen Hut brachte: von den Konservativen über die Sozialdemokraten bis zu den Linken und auch zur sich als spanische Partei verstehenden Vereinten Linken (IU). Es sah eine politische Lösung des Konflikts durch ein Referendum sowie durch eine Orientierung auf ein einiges Baskenland aus allen sieben Provinzen – in Frankreich wie in Spanien – vor. Kurze Zeit später wurde Otegi als Spitzenkandidat des linken Wahlbündnisses Euskal Herritarok (EH), das knapp 20 Prozent der Stimmen erhielt, erneut in das baskische Regionalparlament von Gasteiz (span.: Vitoria) gewählt.

    Seit Ende 1999 durchlebte die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung ihre – nach der Franco-Diktatur – wohl schwerste Entwicklungsphase. Die Verfolgungspraxis führte über Massenverhaftungen, Zeitungsschließungen hin zum Batasuna-Verbot 2003. Die Partei hatte sich einem eigens für sie formulierten Gesetz verweigert, das eine pauschale Distanzierung von der ETA verlangte. Den Höhepunkt staatlich geschürter Hysterie bildete schließlich der 11. März 2004, als Aznar versuchte, der ETA die Terroranschläge auf Madrider Vorortzüge unterzuschieben. Der spanische Premier scheiterte mit seinen antibaskischen Unterstellungen, verlor an den Wahlurnen seinen Posten an die Sozialisten von der PSOE. Die zogen tatsächlich wie versprochen Madrids Besatzungstruppen im Irak ab – und auch die Chancen für eine Lösung des baskisch-spanischen Konflikts schienen zu steigen.

    Inzwischen verhandelte Otegi bereits mehrfach mit Vertretern des baskischen Ablegers der PSOE und anderen Kräften – weitgehend ergebnislos. Auch sonst tat sich wenig. Dabei hatte der Politiker in Sachen Friedensprozeß bereits im November 2004 eine entscheidende Weiche für einen neuen ETA-Waffenstillstand gestellt: Damals präsentierte er vor 15000 baskischen Aktivisten in Donostia (span.: San Sebastian) den Vorschlag »Orai Herrioa Orain Bakea« (Jetzt das Volk, jetzt der Frieden).

    Heute ist noch immer nicht deutlich erkennbar, wie sich sein neuer Gegenspieler auf spanischer Seite, Premier José Luis Zapatero, dazu verhalten will.
  • 13.10.2021 14:44 Uhr

    Es geht anders

    Kuba und die Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Am 13. Januar 2007 veranstalten die Tageszeitung junge Welt und Cuba Sí in der Mensa der Technischen Universität Berlin die XII. Rosa-Luxemburg-Konferenz. Deren Unterstützerkreis ist im Vergleich zu den ersten Jahren erheblich größer geworden, das Spektrum der Themen wandelt sich, eine Konstante jeder Konferenz bleibt aber die Beschäftigung mit der kubanischen Revolution. Das bedeutet: Informationen aus erster Hand über die Situation auf der Insel, über die politischen Beziehungen Havannas zu den Staaten Lateinamerikas und über die Perspektiven des Kampfes gegen die Blockade und Sabotage der USA. Vor allem aber legten kubanische Wissenschaftler und Politiker auf diesen Konferenzen ihre Analysen der politischen Weltlage und grundlegender ökonomischer Vorgänge im globalen Kapitalismus dar und erläuterten, von welchen Gesichtspunkten sich die kubanische Führung auf nationaler und internationaler Ebene leiten läßt. Wer sich über die Rolle Kubas in der Region und in der Welt kompakt auf den neuesten Stand bringen wollte, hatte auf den Konferenzen die beste Gelegenheit. Das wird auch 2007 so sein. Als Gast aus Kuba wird Francisco Brown Infante, Direktor am Institut für europäische Studien in Havanna, sprechen.

    Mit ihm begrüßen wir einen Gast, der bereits 2001 Referent auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz war, die damals das Thema »Menschenrechtsimperialismus und Widerstand« hatte. Er begann seine Rede mit den Worten: »Für uns Kubaner ist die Thematik dieser Konferenz nicht in erster Linie ein theoretisches Problem, das es zu erörtern gilt, sondern es betrifft uns ganz unmittelbar in unserem Kampf für eine neue Gesellschaft.« Sechs Jahre später hat dieser Satz nichts von seiner Gültigkeit verloren: Worüber die Linke in Deutschland, Europa oder Nordamerika diskutiert, das hat Kuba in der Praxis zu bewältigen. Das Land zeigt heute deutlicher denn je: Es geht anders. Die Umstände, unter denen das geschieht, haben sich in den vergangenen sechs Jahren gewandelt. Was das für die Zukunft der Revolution bedeutet, darüber wird Francisco Brown Infante am 13. Januar sprechen.

    (jW)
  • 13.10.2021 14:43 Uhr

    Fast 25 Jahre im Todestrakt

    Gericht in Philadelphia entscheidet 2007 über drei Berufungsgründe im Fall Mumia Abu-Jamal
    Jürgen Heiser
    Heute ist es auf den Tag genau 25 Jahre her, daß der Journalist und ehemalige Black Panther Mumia Abu-Jamal in Philadelphia verhaftet wurde. Am 9. Dezember 1981 war er noch spät abends als Taxifahrer unterwegs. Sein Einkommen als Radiojournalist reichte nicht, seine junge Familie zu ernähren. Er war 27 Jahre alt und konnte nicht ahnen, daß er nach dieser Nacht sechs Monate in Untersuchungshaft und nach seiner Verurteilung zum Tode am 3. Juli 1982 den Rest seines bisherigen Lebens ununterbrochen im Todestrakt verbringen würde.

    Abu-Jamal war an jenem 9. Dezember zufällig Zeuge geworden, wie der Polizist Daniel Faulkner seinen Bruder Billy bei einer Verkehrskontrolle verprügelte. Der Vorwurf, den Polizisten erschossen zu haben, ist mittlerweile durch zahlreiche Sachbeweise und Zeugenaussagen widerlegt, aus denen sich klar ergibt, daß der wahre Todesschütze entkommen konnte. Bis heute hat sich aber keines der zuständigen US-Gerichte mit diesen Beweisen befaßt. Im Gegenteil blieben die Akten auch bezüglich der seit 1995 angestrebten Wiederaufnahme des Verfahrens »sauber« und enthalten nur die Version der Staatsanwaltschaft.

    Die zuständige Berufungsinstanz des Bundesbezirksgerichts in Philadelphia hat nun über drei zugelassene Berufungsgründe der Verteidigung zu befinden, bei denen es um rassistische Vorurteile in der Verfahrensführung durch den früheren Richter Albert Sabo und den Ausschluß von schwarzen Kandidaten aus der Jury geht sowie Sabos Ausspruch in einer Verhandlungspause, er werde der Staatsanwaltschaft »helfen, den Nigger zu grillen«.

    In den ersten Monaten des neuen Jahres wird es vor dem dreiköpfigen Richtergremium eine mündliche Anhörung geben, bei der Verteidigung und Anklage ihre Argumente noch einmal vortragen und die Richter ihnen Fragen stellen können. In den Folgemonaten wird das Berufungsgericht dann sein Urteil fällen, das sich zwischen der Anordnung eines neuen Verfahrens und der Bestätigung des Todesurteils bewegen kann. Im letzteren Fall würden der Gouverneur von Pennsylvania, Ed Rendell, der früher als Staatsanwalt gegen Abu-Jamal ermittelt hat, einen erneuten Hinrichtungsbefehl unterzeichnen.

    Abu-Jamals Hauptverteidiger Robert R. Bryan gegenüber junge Welt: »Diese Entscheidung ist von außerordentlicher Bedeutung. Ich werde alles dafür tun, diesen Kampf auf Leben und Tod für meinen Mandanten zu gewinnen. Wir wollen einen neuen, fairen Prozeß durchsetzen, weil ich erreichen will, daß mein Mandant den Todestrakt als freier Mann verlassen kann. Dennoch muß ich immer wieder betonen, daß Mr. Abu-Jamal sich immer noch in großer Gefahr befindet.«

    Am 13. Januar 2007 wird Bryan auf der XII. Rosa-Luxemburg-Konferenz über den Stand des Verfahrens und die Notwendigkeit breiter Solidarität sprechen. Vor dem Rathaus von Philadelphia versammeln sich die Todesstrafengegner heute unter dem Motto »Free Mumia!« zu einer Demonstration, und in vielen Teilen der Welt finden an diesem Wochenende Kundgebungen und Veranstaltungen statt.
    Info: www.freedom-now.de
    jW-Dossier: Mumia Abu Jamal

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