Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
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Blog

  • 12.10.2021 16:55 Uhr

    Dritter Griff zur Macht

    Vorabdruck. EWG/EG/EWS – Deutschlands Mitteleuropakonzept im neuen Gewand
    Werner Biermann und Arno Klönne
    Gleichstellung (v. r. n. l.: Konrad Adenauer, GB-Außenminister A
    Gleichstellung (v. r. n. l.: Konrad Adenauer, GB-Außenminister Anthony Eden und sein US-Amtskollege John Foster Dulles, Frankreichs Premier Pierre Mendes-France, Paris 20.10.1954)

    Am Samstag findet in Berlin die XIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz unter dem Motto »Internationalismus und Gegenmacht heute« statt. Die Podiumsdiskussion der Konferenz beschäftigt sich mit der Rolle der Europäischen Union, in der 2009 ein neues Parlament gewählt wird. Im Kölner PapyRossa Verlag erscheint Ende Januar ein Buch der beiden Soziologen Werner Biermann und Arno Klönne, die Deutschlands Weltmachtambitionen seit 1871 untersuchen. jW veröffentlicht daraus eine um Tabellen und Fußnoten gekürzte Textpassage zur Strategie der westdeutschen Wirtschafts- und Politikelite für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die westeuropäischen Länder ökonomisch und politisch geschwächt. »Mit Schrecken wurde man sich des (relativen) Rückgangs des europäischen Anteils an der Weltproduktion bewußt, besonders des Zurückbleibens Europas gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika«, so der spätere erste Kommissar der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Walter Hallstein. Die USA waren als die mit großem Abstand führende kapitalistische Macht aus dem Weltkrieg hervorgegangen; der Fortgang der US-amerikanischen Hochkonjunktur machte eine Rekonstruktion des Weltmarktes erforderlich, was auch die wirtschaftliche Stärkung Westeuropas als Verwertungsraum von US-Kapital einschloß. Aber dies konnte nur gelingen, wenn die alte Wirtschaftsmacht Deutschland entsprechend berücksichtigt würde.

    Aus US-amerikanischer Sicht war ein ungehinderter Zugang zu den westeuropäischen Märkten anzustreben, was angesichts der Überlegenheit des US-Kapitals gegenüber seiner europäischen Konkurrenz zu einer raschen Markteroberung geführt hätte. Hiergegen sperrten sich vor allem Frankreich und Großbritannien, deren Wirtschaftseliten befürchteten, daß ihnen bei einer globalen Neuordnung der kapitalistischen Weltwirtschaft lukrative Kolonialmärkte entrissen würden. Andererseits war aber sicher, daß die Rückkehr zur Autarkiepolitik der 30er Jahre, also eine nationale Abschließung vom Weltmarkt, keine Lösung barg. Bei der damaligen Lage bot sich eine westeuropäische Integration als realistischer Kompromiß an: Die Märkte Westeuropas könnten erhalten bleiben, gleichzeitig eine Abschirmung gegenüber der übermächtigen US-Konkurrenz erfolgen.

    Für die westeuropäische Integration war die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Frankreich und der Bundesrepublik entscheidend. Die französische Politik nach 1945 war darauf ausgerichtet, Deutschland als den Hauptkonkurrenten auf dem Kontinent niederzuhalten. Dazu sollte die relativ einflußreiche Position Frankreichs genutzt werden. Andererseits war Frankreich wirtschaftlich schwach. Könnte die im Erstarken begriffene Bundesrepublik in die westeuropäische Vereinigung einbezogen und die Bonner Regierung zur Aufgabe eines Teils der nationalen Souveränität bewegt werden, würde Paris hieraus auch ökonomischen Nutzen ziehen.

    Die Bundesrepublik erhoffte von einer Beteiligung an den westeuropäischen Einigungsbestrebungen, sich verlorengegangenes ökonomisches und politisches Terrain wieder erschließen zu können. Erschwerend hierbei war allerdings die Furcht anderer europäischer Länder vor einem neuerlichen deutschen Großmachtstreben. Kanzler Adenauer umriß seine Politik daher wie folgt: »Das Sicherheitsverlangen gegenüber Deutschland bei allen seinen Kriegsgegnern war außerordentlich stark. [Es galt,] einen Weg zu finden, der sowohl dem Sicherheitsbedürfnis der europäischen Länder Rechnung trug, wie auch den Wiederaufbau Westeuropas einschließlich Deutschlands durchzuführen gestattete. Über diesen Weg würden wir auch, darüber war ich mir klar, Schritt für Schritt unsere Gleichberechtigung unter den freien Völkern der Welt zurückerlangen.« Gleichberechtigung bedeutete: der ausländischen Kontrolle über die Ruhrindustrie und auch Abkehr von Sozialisierungsabsichten, Aufhebung der Demontagen, Revision des Besatzungsstatutes und Lösung der »Saarfrage« im westdeutschen Interesse.

    Das Streben nach Gleichberechtigung war ein Instrument der inneren Rekonstruktion und Restauration, gleichzeitig aber auch ein Mittel, eine einflußreiche Stellung in Westeuropa zu erlangen. Förderlich war dabei die Remilitarisierung Westdeutschlands. Dem entgegenstehende Bedenken bei anderen europäischen Ländern wurden aufgewogen durch die Aussicht auf Entlastung beim eigenen Rüstungsaufwand, zumal die Kolonialkriege Frankreichs und Großbritanniens enorm kostenintensiv waren und die jeweiligen Staatshaushalte überstrapazierten, so daß zusätzliche militärische Engagements im Rahmen der ­NATO kaum finanzierbar waren. Mit einer neuen westdeutschen Rüstung konnte die vermeintliche Sicherheitslücke gegenüber der unterstellten sowjetischen Aggression geschlossen werden, und an der militant antisowjetischen Haltung der Bundesregierung gab es keinen Zweifel.

    Der Adenauerschen Politik lag offenbar die Hypothese zugrunde, daß Westdeutschland innerhalb eines geeinten Europa recht bald die uneingeschränkte Gleichberechtigung bekommen und in wirtschaftlicher Hinsicht die führende Rolle einnehmen würde, selbst dann, wenn der Grundriß des neuen Westeuropa von französischen Architekten entworfen wurde.

    Deutsche Kapitalinteressen in EWG

    Die EWG war anfänglich eine Zollunion, die auf einem gemeinsamen Außenzoll basierte und eine schrittweise Abschaffung aller inneren Handelshemmnisse vorsah nebst Freizügigkeit beim Kapitalverkehr. Dies war eine klare Absage an das von den Vereinigten Staaten propagierte und in groben Zügen verwirklichte Konzept eines liberalisierten Weltmarktes: Mit der EWG wurden US-amerikanische Warenexporte behindert, und die Steuerung des Weltmarktes durch den US-Dollar war in Frage gestellt. Denn der EWG-interne freie Kapitalverkehr setzte Standards des Internationalen Währungsfonds außer Kraft, die vorsahen, daß ein Land mit Zahlungsproblemen diese über den Fonds lösen müsse. Es ist unschwer erkennbar, daß die politischen Absichten Frankreichs und Westdeutschlands hierbei zu Buche schlugen. Paris konnte so seine Großmachtambitionen wahren, während Bonn auf seinem Weg zur Selbständigkeit, also der Lockerung der Abhängigkeit von den USA, ein gutes Stück vorankam.

    Jedoch veränderte sich in den Jahren nach 1958 das ökonomisch-politische Kräfteverhältnis innerhalb der EWG in einem Maße, daß französischen Plänen, mittels einer stärker supranationalen Integration Einfluß auf die Bundesrepublik zu gewinnen, der Boden entzogen war. Das fand zeitweise eine Reaktion in der Politik des französischen Präsidenten de Gaulle, der Mitte der 60er Jahre unter dem Schlagwort »Europa vom Atlantik zum Ural« eine bilaterale Annäherung an die Sowjetunion anstrebte, offenbar mit der Absicht, durch eine Wiederauflage der Bündnispolitik früherer Zeiten die Bundesrepublik in die Schranken zu verweisen.

    In den langen Boomjahren entwickelte sich die EWG zu einem großen wirtschaftlichen Machtfaktor. Bei ihrer Gründung im März 1957 betrug der Anteil der sechs Mitgliedsländer1 an der Weltausfuhr 16 Prozent, Mitte der 70er Jahre schon knapp 20 Prozent. Gleichzeitig war der Anteil der Vereinigten Staaten von 22 auf 17 Prozent geschrumpft. Die Weltausfuhr verzeichnete in diesem Zeitraum einen durchschnittlichen Zuwachs von knapp zehn Prozent pro Jahr, was die Exportoffensive der EWG deutlich macht.

    Der Aufstieg der Gemeinschaft zum führenden Handelsblock der kapitalistischen Welt beruht auf bedeutenden Verschiebungen in der inneren Struktur des Handels der Mitgliedsländer: Im Jahr 1958 entfielen 30 Prozent der EWG-Exporte auf den Handel innerhalb der Gemeinschaft; Mitte der 70er Jahre waren es bereits 50 Prozent. Bei den Importen gab es eine ähnliche Entwicklung, nämlich von 30 auf 52 Prozent. Treibende Kraft hierbei war die Bundesrepublik, die ihren Anteil an der Weltausfuhr bis auf 13 Prozent steigerte und mit der führenden Exportnation USA gleichzog.

    Deutlich wird, daß durch die Errichtung der Zollunion und durch den Abbau der Zölle eine beträchtliche Zunahme des westeuropäischen Binnenhandels erfolgte; fast die Hälfte des Außenhandels der Mitgliedsstaaten fand innerhalb des EWG-Wirtschaftsraumes statt, was auf eine wachsende gegenseitige Abhängigkeit und Arbeitsteilung hinweist. Im Falle der Bundesrepublik zeigte sich allerdings, daß die EWG als Absatzmarkt nicht die Bedeutung hatte, wie dies auf die französische Wirtschaft zutrifft. Es zeichnete sich ab, daß die Bundesrepublik die wachsende innere Verflechtung des Warenaustausches als Basis für den Ausbau ihrer Position auf dem kapitalistischen Weltmarkt ausnutzen konnte. Bei der Exportstruktur der übrigen EWG-Staaten ist auffällig, daß der Binnenmarkt fast die Hälfte der Ausfuhren absorbierte. Das bedeutet, daß sie in starkem Maße von der EWG abhängig waren und damit von deren ökonomischem Gravita­tionszentrum, der Bundesrepublik. Außerdem verzeichneten sie im Gegensatz zu Westdeutschland Defizite beim Handel mit Drittländern. Sie waren also auf den EWG-Markt angewiesen.

    Bei technisch hochentwickelten Industriegütern waren die westdeutschen Exporte außerhalb der EWG-Zone besonders hoch, bei Metallbearbeitungsmaschinen sogar 75 Prozent, bei Maschinen und Apparaten 68, bei Kraftfahrzeugen 65 und Büromaschinen 63 Prozent. Auch bei wichtigen Erzeugnissen der chemischen Industrie wurden überdurchschnittliche Anteile im Handel außerhalb der EWG erzielt. Dies läßt den Schluß zu, daß die Bundesrepublik insbesondere in den technologisch und wissenschaftlich hochentwickelten modernen Wachstumsindustrien ihre Führungsposi­tion stetig ausbaute, die sich nicht nur auf ihr Gewicht im innergemeinschaftlichen Handel, sondern immer mehr auf die Intensivierung des weltweiten Außenhandels stützte.

    Mit der Gründung der EWG sollte eine regionale Integration eingeleitet werden mit dem Ziel, die Position Westeuropas im Weltmarkt zu festigen und auszubauen. Offenbar ist dies aber nur der Bundesrepublik gelungen, während die übrigen Mitgliedsländer in den ersten fünfzehn Jahren der Gemeinschaft dort keine gleichartigen Positionsverbesserungen erzielen konnten, sich dafür jedoch um so mehr auf den EWG-Markt orientierten.

    Für die westdeutsche Wirtschaft nahm also der Handel jenseits der Wirtschaftsgemeinschaft einen zunehmend wichtigeren Platz ein; so wuchs der hierbei erzielte Überschuß seit der Krise 1966/67 um fast das Achtfache. Die Außenhandelsüberschüsse schufen die Voraussetzungen für jenen massiven Kapitalexport, der seit Mitte der 60er Jahre ständig anstieg.

    Forcierter Kapitalexport

    Diese Entwicklung spiegelt den Prozeß verstärkter Direktinvestitionen wider, wie er für den kapitalistischen Weltmarkt nach 1945 charakteristisch war. Ausländische Direktinvestitionen wurden zum Bestandteil der globalen Strategie international agierender Konzerne. (...)

    Die bundesdeutschen Direktinvestitionen waren von ihrem Umfang her am Ende des langen Booms die drittgrößten weltweit, allerdings mit weitem Abstand hinter den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Sie beliefen sich 1973 auf rund 5,6 Milliarden DM bei einem Sockel von 400 Millionen im Jahr 1955. Hieran verdeutlicht sich die Tendenz zur Internationalisierung der Produktion.

    Wo lagen nun die regionalen und branchenspezifischen Schwerpunkte dieser Investitionen? Rund ein Drittel der westdeutschen Direkt­investitionen floß in den EWG-Raum, jeweils 16 Prozent wurden in Nordamerika (USA und Kanada) und im Wirtschaftsraum der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA angelegt. Aufgeschlüsselt nach Branchen überwogen Direktinvestitionen der chemischen Industrie, gefolgt von der Elektroindustrie. (...) Das statistische Material ergibt folgende Einsichten:

    – Die regionale Struktur der westdeutschen Direktinvestitionen wurde zunehmend von der westeuropäischen Integration geprägt. Zwischen 1961 und dem Ende des Booms hat sich eine eindeutige Schwerpunktverlagerung von Nord­amerika nach Europa und hier insbesondere in die EWG-Partnerländer herausgebildet.

    – Die Struktur der Direktinvestitionen nach Branchen bestätigt den Zusammenhang zwischen Waren- und Kapitalexport, denn die Branchen, die den größten Teil des westdeutschen Exports generierten, tätigten gleichzeitig auch den Großteil der Direktinvestitionen.

    – Der Schwerpunkt der Außenexpansion des westdeutschen Kapitals lag im Betrachtungszeitraum nicht bei der Auslandsproduktion, sondern beim Warenexport. Es kündigte sich allerdings eine Wende an: Nach der Krise 1966/67 wurden ausländische Direktinvestitionen forciert, um auf diesem Wege nicht nur den Anforderungen der Weltmarktkonkurrenz besser zu entsprechen, sondern auch, um eine größere Unabhängigkeit von der Binnenmarktkonjunktur zu erlangen. Zwar stieg der Wert der Direktinvestitionen im Verhältnis zum Export von 1,3 Prozent im Jahr 1956 auf zwei Prozent 1974; die entsprechende Quote für die US-Industrie lag aber bei 9,5 Prozent.

    Frankreich, die zweitgrößte Ökonomie der EWG, konnte mit dem westdeutschen Expan­sionstempo nicht Schritt halten. In den 60er Jahren flossen nur 20 Prozent der französischen Direktinvestitionen in den EWG-Raum, darunter elf Prozent nach Italien, in die Bundesrepublik hingegen lediglich fünf Prozent (zirka 270 Millionen DM). Im gleichen Zeitraum exportierte die westdeutsche Industrie aber rund 5,8 Milliarden DM Kapital in das westliche Nachbarland – die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder waren also sehr ungleichgewichtig zugunsten der Bundesrepublik. Dies förderte Befürchtungen vor einer westdeutschen Übermacht, was dazu führte, daß die französischen Regierungen versuchten, eine Politik nationalstaatlicher Protektion durchzusetzen.

    Vorteile durch Währungsunion

    Der Wunsch nach einer Währungsunion nahm nach 1968 Gestalt an. Auslöser war die divergierende Entwicklung der Zahlungsbilanzen der EWG-Mitglieder, insbesondere Frankreichs und der Bundesrepublik. Bis 1966 hatte die französische Zahlungsbilanz einen Überschuß ausgewiesen, wenn auch mit einer stark fallenden Tendenz; demgegenüber war die westdeutsche Zahlungsbilanz unstetig und in den Jahren 1962 und 1965 sogar defizitär. Das Jahr 1967 markierte eine entscheidende Wende. Westdeutschland überwand den damaligen Konjunktureinbruch durch eine beispiellose Exportoffensive, die einen hohen Zahlungsbilanzüberschuß mit sich brachte; gleichzeitig rutschte die Zahlungsbilanz Frankreichs in ein Defizit, das in Verbindung mit der politischen Krise des gaullistischen Regimes, aber besonders durch gezielte Indiskretionen der Bundesregierung, die hiermit eine Franc-Abwertung erzwingen wollte, eine enorme Kapitalflucht aus dem Franc in Gang setzte mit dem Ergebnis einer ernsthaften Währungskrise. Der Vorschlag der französischen Regierung, nun ein System für kurz- und mittelfristige Stützungskredite auf Gemeinschaftsebene einzuführen, scheiterte nicht zuletzt am Widerstand der Bundesrepublik. Diese sah zwar wie alle Mitgliedsstaaten die Vorteile einer Währungsunion gerade im Hinblick auf eine größere Unabhängigkeit vom Dollar, was sie jedoch über eine beschleunigte politische Integration verwirklichen wollte. Eine solche Integration in Verbindung mit einer allgemeinen ökonomischen Koordination der jeweiligen nationalen Wirtschafts- und Währungspolitik sollte angesichts des wirtschaftlichen Potentials der Bundesrepublik zu dem erhofften Übergewicht in Westeuropa führen. Eine Währungsunion kam für die Bundesregierung erst dann in Betracht, wenn der größte Teil der Lasten auf die Partnerländer abgewälzt werden konnte.

    1978 kam es zur Einführung des Europäischen Währungssystems (EWS), das als ein solider Damm gegen die Kursschwankungen des Dollars und die daraus resultierenden Spekulationen betrachtet wurde. Es kam zu einem wechselseitigen Verbund zwischen den europäischen Währungen und zur Schaffung einer neuen Leitwährung (ECU), wodurch die Wechselkursschwankungen mehr gedämpft wurden, als wenn jede der am EWS beteiligten Währungen ihren Wechselkurs frei bestimmt hätte. Zunächst traten alle damaligen Mitgliedsländer der EG mit Ausnahme Großbritanniens dem Währungssystem EWS bei.

    Aus bundesdeutscher Sicht war das EWS ein Erfolg, denn es konnte zwar die Tendenz zur Aufwertung der DM nicht unterbinden, aber immerhin abschwächen und damit verbundene außenwirtschaftliche Nachteile auf die übrigen Länder abwälzen. (...)

    Zwei Weltmachtstrategien

    Die strategische Rechnung der USA, Westdeutschland zu einem stabilen Frontstaat im Kalten Krieg aufzubauen, ging in wirtschaftlicher, militärischer und politischer Hinsicht auf. Die Bundesrepublik war US-Juniorpartner in Europa. Aber diese dichte Abhängigkeit kann keineswegs als deutsches »Vasallentum« gedeutet werden. Die Großindustrie, zweimal im 20. Jahrhundert Betreiber und Nutznießer des deutschen Imperialismus, blieb weiterhin die bestimmende Kraft; die politische Elite, zunächst von der Siegermacht USA handverlesen, akzeptierte zwar die neuen Herren in Wa­shington, war aber empfänglich für Ideen einer Großmachtpolitik auf eigene Rechnung.

    Innerhalb Westeuropas verfügte die Bundesrepublik dank ihres Wirtschafts- und Militärpotentials schon in den 70er Jahren über eine Vormachtstellung. So machte das westdeutsche Industriepotential mehr als 80 Prozent desjenigen von Frankreich und Großbritannien zusammen aus. Die Grundlagen für den wirtschaftlichen Aufstieg im Verhältnis zu den anderen europäischen Großmächten entstanden in den 50er Jahren. Während Frankreich und Großbritan­nien durch hohe Rüstungslasten und kostspielige Kolonialkriege bzw. aufwendiges Herrschaftsmanagement in den Kolonien stark beansprucht waren, konnte die westdeutsche Industrie frei von solchen Lasten ihr Potential zügig aufstocken. Das schlug sich in den seinerzeitigen industriellen Wachstumsraten nieder, wo die Bundesrepublik mit einem durchschnittlichen Jahreszuwachs von 18,5 Prozent ihre Konkurrenten weiter hinter sich ließ; Frankreich erwirtschaftete ein Durchschnittswachstum von 6,3 und Großbritannien von lediglich 4,2 Prozent. Die expansive Exportstrategie der bundesdeutschen Konzerne führte dazu, daß die Bundesrepublik Mitte der 70er Jahre ebenso viele Waren ausführte wie Frankreich und Großbritannien zusammen. Hier deuten sich enorme außenwirtschaftliche Ungleichgewichte an; die Bundesrepublik hatte in den 70er Jahren einen kumulierten Exportüberschuß von rund 100 Milliarden Dollar, Frankreich bzw. Großbritannien hingegen verzeichneten im gleichen Zeitraum Außenhandelsdefizite in Höhe von 20 bzw. 50 Milliarden Dollar. Diese Überschüsse waren der Hauptgrund für die hohen Währungsreserven der Bundesbank, die größer waren als die französischen und britischen zusammengenommen. Auch die Entwicklung der Wechselkurse der DM läßt erkennen, in welchem Ausmaß und mit welcher Geschwindigkeit sich damals das ökonomische Gewicht der Bundesrepublik erhöht hat. (…)

    Die stetigen DM-Aufwertungen hatten die starke westdeutsche Außenhandelsposition kaum geschwächt. Andererseits verbesserten sie die Chancen zum Kapitalexport erheblich. So wuchs der Bestand privater Direktinvestitionen von 0,8 Milliarden Dollar im Jahr 1960 auf knapp 17 Milliarden 1975; der Bestand übertraf denjenigen französischer Konzerne um mehr als vier Milliarden Dollar und betrug die Hälfte des britischen. Diese erfolgreiche Aufholjagd ist um so beeindruckender, wenn man bedenkt, daß die deutschen Konzerne nach den Niederlagen in den zwei Weltkriegen den Großteil ihrer Auslandsanlagen verloren hatten.

    Weder Frankreich noch Großbritannien konnten mit dem Tempo des westdeutschen Kapital­exports mithalten, was in der Unterlegenheit des Produktionspotentials gegenüber dem westdeutschen begründet war. Bezogen auf die Wirtschaftskraft wurde die Bundesrepublik eindeutig die stärkste Macht in Westeuropa.

    Der Verbesserung der ökonomischen Posi­tion entsprach die militärische Stärkung. (…) Innerhalb der NATO stellte die Bundesrepublik nach den Vereinigten Staaten die ökonomisch und militärisch stärkste Machtkonzentration; sie war zur wichtigsten Landmacht westlich des Eisernen Vorhangs geworden.

    Die Bundesrepublik als selbsternannter Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, das beim Griff nach der Weltherrschaft im Zweiten Weltkrieg gescheitert war, kam – neben Japan – der Rolle eines verspäteten Siegers schon sehr nahe. Den traditionellen Expansionstendenzen lagen maßgeblich wirtschaftliche Interessen zugrunde, und gemessen daran hat das deutsche Kapital (wie auch das japanische) beim »Wiederaufbau« so prächtig verdient wie kaum jemals zuvor.

    Die Nachkriegsperiode dauerte länger als die NS-Epoche und die nach 1890 einsetzende Hochindustrialisierung des Wilhelminischen Reiches. Unter dem Schirm der Vereinigten Staaten konnte westdeutsches Kapital jetzt in früher versperrte Regionen vordringen. Der lang gehegte Mitteleuropatraum kam nun in seiner ökonomischen Dimension einen großen Schritt voran. Dennoch reichte der westdeutschen Elite in Wirtschaft und Politik dieser ökonomische Aufstieg nicht aus – der dritte Griff nach Weltmacht wurde, je deutlicher die »pax americana« ihren Gipfelpunkt überschritt, allmählich wieder ein Thema politischer Überlegungen. Vermutlich hatten die westdeutschen Führungskräfte Lehren aus der Geschichte nicht ziehen mögen. Den Lagerwechsel vom Faschismus zur parlamentarischen Demokratie hatten sie ohne große Opfer, fast nahtlos, vollzogen; nicht zuletzt, weil die Siegermacht USA in ihnen einen leistungsfähigen Verbündeten beim Kreuzzug gegen die kommunistische Welt sah. Hierbei waren auf westdeutscher Seite zwei Strömungen zu unterscheiden: Die sogenannten Atlantiker, die als Emissäre Washingtons wirkten, und europa-nationalistische Kräfte um Franz Josef Strauß, die von Anfang an einen Weg gemeinsam mit Frankreich befürworteten. Ansonsten hatten sie vieles gemeinsam. Da war zunächst die Einschätzung, daß die USA nicht in der Lage sein würden, ihr Weltsystem im Alleingang auf Dauer aufrechtzuerhalten, sodann der Glaube an die besonderen militärischen Fähigkeiten Deutschlands.

    Den Atlantikern ging es offensichtlich darum, sich beizeiten an bester Stelle zu plazieren, um dann, wenn das US-System zusammenbräche, das größte Erbe anzutreten. Die Europa-Nationalisten wollten vorzeitig erben, also über den Ausbau der EWG die US-amerikanischen Schwächen sofort ausnutzen, die Abhängigkeitsfesseln lockern, was auch eine taktische Annäherung an die Sowjetunion einschließen konnte, wie etwa im Rahmen der Brandtschen Ostpolitik. Die Zeit war hierfür allerdings noch nicht reif; zunächst beendete die Entspannungspolitik zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion westdeutsche Machtträume, dann verwies der Kurswechsel der Regierung Reagan zurück zur Politik des Kalten Krieges die Bundesrepublik auf den angestammten Platz des kleinen Partners.

    Nahmen die beiden Strömungen die Grenzen einer westdeutschen Weltpolitik nicht wahr? Es sprach einiges gegen das Projekt einer Globalmacht Deutschland: Der Anteil an der Weltindustrieproduktion von damals lediglich fünf Prozent hätte Zweifel an der großen Ambition aufkommen lassen müssen. Die ökonomische Stärke war außerdem relativiert durch die starke Abhängigkeit sowohl von Fertigwarenexporten als auch von Rohstoffimporten. Das sogenannte Modell Deutschland erwies sich als sehr anfällig gegen Krisenerscheinungen in der Weltwirtschaft. Die geographische Lage, die geringe Größe des Territoriums und die Bevölkerungszahl waren weitere Faktoren, die den Schluß hätten nahelegen können, daß die Bundesrepublik für eine Weltmachtrolle nicht geeignet war.



    1 Am 25. März 1957 gründeten Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande und die BRD mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge die EWG. 1973 trat Großbritannien bei

    Werner Biermann/Arno Klönne, Ein Spiel ohne Grenzen. Politik und Weltmachtambitionen in Deutschland 1871 bis heute, 293 S., PapyRossa Verlag Köln, 17,90 Euro

  • 12.10.2021 16:55 Uhr

    »Wie sonst nur Marx«

    »Rosa« auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Das Grips-Theater zeigt einen Auszug aus dem neuen Stück. Ein Gespräch mit Volker Ludwig
    Christof Meueler
    David Baltzer/Zenit. Chor der Sozialdemokraten: Dietrich Lehmann
    Chor der Sozialdemokraten: Dietrich Lehmann als August Bebel, Daniel Jeroma als Bruno Schönlank, Joerg Westphal als Franz Mehring und Thomas Ahrens als Karl Kautsky

    Nomen est omen. Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag gibt es auch einen Kurzauftritt des Berliner Grips-Theaters, das eine kurze Szene aus seinem aktuellen Stück »Rosa« aufführen wird. Über das Luxemburg-Stück von Volker Ludwig und Franziska Steiof hieß es in dieser Zeitung, es sei »erfrischend und witzig«. Der Dramatiker, Autor und Leiter des Grips-Theaters Volker Ludwig, der gerade für sein Lebenswerk den »Faust«-Theaterpreis bekommen hat, wird auch anwesend sein und Fragen beantworten.

    (jW)

    Wie muß man sich den »Chor der sozialdemokratischen Führung« vorstellen?

    Das sind vier Personen: August Bebel, Karl Kautsky, Franz Mehring und Bruno Schönlank, ein Journalist aus Leipzig. Als Vertreter der Linken begrüßen sie Rosa Luxemburg auf einem SPD-Parteitag im späten 19. Jahrhundert, weil sie die Hoffnung haben, mit ihr besser gegen die Rechten in der Partei angehen zu können. Andererseits haben sie auch leichte Angst vor dieser Frau. Das ist ein richtiger schöner Männerchor. Sie erzählen von sich, von ihrer Vergangenheit, wie sie gelitten haben, was sie alles durchgestanden haben, die Partei jetzt bedroht wird von Opportunisten und daß sie hoffen, daß durch Rosa Luxemburg neues, kämpferisches Blut in die Partei kommt.

    Tritt Rosa Luxemburg auch selber in dieser Szene auf?

    Nein. Sie wird besungen, singt aber nicht mit. Die Szene auf diesem Parteitag zeigt, daß der Zug in Richtung Revolution in der SPD schon ganz früh abgefahren ist, viel früher als man gemeinhin annimmt: Schon 1890 und nicht erst 1914 oder 1918.

    Wie haben SPD und Linkspartei das Stück bislang aufgenommen?

    Interessanterweise waren die Reaktionen der Presse sehr gemischt – ganz so wies wie es sich für ein ordentliches politisches Stück gehört. Es waren richtig hämische und geifernde Kritiken dabei, die hatten wir lange Zeit nicht mehr gehabt. Darüber haben wir uns ebenso gefreut wie über sehr viele positive, begeisterte Kritiken.

    Und die Theaterfreunde von der SPD haben ganz schön an diesem Stück geknabbert. Luxemburg ist ja nie ein Thema bei der SPD. Manche von der Linkspartei hatten nur einzuwenden, daß ihnen das Stück stellenweise zu unpolitisch ist. Wir interessieren uns ja nicht nur für die Politikerin, sondern auch für diese Frau und ihre Geschichte.

    Politisch muß man sagen: Sie war eine konsequente Marxistin und ist weiterhin sehr aktuell. Ihre Definitionen des Kapitalismus haben sich derart bewahrheitet wie sonst nur die von Marx. Ihr Grundgedanke war der, daß man dem Kapitalismus nicht durch Reformen abschaffen kann, weil er ja auch nicht durch Gesetze eingeführt wurde.

    Trotzdem beziehen sich verschiedene Strömungen der Linken auf sie. Aus ihren Zitaten sucht sich jeder raus, was er gerade will, um sich seine Rosa zusammenzubasteln. Sie war auch eine bestimmende Figur in der Studentenbewegung der sechziger Jahre. Ich wollte schon damals ein Stück über sie schreiben, aber das hat dann nie geklappt.

    Kennen Sie andere Stücke über Rosa Luxemburg?

    Ich weiß nur von den gescheiterten Projekten. Es gibt ja ein Fragment von Brecht, und es gab zu dem Thema einen sehr merkwürdigen Tanzabend von Johann Kresnik an der Berliner Volksbühne. Ansonsten gibt es diesen Film von Margarethe von Trotta aus den achtziger Jahren mit Barbara Sukowa als Rosa. Sie hat wunderbar gespielt, nur nicht Rosa Luxemburg.

    Samstag, 10.1.: Chor der sozialdemokratischen Führung. Szene aus »Rosa« vom Grips-Theater auf der Rosa Luxemburg Konferenz, Urania, Berlin

  • 12.10.2021 16:56 Uhr

    Musik für die Details

    Warum man Vicente Feliú und Jose Andres Ordas Aguilera auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz hören muß
    Justo Cruz
    Das Denkmal John Lennon hat auch vor seiner Einweihung im Jahr 2
    Das Denkmal John Lennon hat auch vor seiner Einweihung im Jahr 2000 in Kuba viel bewegt
    Welche Musik hört eigentlich Fidel Castro? Darüber sind keine Informationen im Umlauf. Als der Maximo Lider 2000 das John-Lennon-Denkmal in Havanna einweihte, wurde er gefragt, ob er damals auch die Beatles gehört hätte. »Wo denken Sie hin? Wir hatten zuviel zu tun.« Im Kuba der Sechziger hörten andere die Beatles, die Kinks und auch Bob Dylan, Donovan oder Phil Ochs. Es waren Dichter, Künstler, Schriftsteller, die wie überall auch sonst in der Welt als Hippies rumliefen und dafür die entsprechenden Probleme mit der Polizei bekamen. Sie agierten als Straßenmusiker, waren laanghaarig und hingen lieber in Cafes ab, als auf dem Land zu arbeiten. Sie transformierten die avancierte Popmuik, die damals vielen stilistisch, lebensweltlich und rezeptionsästhetisch revolutionär vorkam, in einen Volksjazz für Anspruchsvolle, die Nueva Trova. Diese Bewegung der »neuen Lieder« hatte in den 50ern in Argentinien ihren Ausgangspunkt und breitete sich in ganz Lateinamerika aus. Anders als der anpsychedelisierte Tropicalismo oder der virtuos-reduktionistische Bossa Nova in Brasilien, wollte die Nueva Trova eine künstlerische Erweiterung des sozialistischen Alltags sein – mit Congas, Klavier und Gitarren –, in dem sie sich eben um die Details dieses Alltags kümmern. Liebes- und Kampflieder sollten andere singen. Musiker wie Pablo Milanes, Silvio Rodriguez oder Vicente Feliú entwickelten eine Art Bitterfelder Weg mit Groove – karibisch, cool und bewußtseinserweiternd, weil selbstbestimmt und experimentell und nicht von oben verordnet. Das ging Teilen der Kommunistischen Partei sehr auf die Nerven. Doch es wurde auch offiziell gefördert, das sind die berühmten unterschiedlichen Interessen im sozialistischen Staat. 1967 fand in Havanna das erste »Festival des Protestliedes« statt, und Anfang der 70er Jahre wurden die Musiker von der Jugendorganisation der KP auf Tourneen ins Ausland geschickt. Ähnlich wie in der »Singebewegung« der DDR mischte sich Partei- und Bohemekultur, denn für Kunst braucht man Gelder und Gelegenheiten. Als der Realsozialismus zusammenbrach und das durch jahrzehntelangen US-Boykott gebeutelte Kuba ökonomisch auf einmal ganz allein dastand, verließen manche das Land, weil sie von ihrer Musik nicht mehr leben konnten. Viele, wie Vicente Feliú und Jose Andres Ordas Aguilera blieben da, weil sie keine Zeit haben, sich um andere Dinge zu kümmern als um die Musik. Am Samstag spielen sie auf dem Konzert der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Hier sind vier Argumente, warum man sich die beiden Altmeister anhören muß. Vorgetragen von Justo Cruz, dem Deutschland-Koordinator von Cuba Si in Berlin. (jW)


    1.) Diese Musik ist sehr wichtig, weil sie zeigt, daß in Kuba die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht stillsteht. Die Künstler der Nueva Trova haben sich in ihren Liedern und Texten immer um die realen Probleme, die jeder hat, gekümmert. Zum Beispiel um die Probleme, die ich als ganz normaler junger Bürger habe, wenn ich die Musik hören will, die mir gefällt, egal, woher sie kommt. Und die Bücher lesen will, die mich interessieren, egal wer sie geschrieben hat. Sie sagen: Wenn du die Musik magst, dann sollst du sie auch hören! Die Künstler der Nueva Trova sind Botschafter des kubanischen Alltagslebens und des neuen Sozialismus, der sich jetzt in Kuba entwickelt. Armando Harst sagt: »Unser alter Sozialismus ist auf der Strecke geblieben, wir müssen ihn erneuern.« Das ist Ziel dieser Musik.



    2.) Die Nueva Trova steht für die Emanzipation im Sozialismus. Als ich in den 70er Jahren jung war, wollte ich auch anders ein, als es die Gesellschaft und meine Eltern von mir erwartet haben. Ich mochte es nicht, daß man versuchte, mir Vorschriften zu machen – ich wollte verschiedene Dinge ausprobieren, um meine eigene Identität auszubilden. Wenn man damals nicht ordentlich rumgelaufen ist, konnte man Probleme bekommen. Da gab es pädagogische Vorhaltungen, Ansichten und Strafen, darüber kann man heute auf Kuba nur lachen. Der kubanische Kulturminister Abel Prieto hat lange Haare – und er ist über 50.



    3.) Die Texte der Nueva Trova sind Poesie. Die sind lustig und traurig und vor allem sehr pointiert und intelligent. Die Musiker sind auch Dichter. Man kann sich hinsetzen und die Musik hören – und die Texte lesen und genießen. Das geht bei anderer kubanischer Musik nicht so gut. Da sind die Texte – wie auch sonst in der Popmusik – sehr vorhersehbar. Dazu kann man tanzen, aber die Texte sind egal. Die will man oft gar nicht wissen, weil sie es auch nicht wert sind. Das bekannteste Lied von Vicente Feliú heißt »Créeme«, auf Deutsch »Glaube an mich«. Den Text dazu kann auf Kuba jeder mitsingen: »Glaube an mich / weil ich so bin /und so werde ich niemandem gehören.«



    4.) Es ist wichtig, daß man im Ausland von Kuba etwas anderes als immer dieselben Klischees mitbekommt: Zigarren, Rum, Salsa undsoweiter. Wenn die Künstler der Nueva Trova nach Deutschland kommen, zeigen sie, daß man über Kuba immer noch viel zu wenig weiß. Was diese Künstler bewegt, ist nicht die Ökonomie, sondern die Politik und die Kunst.

    Samstag, 20 Uhr, Großer Saal der Urania, Rosa-Luxemburg-Konferenz, Berlin

  • 12.10.2021 16:56 Uhr

    Raus aus der EU!

    Dokumentiert. Alternativentwurf der Landesmitgliederversammlung der DKP Berlin für ein Programm der DKP zur Europawahl
    Gegen die Profiteure im eigenen Land und in der EU: Italienische
    Gegen die Profiteure im eigenen Land und in der EU: Italienische und französische Fischer reißen eine EU-Flagge nieder (Demonstration gegen hohe Benzinkosten in Brüssel, 4.6.2008)
    Am Samstag findet in Berlin die XIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz unter dem Motto »Internationalismus und Gegenmacht heute« statt. Die Podiumsdiskussion der Konferenz beschäftigt sich mit der Rolle der Europäischen Union, in der 2009 ein neues Parlament gewählt wird. Die DKP entscheidet – ebenfalls am Samstag – auf einer Bundeswahlkonferenz über eine Beteiligung an den EU-Parlamentswahlen. Der Landesverband Berlin hat in diesem Zusammenhang einen Alternativentwurf zu dem des Sekretariats des Parteivorstandes vorgelegt.

    Im Juni wird ein neues EU-Parlament gewählt. Zum Lissabon-Vertrag, der Neuauflage der gescheiterten EU-»Verfassung«, wurden die Menschen in den meisten EU-Mitgliedsländern nicht befragt. Die Wahlen sind daher eine Gelegenheit, unser Nein zur EU zu bekräftigen. CDU, SPD, FDP und Grüne werben für Wählerstimmen, um die EU zu stabilisieren, ihr Potential auszubauen und dem Widerstand der Bevölkerungen, wie er zum Beispiel in Frankreich, den Niederlanden und Irland sichtbar wurde, zu begegnen. Auch die Partei Die Linke stellt die Konstruktion der EU nicht grundsätzlich in Frage, sondern wirbt für Reformen, die die EU demokratischer, sozialer und friedfertiger machen sollen. Wir Kommunistinnen und Kommunisten halten das nicht für möglich, weil die EU ein imperialistisches Konstrukt ist. Die DKP kämpft für die Verbesserung der sozialen Lage der Werktätigen, gegen die Einschränkung der demokratischen Rechte und gegen Militarisierung und Krieg. Das aber kann nur im Kampf gegen die EU, nicht mit ihr oder für sie gelingen.

    EU – Pakt des Finanzkapitals

    Die EU hat nichts mit einem Zusammenwachsen der Völker zu tun und schon gar nichts mit Demokratie, Freiheit und Menschenrechten, wie es uns erzählt wird. Im Gegenteil: Die EU hat sich auf den Weg gemacht, ihren Platz unter den Großmächten zu behaupten. Sie will im verschärften kapitalistischen Konkurrenzkampf in erster Linie mit den USA nicht weniger als die wirtschaftsstärkste Macht der Welt werden. Zu diesem Zweck müssen die Akkumulationsbedürfnisse des europäischen Monopolkapitals bedient und dessen Profitmaximierung gesichert werden. Wo aber Profite der Konzerne, Banken und Versicherungen steigen, wächst auf der anderen Seite die soziale Unsicherheit der großen Mehrheit der Menschen, stehen Massenentlassungen, Standortschließungen, Privatisierungen und gesteigerte Arbeitsintensität bei sinkenden Löhnen an.

    Die EU ist das Instrument zur Optimierung der Handlungsspielräume der Banken und Konzerne, vornehmlich »Kerneuropas«, deren nationaler Aktionsrahmen zu klein geworden ist. Gestützt auf seine Rolle als Führungsmacht verfolgt das deutsche Monopolkapital erneut die alte Strategie des deutschen Imperialismus, eine aggressive wirtschaftliche, politische und militärische Expansionspolitik in Richtung Ost- und Südosteuropa und darüber hinaus bis zum Kaukasus und zum Nahen und Mittleren Osten zu betreiben. Bereits zweimal stürzte Deutschland beim Griff zur Weltmacht die Menschheit in die Katastrophe von Weltkriegen. Wir sagen: Nie wieder Faschismus und Krieg! Sozial- und Demokratieabbau stoppen!

    Machtzentren der EU

    Das Zweckbündnis EU ist kein Bündnis unter Gleichen. Tonangebend sind vor allem das französische und deutsche Finanzkapital. Diese Kapitalgruppen haben auf der einen Seite das gemeinsame Interesse, nationalstaatliche Wirtschaftsinstrumente abzubauen, um ihre Vormachtstellung in Europa durch einen ungehinderten Kapital- und Warenexport auszubauen. Die Erweiterung der EU auf 27 und künftig noch mehr Mitgliedstaaten zielt auf die Ein- und Unterordnung der ost- und südosteuropäischen Staaten mit ihren ökonomischen Ressourcen und ihrem Arbeitskräftepotential als abhängige Peripherie. Die größten europäischen Bank- und Industriemonopole beherrschen die Produktion, die Banken, den Handel und die Medien der ost- und südosteuropäischen Länder. Dem Abbau nationalstaatlicher Wirtschaftsinstrumente wirkt jedoch immer wieder die Konkurrenz zwischen den führenden Kapitalgruppen in der EU entgegen. Die Wirtschaftskrise zeigt deutlich, daß eine nationalstaatliche Regulierung, zum Beispiel durch Subventionen in Milliardenhöhe an deutsche Banken durch die Bundesrepublik, keineswegs zugunsten einer gemeinsamen Regulierung auf EU-Ebene aufgegeben wird.

    Mit diesen Expansionsbestrebungen einher gehen die Knebelung der Arbeiterbewegung, die Stärkung reaktionärer und faschistischer Kräfte und die Verleumdung der Ergebnisse des sozialistischen Aufbaus. Es geht um die Herausbildung von hochproduktiven Kernregionen in West und Ost, während das übrige Europa als Zulieferer von Billigarbeitskräften, Billigprodukten und als ein weithin industriell verödetes Umfeld weiter verarmt. Die Standortkonkurrenz wird von den Unternehmen genutzt, um Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialstandards in ganz Europa immer weiter nach unten zu drücken. So sind die Opfer auch in der BRD wie in den anderen ökonomisch starken Mitgliedsländern der EU alle nichtmonopolistischen Schichten der Gesellschaft und nicht zuletzt die Arbeiterklasse.

    Widerstand gegen die EU wächst

    Immer mehr Menschen erkennen den wahren Charakter der EU. Am »Non« der Franzosen und »Nee« der Niederländer scheiterte die EU-»Verfassung«. Die Iren lehnten ihre Neuauflage, den Lissabon-Vertrag, ab. Die Menschen folgten dem Aufruf, die Demokratie und ihre Souveränität sowie die Rechte der Arbeiterklasse und die öffentlichen Dienstleistungen zu verteidigen. Wie sehr die Herrschenden diese Bewegung fürchten, zeigt sich insbesondere in der BRD mit der Weigerung der Bundesregierung, Volksabstimmungen zum Lissabon-Vertrag durchzuführen. Die Art des Zustandekommens des Vertrages macht die Forderung nach einer Volksabstimmung über den sogenannten Reformvertrag zu einer demokratischen Grundsatzfrage.

    Die EU beruht auf einem Vertragswerk, in dem die politischen und ökonomischen Bedingungen für die Verwirklichung der Ziele ihrer Urheber festgeschrieben sind: Militarisierung, Sozial- und Demokratieabbau sowie Privatisierungspolitik. Dieser Vertrag bedeutet weitere Souveränitätsverluste für die Völker der EU-Mitgliedsländer, er bedeutet verpflichtende militärische Aufrüstungsprogramme, er bedeutet verschärfte Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Menschen. Der Kapitalismus soll durch den Vertrag als einzig zulässiges Wirtschaftssystem festgeschrieben werden. Daher ist die EU nicht für fortschrittliche Bewegungen instrumentalisierbar und in eine progressive oder gar revolutionäre Richtung transformierbar, wie es auch linke Parteien und Gewerkschaftsführungen propagieren. Die Verträge müssen gekündigt werden. Doch damit ist es nicht getan. Wie wir erlebt haben, machen die Regierenden in Frankreich, den Niederlanden und Irland so weiter, als hätte es das Nein in ihren Ländern nicht gegeben. Die Einschränkung und Überwindung der Macht der reaktionärsten Teile des Finanzkapitals kann nur durch die Zerschlagung der EU gelingen. Erst der grundlegende Bruch mit den monopolkapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen eröffnet eine soziale, demokratische und letztlich sozialistische Perspektive für Europa. Ein Schritt dorthin heißt: Deutschland muß raus aus der EU!

    In einzelnen EU-Ländern formiert sich Widerstand. Wir meinen nicht die rechten, nationalistischen EU-Gegner. Sie stehen stets an der Seite der Bourgeoisie ihres Landes, verschleiern die Klassengegensätze und können sich die Wiederherstellung der »Größe der Nation« nur auf Kosten anderer Nationen vorstellen. Wir meinen eine Bewegung, die eine gemeinsame Front gegen die Profiteure im eigenen Land und gegen das in Europa tonangebende Kapital bildet und in diesem Sinne zutiefst internationalistisch ist. Sie umfaßt schon heute beispielsweise polnische Bauern, rumänische Bergarbeiter wie beträchtliche Teile der Arbeiterklasse Griechenlands und EU-Gegner in Frankreich. In den verschiedenen Kampffeldern entwickelt sich auch grenzübergreifender Widerstand. So demonstrierten Arbeiter und Angestellte aus Europa gemeinsam gegen die sogenannte Dienstleistungs- bzw. Bolkestein-Richtlinie, die durch Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung im Bereich der Daseinsvorsorge den größten Angriff auf den Sozialstaat darstellt. Zudem steht die Richtlinie für die Aushebelung der Tarifautonomie und des Streikrechts in Deutschland, indem sie diese dem EU-Gemeinschaftsrecht unterwirft. Europäische Hafenarbeiter erteilten der geplanten EU-Richtlinie »Port Package« durch gemeinsame Streiks eine Absage und wehrten damit die Deregulierung ihrer Arbeitsverhältnisse ab. Studierende demonstrierten in ganz Europa gegen den sogenannten Bologna-Prozeß, der die Hochschulbildung vereinheitlicht, allein an Konzerninteressen ausrichtet und durch die Spaltung wissenschaftlicher Studiengänge in Bachelor- und Masterabschlüsse selektiv insbesondere Studierende aus der Arbeiterklasse weiter aus den Hochschulen drängt.

    Diese Kämpfe gegen die EU zu unterstützen, betrachten wir Kommunisten als unsere Aufgabe. Es geht darum, in den einzelnen Ländern antimonopolistische Kräfte zu formieren, die den Bruch in Form eines Austritts aus der EU vorantreiben. Diese Kämpfe gegen die EU sind es, in denen der Keim für ein anderes Europa wächst – ein solidarisches, ein sozialistisches Europa, das den Schulterschluß zu anderen antiimperialistischen Kräften wie Kuba, Venezuela, Bolivien, Vietnam u. a. sucht. Die Arbeiterklasse hat ein grundsätzliches Interesse an der Vereinigung der Völker gegen die aggressiven Ziele des Imperialismus. Ihr Erfolg erst bringt uns dem Ziel eines Zusammenlebens der Menschen in Europa näher, wie wir es anstreben:

    – ein Zusammenleben der europäischen Nationen, das nicht durch Dominanz und Unterordnung bestimmt wird, sondern durch Gleichberechtigung und Kooperation zum gegenseitigen Vorteil.

    – ein Zusammenleben, das nicht von einer abgehobenen bürokratischen Elite, die im wesentlichen die Interessen der großen Konzerne vertritt, ohne nennenswerte demokratische Kontrolle diktiert wird, sondern aus den souveränen Entscheidungen der Bevölkerungen erwächst.

    – ein Zusammenleben, das frei ist von der gewaltsamen und militärischen Durchsetzung des Anspruchs auf Kontrolle über die weltweiten Energieressourcen, sondern das als Friedensfaktor in den internationalen Beziehungen wirksam wird.

    Hauptfeind steht im eigenen Land

    Die Regierenden verweisen bei sozialen Konflikten gerne auf die Verantwortlichkeiten in Brüssel. Doch die scheinbare Machtlosigkeit des eigenen Staates ist eine politisch gewollte und die scheinbare Allmacht der EU-Institutionen ist eine von wenigen gesteuerte. Die Verträge, die die Abgabe nationaler Kompetenzen beinhalten, sowie alle wichtigen Weichenstellungen für die supranationale Herrschaftsausübung wurden und werden von kleinen elitären Zirkeln ausgearbeitet. Sie wurden und werden von den wirklich Herrschenden, von den Machteliten in den führenden Staaten, den Monopolkapitalisten, Banken und ihren politischen Parteien ausgehandelt und bei uns, wie in den anderen Ländern auch, vom Parlament abgenickt.

    Wer heute dagegen erfolgreich kämpfen will, setzt am besten dort an, wo sich die politischen Hebel befinden: dort, wo Menschen in den Betrieben arbeiten, eine Regierung unter Druck setzen und eine Öffentlichkeit für ihre Interessen mobilisieren können. Dort, wo die Arbeiterklasse die Eigentumsfrage an den wichtigsten Produktionsmittel stellen kann und damit die Macht der Monopole angreifen kann – das heißt für uns: hier in der Bundesrepublik Deutschland.

    Monopolherrschaft ist das Gegenteil von Demokratie. Die in den EU-Institutionen politisch verankerte Herrschaft steht einer politischen Verfaßtheit im Weg, in der alle Bürger in gleichem Maße am gesellschaftlichen Leben teilhaben und über alle öffentlichen Belange souverän entscheiden können. Dazu gehören: Volksabstimmungen zu allen wichtigen Verträgen mit anderen Staaten, die Verfügung über das öffentliche Eigentum, die Gestaltung der öffentlichen Daseinsfürsorge, Kontrollkompetenzen über den inneren Kapitalverkehr und die Gestaltung des Arbeitsrechts.

    Eine in diesem Sinne souveräne Nation bildet erst die Grundlage für eine gleichberechtigte zwischenstaatliche Kooperation, die zu einem sozialistischen Europa führen kann. Nur in diesem Sinne sagen wir »Ja zu Europa«. Dafür suchen wir die Zusammenarbeit mit allen antimonopolistischen und sozialistischen Kräften bei uns und in den anderen Ländern.

    Die EU bedeutet Sozialabbau

    Gegenwärtig führen die Regierungen aller Länder der Europäischen Union einen Generalangriff auf die in schweren Kämpfen erreichten sozialen Errungenschaften: durch Abbau und Privatisierung der Sozialversicherung und der Rentensysteme, durch Einführung von Marktgesetzen für die wesentlichen öffentlichen Dienstleistungen und Bereiche wie Gesundheit, Bildung, Kultur, für Gemeinschaftsgüter wie Wasser und andere Naturressourcen, durch Deregulierung des Arbeitsmarktes. Die EU versucht, diesen Prozeß durch verpflichtende Regelungen, zum Beispiel durch Arbeitszeitregelungen oder die Bolke­stein-Richtlinie, die Dienstleistungen liberalisiert, zu verfestigen, die niedrigsten Standards als verbindlich für alle Mitgliedstaaten durchzusetzen und dadurch die Kampfkraft der Arbeiterklasse in den einzelnen Ländern zu untergraben.

    In Deutschland stehen die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze für das Verarmungsprogramm und die Entrechtung der Beschäftigten, für die Zerschlagung des Tarifsystems und Lohndumping. Das deutsche Finanzkapital ist treibende Kraft in diesem Prozeß, es ist daher nicht nur eine Gefahr für die Menschen in der BRD, sondern für alle Völker Europas. So ist beispielsweise die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre und die Spaltung der Rentenansprüche in den Regionen in Deutschland ein Angriff auf das Rentensystem aller anderen europäischen Mitgliedstaaten. Daraus erwächst für die deutsche Arbeiterklasse eine besondere Verantwortung im Kampf um die Verteidigung sozialer und demokratischer Rechte, weil jeder Erfolg in diesem Land unmittelbar die Kampfbedingungen der Arbeiter- und Volksbewegungen in anderen EU-Ländern verbessert.

    Als Kommunisten sehen wir deshalb unsere Aufgabe darin, darüber aufzuklären, daß die Architekten der EU in Berlin und in den Chefetagen des deutschen Finanzkapitals sitzen und sich der Widerstand gegen sie richten muß. Das heißt für uns auch, aufzuklären gegen die Demagogie bürgerlicher und neofaschistischer Kräfte, die Deutschland zur »Melkkuh der EU« erklären. So leiten sie den berechtigten Unmut der Bevölkerung gegen die EU in nationalistische und rassistische Bahnen und lenken damit vom Hauptnutznießer der EU – dem deutschen Finanzkapital – ab.

    Die DKP kämpft für das Recht auf politischen Streik, die Einführung eines Mindestlohns, die 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, das Verbot von Ein-Euro-Jobs und Leiharbeit – Weg mit Hartz IV!, für die Senkung des Rentenalters, den Stopp von Privatisierungen und die Rekommunalisierung öffentlichen Eigentums und den Ausbau eines an den Bedürfnissen der Bürger ausgerichteten öffentlichen Dienstes.

    Die EU bedeutet Bildungsabbau

    Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, das Bildungswesen den Konzerninteressen anzupassen. Die bislang weitgehend öffentlich organisierten Bildungssysteme sollen in einen einheitlich strukturierten europäischen Bildungsmarkt integriert werden. Das bedeutet in erster Linie Privatisierung. Hochschul-, Schul- und Ausbildungsabschlüsse sollen europaweit angeglichen werden – auf niedrigem Niveau für die Massen und hohem für die sogenannte Elite.

    Die DKP kämpft für kostenfreie Bildung für alle vom Kindergarten bis zur Hochschule, für die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems – eine Schule für alle, für einen freien Hochschulzugang ohne Studiengebühren, eine Forschung und Lehre, die unabhängig von Kapitalinteressen ist und für ein Ausbildungsgesetz, das Unternehmen verpflichtet auszubilden.

    Die EU bedeutet Militarisierung

    Die EU trägt unter dem Banner »Demokratie, Freiheit und Menschenrechte« oder »humanitärer Hilfe« Kriege in alle Welt. Erklärtes Ziel ist der Aufbau eines Militärapparats, der in engster Kooperation, gegebenenfalls aber auch unabhängig von der NATO, in allen Teilen der Welt einsatzfähig ist. Es gibt heute kaum einen geostrategisch bedeutenden Ort in der Welt, an dem die EU nicht militärisch agiert. Dabei wird verschwiegen, daß Krisensituationen, mit denen die Einsätze meist legitimiert werden, durch die imperialistischen Hauptmächte selbst geschaffen werden.

    Der Lissabon-Vertrag beinhaltet eine Verpflichtung zur dauerhaften Aufrüstung für alle EU- Mitgliedstaaten und ermöglicht die Aufstellung eines EU-Rüstungshaushalts. Versuche, in die Aufrüstungsverpflichtung eine bindende Zielgröße von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstungsausgaben aufzunehmen, konnten bisher nicht durchgesetzt werden. Dies hätte für Deutschland eine Steigerung um etwa 30 Prozent des Rüstungshaushaltes zur Folge. Der Vertrag ermächtigt den EU-Rat zudem – unter dem Deckmantel des sogenannten Antiterrorkampfes – zu weltweiten Militärinterventionen auch ohne UN-Mandat.

    Die DKP kämpft für den Stopp aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, den Stopp der Rüstungsproduktion und deren Umwandlung in sinnvolle zivile Produktion (Konversion), die Umverteilung des Rüstungsetats in die Bereiche Bildung und Soziales, die Abschaffung der EU-Eingreiftruppe, den Austritt Deutschlands aus der NATO sowie für die Einhaltung und Weiterentwicklung der internationalen Abrüstungsverträge.

    Die EU bedeutet Demokratieabbau

    Der Generalangriff auf die sozialen Rechte der Mehrheit der Menschen wird von dem Ausbau totalitärer Sicherheitssysteme begleitet. Überwachung und Repression sollen jeden Widerstand im Keim ersticken. Zur Legitimierung der Aushebelung von demokratischen Grundrechten wird die Gefahr des »islamistischen Terrors« heraufbeschworen. Neofaschisten werden nicht bekämpft, sondern als Stichwortgeber genutzt und als letzte Reserve gehalten.

    Auf der EU-Agenda stehen u.a. die grenzüberschreitende Polizeiarbeit (Europol), der Datenabgleich von DNA-Analysen und Fingerabdrücken zwischen den Mitgliedstaaten und ein europäisches Fahndungssystem. Auf der sogenannten EU-Terrorliste befinden sich viele linke Organisationen wie die Kurdische Arbeiterpartei PKK oder die baskische Untergrundorganisation ETA. Die Politik der EU wendet sich gegen alle Organisationen, die sich gegen Ausbeutung, Unterdrückung und die Vorbereitung neuer Kriege wenden und für die der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist. Sozialistische und kommunistische Organisationen werden zunehmend kriminalisiert. Damit greift die EU rechte Traditionen europäischer Regierungen wieder auf wie das Verbot fortschrittlicher Organisationen in Spanien unter Franco und unter den griechischen Obristen. Vor diesem Hintergrund kam es 1956 auch zum bis heute gültigen Verbot der KPD in Deutschland. In diesem Zusammenhang steht auch das Verbot des tschechischen kommunistischen Jugendverbandes KSM. Die Erinnerungen an die Traditionen des antifaschistischen Kampfes und des sozialistischen Aufbaus sollen beseitigt werden. Der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist stets Antreiber bei der Perfektionierung der repressiven EU-Sicherheitspolitik – nicht zuletzt durch seine Forderung nach einem Bundeswehreinsatz im Innern.

    Die DKP kämpft für das Verbot von Schnüffelei und Onlinedurchsuchungen, den Stopp der Angriffe auf das Versammlungsrecht, die Abschaffung des Paragraphen 129a und b StGB (Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung), die Legalität aller kommunistischen Parteien und Organisationen, das Verbot des Bundeswehreinsatzes im Innern und für das Verbot und die Auflösung aller neofaschistischen Parteien und Organisationen.

    Die EU bedeutet Abschottung

    Die EU-Außengrenzen werden durch die militärische Grenzschutzagentur Frontex vor dem selbstgeschaffenen Flüchtingsstrom gesichert. Mindestens 10000 Menschen starben in den vergangenen zehn Jahren bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Im »EU-Pakt zu Asyl und Zuwanderung« wird die tödliche Abschottungspolitik festgeschrieben. Nur wirtschaftlich verwertbare Migranten sollen zeitlich begrenzt in die Mitgliedstaaten gelassen werden. Flüchtlinge, denen es dennoch gelingt, die Grenzen Europas zu überwinden, wird durch Sondergesetze ein Leben in Würde versagt.

    Die DKP kämpft für die Wiederherstellung des Rechts auf Asyl, das Bleiberecht für alle hier lebenden Flüchtlinge, gleiche Rechte aller in der BRD lebenden Menschen, die Abschaffung der menschenfeindlichen Abschiebepraxis und der Sondergesetze und für die Abschaffung der militärischen Grenzschutzagentur Frontex.

    Für eine Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag!

    Für ein linkes und antimonopolistisches Nein zur EU-Mitgliedschaft Deutschlands!

    Wählt DKP! Eine Stimme für die DKP ist eine Stimme gegen die EU!
  • 12.10.2021 16:57 Uhr

    Jazz ohne Ansage

    Etwas Besseres als Ska: Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz spielen Cool Breeze
    Stefan Malta
    »Ska und Calypso waren einmal die Musiken des zumindest tanzbewu
    »Ska und Calypso waren einmal die Musiken des zumindest tanzbewußten Proletariats. Um das aufzufrischen, sind Witze sehr wichtig«
    Manche sagen, Ska, das ist doch der Dixieland der Punks. Stimmung, Party, gute Laune, die Damen in den Innenkreis, die Herren in den Außenkreis, Foxtrott marsch. Aber es gibt doch gar keine Punks mehr und auch keinen Foxtrott. Aber Kulturkonservatismus überall. Zu was habt ihr denn getanzt? Ach, Ska, war voll gut. Macht man als 13jähriger und auch noch als 43jähriger. Muß aber nicht sein, wenn die Musik mächtiger ist als der Spießer in dir. Plumpe Wiederholungszwänge unterläuft man durch Verfremdung und Verfeinerung. Dann wird es lustig und spannend.

    Die Berliner Riesenband Cool Breeze machen keinen Ska, sondern Musik, die mit Ska zu tun hat. Aber mehr mit Jazz ohne Ansage. Eine Attacke für den ersten Tanztee am frühen Morgen. Zum knalligen Gurgeln und groovigen Kopfwackeln. Für das innere Gleichgewicht und das äußere Fieber nach langer Nacht.

    Stompende Bläser müssen sein. Viel Instrumentals, wenig Gesang, weil Refrains auch eine Form der Volksverdummung sein können. Wer weiß denn noch, daß Ska einmal die Musik der armen Leute war? Jamaikanischer Rhythm & Blues, neben Soul aus USA im Europa der Endsechziger erst die Musik der Mods, dann der Skins. Das waren nämlich die Mods, die sich nicht anpassen wollten. Rechts wurden sie erst in den 70ern. Da haben wir ihn wieder, den Kulturkonservatismus. Auch bei Linken weit verbreitet. Tatsächlich kann man die alten Skatalites-Titel ebensowenig mehr hören wie »Hawai Five-O«-Surf oder die frühen Beatles. Bitte nicht mit meinen Nerven.

    Cool Breeze aber geht es um andere Sachen. Die Leute sollen nicht bedient werden, die sollen sich befreien. Die sollen nicht immer so faul sein und auch nicht so verklemmt. Der Bandname ist erstmal nicht der originellste, aber wer weiß schon, daß das ein Titel des DJ-Style-Veteranen Big Youth ist? Cool Breeze nennen ihre Musik »Afroskalypso«. Das haut schon mehr rein. Ska und Calypso waren einmal die Musiken des zumindest tanzbewußten Proletariats. Um das aufzufrischen, sind Witze sehr wichtig. Auf der Website von Cool Breeze gibt es ein paar Blogeinträge zum Thema komische Witze aus Frankreich, die nicht komisch sind – aber in der Bonbonverpackung lauern. Es wird darüber gelacht, daß es nichts zu lachen gibt. Proletariatsallegorie, ick hör’ dir trapsen: »Pourquoi la vie des ampoules est-elle si fragile? Parce que’elle ne tient qu’a un fil! – Warum ist das Leben der Glübirnen so zerbrechlich? Weil es nur an einem Faden hängt!«

    Es zählt nicht humpa-humpa, sondern hyper-hyper. Kürzlich wurde in der Spex behauptet, Scooter seien in Wahrheit Dadaisten. Wenn man die Dinge so betrachtet, dann sind Cool Breeze der Prog-Rock des Reggae oder das Sound System der letzten Utopisten. Und Seeed? Eine Verschwörung der Kulturindustrie.

    Die zahlreichen Mitglieder von Cool Breeze kommen aus Ostberlin, Afrika, Musikschule oder Hobbykeller. Und natürlich aus anderen Bands, zum Beispiel Rakatak oder Hennecke Beat. Letztere haben ein schönes stachanowistisches Motto, das noch nicht in den Bonbonpapieren steht: »If punk is death we are all zombies.« Gilt für Ska schon lange. Cool Breeze machen keinen Ska, sondern etwas Besseres, Schöneres, Wahrhaftigeres. Am Samstag auf der Party der Rosa-Luxemburg-Konferenz in der Urania.

    Sa., 10.1., 22 Uhr, Loft in der Urania, An der Urania 17, Berlin
  • 12.10.2021 16:57 Uhr

    USA angezählt

    Neun Thesen zum Verhältnis von Vereinigten Staaten und EU nach der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten
    Johannes M. Becker
    Die Einsatzkräfte der Europäischen Union EUFOR stehen
    Die Einsatzkräfte der Europäischen Union EUFOR stehen nicht nur in Bosnien-Herzegowina (Foto) zum Ärger der USA, sondern auch im Tschad und im Kongo

    Am kommenden Samstag findet die XIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz unter dem Motto »Internationalismus und Gegenmacht heute« statt. Die Podiumsdiskussion »Europäische Union – das nette Imperium von nebenan« komplettiert die größte Theorie- und Strategieveranstaltung der bundesdeutschen Linken. jW beabsichtigt, die Diskussion zu beiden Themengebieten bis zur Konferenz mit Beiträgen auf den Thema-Seiten anzuregen.

    Trotz Wirtschaftskrise: Auch mit dem neuen US-Präsidenten
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    Trotz Wirtschaftskrise: Auch mit dem neuen US-Präsidenten Barack Obama soll »die Rolle Amerikas als Führer der Welt« unumstritten bleiben
    Barack Obama ist zur Freude vieler Beobachter der US-amerikanischen Verhältnisse zum neuen Präsidenten gewählt worden. Neben der vermutlich richtigen Einschätzung, daß jeder Präsident nach George W. Bush nur besser sein könne als dieser, und der positiv zu vermerkenden Tatsache, daß wenige Jahrzehnte nach der offenen, heute eher verdeckt existierenden Rassentrennung und -diskriminierung in den USA ein Farbiger zum Präsidenten gewählt wurde, gibt es einige Punkte, die nun zu diskutieren sind. Ein zentrales Problem ist das zukünftige Verhältnis von EU und USA, zu dem im folgenden neun Thesen aufgestellt werden.

    1. These: Die EU ist mehr noch als zu Bushs Amtsantritt vor acht Jahren ein ökonomisch gefestigtes Gebilde, ein wirtschaftliches und wirtschaftspolitisches Imperium.

    Die direkten Konsequenzen des Endes des Kalten Krieges waren zunächst ein Stopp des Wettrüstens (wenn auch nur von kurzer Dauer), die Akzeptanz der jeweiligen Gegenseite als vertrauens- und verhandlungswürdig, die stärkere Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Ost und West sowie die Aufgabe der DDR durch die sowjetische Führung. Hieran schlossen sich die Auflösung der Sowjetunion und ihres Wirtschaftsbündnisses an, des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW); nicht zu vergessen die Auflösung des Militärbündnisses der Warschauer Vertragsorganisation, kurz: das Ende der Ost-West-Konfrontation. Zwischenzeitlich war der deutsche Einigungs-, besser: Anschlußprozeß in Gang gekommen u. a. mit einer »Normalisierung« der deutschen Sicherheitspolitik. Dieser Prozeß wiederum wirkte wie ein Katalysator auf die Planung und Realisierung sowohl der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) der EU als auch der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Bei den großen westeuropäischen Partnern der Bundesrepublik verstärkte sich angesichts des neuen, 82 Millionen Einwohner zählenden Deutschlands die Neigung, dieses verstärkt und endgültig in Europa einzubinden. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) sollte am Beginn des neuen Jahrtausends zutreffend von der »Enttabuisierung des Militärischen« in Deutschland als einer der großen Leistungen seiner Regierungszeit (1998–2005) sprechen. Ein weiterer Effekt des Endes der Blockkonfrontation ist die Ost- und Südosterweiterung der EU um zehn Staaten am 1. Mai 2004 und um weitere zwei Staaten am 1. Januar 2007.

    Die EU beteiligt sich seit dem Beginn der 90er Jahre daran, das Machtvakuum auszufüllen, das durch die Auflösung der UdSSR entstanden war. Infolge dieses Vakuums erlebt der Prozeß der Globalisierung einen gewaltigen Aufschwung. Die USA veranlaßte es zu ihrer unilateralen Politik der »permanenten Intervention« und des »Kampfs gegen den internationalen Terror«. Die Systemkonkurrenz zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft/Kapitalismus ist vom innerkapitalistischen Wettbewerb der Interessenwahrnehmung abgelöst worden. Diese Interessen betreffen den Zugang zu und Zugriff auf die Schlüsselrohstoffe wie die Öffnung fremder Märkte und die Abschottung der eigenen.

    Die Wandlung der EU, in früheren Stadien Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Europäische Gemeinschaft (EG) genannt, zu einem tragenden und treibenden Faktor der Globalisierung kann heute konstatiert werden. Sie stellt aktuell mit zirka 500 Millionen Produzenten und Konsumenten das mit Abstand größte kohärente Wirtschaftsgebiet in der Konkurrenz der Industriestaaten dar. Zwischen 60 und 70 Prozent der Importe und Exporte wickeln die 27 EU-Länder untereinander ab. Nicht zu unterschätzen ist die gewachsene Rolle der EU-Staaten im Rüstungsexport.

    Als symbolischer Ausfluß der gewachsenen Bedeutung der EU im Verhältnis zu den USA könnte das »Briefing Book«, das Europa-Handbuch der Bertelsmann-Stiftung, betrachtet werden, mit dem die einflußreiche Einrichtung »Politikempfehlungen für den neuen US-Präsidenten und sein Team aus europäischer Sicht zusammen(faßt)«.1 Hier handelt es sich um einen außenpolitischen Forderungskatalog der EU-Staaten – zu Zeiten des Kalten Krieges nur schwer vorstellbar.

    2. These: Der Einfluß der derzeit geopolitisch unilateral agierenden USA hingegen wird in den kommenden Jahren vermutlich schwinden.

    Am 22./23.11.2008 berichtete das Neue Deutschland von einer US-Geheimdienststudie, die einen Aufstieg vor allem der Volksrepublik Chinas, aber auch Indiens für sehr wahrscheinlich hält; China wurde als kommende Wirtschafts- und Militärmacht gesehen. Dabei berücksichtigte die Studie nicht die Finanzkrise, die die von ihren Autoren festgestellten Tendenzen sicherlich noch verstärken wird.

    Es deuten sich derzeit tiefe Verwerfungen innerhalb der US-Gesellschaft an: Die bereits heute zu konstatierende Verarmung weiter Kreise der Bevölkerung dürfte tief in den Mittelstand ausgreifen. Die Bush-Ära hat das Land vor allem durch die immensen Rüstungs- und Kriegsausgaben in Irak und Afghanistan in eine erneute tiefe Verschuldung hineingeführt – eine Verschuldung übrigens, die großenteils durch die Handelsbilanz- und Devisenüberschüsse Chinas aufgefangen wird. Ob die Obama-Regierung die politische Kraft haben wird, den US-Staatshaushalt durch Abgaben auf immense Reichtümer und hohe Einkommen im Gegensatz zu Massensteuern einem Ausgleich entgegenzuführen, bleibt mit Skepsis abzuwarten.

    Soziale Aufstände in den USA gegen eine weitere Verarmung (so Rainer Rupp in jW vom 24.12.2008) werden nicht weiter ausgeschlossen. Die Bush-Regierung hat hiergegen neben dem polizeistaatlichen Patriot-Gesetz das neue Ministerium für Heimatschutz, ein Synonym für den rapiden Abbau persönlicher Freiheitsrechte geschaffen.

    Bei der Einschätzung der geschwächten internationalen Stellung der USA sind weitere Faktoren zu berücksichtigen: Der politische Loslösungsprozeß großer Teile Lateinamerikas von den USA geht unvermindert voran. Dessenungeachtet wird die nordamerikanische Hegemonialmacht eine Ausweitung der »bolivarischen Revolution« zunehmend mit Störmaßnahmen begleiten, unter Umständen sogar offen militärisch intervenieren (versteckt tun sie dies bereits in Bolivien, Venezuela etc.). Hier werden dann politische wie ökonomische Interessen der EU (und in wachsendem Maße Chinas) tangiert werden.

    Die USA haben bereits an mehreren Stellen versucht, den französischen und britischen Einfluß auf Afrika zurückzudrängen, zumindest zu stören. Allerdings ist die Verlegung von ­AFRICOM gescheitert; das neugeschaffene US-Oberkommando für Afrika muß einstweilen in Deutschland stationiert bleiben.

    3. These: Trotz der international geschwächten Stellung hat es die US-Administration unter Bush vermocht, einen Keil tief in die 2004 und 2007 erweiterte EU zu treiben.

    Dies gelang zum einen mit der »Koalition der Willigen« im seit 2003 währenden Irak-Krieg, als die Bush-Rumsfeld-Powell-Regierung neben Großbritannien zentrale EU-Länder wie Italien, Spanien und Polen in ihren »Kampf gegen den internationalen Terror« einzubinden verstand. Insgesamt konnte die US-Administration 44 Länder in die Auseinandersetzungen hineinziehen. Der Feldzug gegen den Irak des Hussein-Regimes war nach einer absurden, von Washington inszenierten Eskalierungsstrategie vom Krieg wegen vermeintlicher Massenvernichtungswaffen zum Rachefeldzug aufgrund der Schmach des 11. September mutiert, hinter dem freilich unübersehbar imperiale Rohstoffinteressen stehen.2

    Einen weiteren Keil trieben die USA in den EU-Staatenbund mit der virulenten Stationierung von US-Raketenabfangsystemen in Polen und Tschechien – diese wären eine direkte Provokation gegenüber Rußland. Wenn die EU die Ukraine und vor allem Georgien in absehbarer Zeit aufnimmt, wird sich dieser antirussische Aspekt vertiefen, an dem die Länder der EU der 15 kein Interesse haben. Obama hat die endgültige Entscheidung über den von der Regierung ­Bush geplanten Bau des Raketenschilds einstweilen vertagt.

    4. These: Die Politik des »divide et impera«, des »Teile und herrsche« der USA betrifft in erster Linie das Verhältnis der EU zur Russischen Föderation.

    Rußland ist mit seinen 142 Millionen Einwohnern zum einen ein wichtiger Markt für die EU-Staaten. Das Land liefert zum anderen derzeit gut 60 Prozent des in der EU verbrauchten Erdgases und Erdöls; ein Wert, der bis zum Jahre 2015 auf 75 Prozent ansteigen wird. Die EU muß also unabhängig von allen ethischen Fragen von Frieden und Sicherheit an einem guten Verhältnis zu Rußland interessiert sein. Dieses wird jedoch durch die in These 3 angesprochene Stationierungspolitik ebenso wie durch die fortwährenden Ausdehnungen von NATO und auch EU in Richtung russischer Grenzen in Frage gestellt.

    Wenn sich die westlich orientierten Kräfte in Georgien, der Ukraine (und Belarus) bereits derart stark von den Beitrittsversprechungen und EU-Erweiterungsaussichten animiert sehen, sollte von seiten entspannungsorientierter Kräfte über eine Aufnahme auch der Russischen Föderation in die EU nachgedacht werden – dann würde das Bündnis freilich einen anderen Charakter annehmen.

    5. These: Die US-Politik des »divide et impera« hat im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg jedoch noch ein für Washington unerwünschtes politisches Nebenprodukt erzeugt.

    Kanzler Schröders »Nicht jetzt und nicht an der Seite der USA« zu einer deutschen Irak-Kriegsbeteiligung, im Jahre 2002 freilich im Angesicht einer fast schon verloren geglaubten Bundestagswahl geäußert, hatte die Achse des »Alten Europa« (Rumsfeld) zur Folge. Das konservativ regierte Frankreich, immer auf Distanz zu den USA bedacht und den Irak sowieso eher als eigenes denn als US-amerikanisches Einflußgebiet ansehend, wollte der Bundesrepublik das politische Feld in der Frage des Umgangs mit den US-amerikanischen Eskalierungsstrategien gegenüber dem Irak nicht allein überlassen. Luxemburg schloß sich an; die »Koalition der Unwilligen« reichte schließlich über Moskau hinaus bis nach Peking.

    Nach und nach zogen sich dann einzelne EU-Staaten aus dem wenig Erfolg versprechenden und von einer wachsenden Unbeherrschbarkeit gekennzeichneten Land zurück: so auch Spanien, Italien und Polen.

    6. These: Der Afghanistan- wie der Irak-Krieg dürften neben dem Verhältnis zu Rußland zu den sensibelsten Politikfeldern im zukünftigen Verhältnis der USA zur EU werden.

    Die Bundesrepublik verstrickt sich aktuell immer tiefer in den Afghanistan-Krieg, der, wie sachkundige Beobachter übereinstimmend feststellen, militärisch nicht zu gewinnen ist. Die neue US-Regierung hat hier unmißverständlich eine verstärkte »Übernahme von Verantwortung« durch ihre europäischen Verbündeten gefordert. Während Obamas Vertreter einen sukzessiven Rückzug aus dem Irak ankündigten und diesen am Jahresende 2008 mit der Regierung in Bagdad vereinbarten, wird die neue Administration das US-Militär in Afghanistan auf etwa 40000 Soldaten verdoppeln, andere Schätzungen sprechen gar von 60000. Der deutsche Bundestag hat das Bundeswehrkontingent seinerseits um ein Drittel auf 4500 Soldaten aufgestockt. Der Einsatz der deutschen »Tornados« in Afghanistan hat übrigens die Zahl der zivilen Opfer in die Höhe schnellen lassen.

    Die indirekte Unterstützung des Irak-Krieges durch die Bundesrepublik könnte in diesem Zusammenhang eine neue Qualität erhalten. Bei einem tendenziellen Rückzug der US-Truppen könnte die Bundesrepublik mit ihrem Konzept der »zivil-militärischen Zusammenarbeit« unter Umständen in eine neue Rolle schlüpfen. CIMIC (Civil Military Cooperation) ist jedoch lediglich eine politische Mogelpackung zur Legitimierung einer weiteren Besatzungspolitik.

    7. These: Mit Blick auf Irak und Iran können die Interessen von USA und EU in erhebliche Widersprüche geraten.

    Die Ölvorkommen des Nahen und Mittleren Ostens stehen auch im Focus der EU, nicht zuletzt, um die in These 4 angesprochene wachsende Abhängigkeit von Rußland zu vermindern. Auch wegen dieser Abhängigkeit wird in Berlin von der »Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch« gesprochen und schlug die EU eine umfassende Militarisierungspolitik ein.

    Auf der anderen Seite praktizieren die USA eine Monopolpolitik bei der Vergabe von Ausbeutungsrechten des irakischen Öls. Gegenüber dem Iran betätigen sie sich, neben der Regierung Israels, als aggressivster politischer Akteur. Die Vision des zukünftigen US-Vizepräsidenten Joseph Biden von einer »anstehenden außenpolitischen Prüfung« der Obama-Administration in ihrer ersten Amtszeit dürfte auf den Iran bezogen sein. Biden gießt hier eindeutig Öl ins Feuer.

    8. These: Die sich abzeichnende Regierungsequipe Obamas läßt den Gedanken an einen »Change« vermissen und Schlimmes befürchten.

    Die Berufung von James Jones, dem ehemaligen NATO-Oberbefehlshaber in Europa, als Nationalen Sicherheitsberater und von Zbigniew Brzezinski, ehemaliger National Security Advisor, als außenpolitischen Berater lassen nicht auf einen Wandel der US-amerikanischen Politik schließen. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man beachtet, daß der von George W. Bush ins Amt gebrachte Robert Gates weiterhin Verteidigungsminister bleiben und Rahm Emanuel, bekannt für seine neokonservative prozionistische Linie, Stabschef im Weißen Haus werden soll. Auch die designierte Außenministerin Hillary Clinton ist bislang nicht als Kritikerin einer Politik des waffenstarrenden Unilateralismus in Erscheinung getreten. Weiterhin findet sich im gesamten »Dream-Team« Obamas (Stand Ende Dezember 2008) keiner der 23 Senatoren und 133 Abgeordneten des Repräsentantenhauses, die gegen den Irak-Krieg gestimmt hatten.

    Als Chefökonomen hat Obama den neoliberalen ehemaligen Finanzminister von Expräsident William Clinton, Lawrence Summers, ernannt. Aus seiner Zeit als Chefökonom bei der Weltbank dürfte noch bekannt sein, daß er damals argumentierte, den Giftmüll westlicher Industrie­nationen in Länder der »Dritten Welt« zu exportieren, da die Lebenserwartung dort ohnehin geringer und wegen der niedrigen Löhne das Leben auch weniger wert sei.
    Als Mitglieder seines Economic Advisory Board wählte Obama unter anderem Anne Mulcahy und Richard Parson, die beide Direktoren des kürzlich verstaatlichten Hypothekenbank Fannie Mae waren, die wegen Spekulationen mit »Schrotthypotheken« bankrott ging. Das in der Finanzkrise wohl wichtigste Amt in Obamas Kabinett, das des Finanzministers, geht an den bisherigen New Yorker Notenbankpräsidenten Timothy Geithner. Geithner war bereits an der Konzeption des US-Bankenrettungsplans beteiligt. Er agierte von Anfang an als Teil der Spitzentroika gemeinsam mit Finanzminister Henry Paulson und US-Notenbankchef Ben Bernanke gegen die Kreditkrise und ist einer der wichtigsten Architekten der Rettung der Investmentbank Bear Stearns im März 2008 und der Milliardenspritze für den Versicherungsriesen AIG. Dies läßt vermuten, daß sich an der bisherigen Finanzpolitik und -architektur der Weltfinanzmärkte nichts wesentlich verändern wird.

    Obama stellte fest, daß es in dieser »unsicheren Welt« Zeit für einen pragmatischen Neuanfang sei. In der Außen- und Sicherheitspolitik müsse sein Land »eine neue Strategie verfolgen, die gekonnt alle Instrumente amerikanischer Macht nutzt und ins Gleichgewicht bringt: Militär und Diplomatie, Geheimdienste und Rechtstaatlichkeit, Wirtschaft und moralisches Vorbild«. Man beachte die Prioritäten. Sein Team, so Obama weiter, »repräsentiert all diese Elemente der Macht Amerikas« und teile seinen »Pragmatismus bei der Nutzung der Macht« sowie die Einstellung zur »Rolle Amerikas als Führer in der Welt«.3

    Interessant ist auch ein Blick auf Obamas Geldgeber. Nach einer Studie des Centers for Responsive Politics spendeten die Technologieunternehmen im Silicon Valley rund fünfmal soviel für Obama wie für seinen republikanischen Widersacher John McCain. Und 91 Prozent der Techno-Firmen im Valley unterstützten den Demokraten aus Chicago. Mit anderen Worten: »Das Silicon Valley hat kräftig in Obama investiert, Millionen von Dollar. Obama ist der Präsident, den die IT-Branche wollte.«4 Unter den größten Geldgebern finden sich: 1. Goldman Sachs (Bank) 523478 US-Dollar; 2. University of California 339168 US-Dollar; 3. UBS (Bank) 327302 US-Dollar; 4. JP Morgan (Bank) 317142 US-Dollar; 5. Lehman Brothers (Bank) 302697 US-Dollar; 6. Citigroup (Bank) 301146 US-Dollar; 7. National Amusements (Kinokette) 293022 US-Dollar; 8. Sidley Austin (Anwaltskanzlei) 271857 US-Dollar; 9. Harvard University 268491 US-Dollar; 10. Google (Internet) 259010 US-Dollar.5

    Aus dem Artikel geht hervor, daß Obama von einigen Finanzhäusern unterstützt wird, seit er im Jahr 2006 für den Class Action Fairness Act stimmte. Dieses von den Republikanern eingebrachte und seit dem 18. Februar 2005 geltende Gesetz schränkt das im angelsächsischen Recht bedeutsame und traditionsreiche Rechtsmittel der Sammelklage deutlich ein. Künftig können Geschädigte, die gemeinsam gegen große Unternehmen klagen wollen, ihre Klagen nur noch bei Bundesgerichten und nicht mehr bei Bezirksgerichten oder solchen der Bundesstaaten einreichen. Damit sind die Klagemöglichkeiten geschädigter Verbraucher, etwa gegen die Zigaretten- oder die Asbestindustrie, erheblich eingeschränkt worden.

    Insgesamt hat Obama fast 600 Millionen Dollar Wahlkampfunterstützung erhalten. Das sind nur etwa 97 Millionen weniger, als 2004 Bush jun. und sein demokratischer Kontrahent John Kerry zusammen zur Verfügung standen.

    9. These: Die eingangs gestellte Frage kann heute noch nicht eindeutig beantwortet werden.

    Nach allen bisherigen Informationen wird die Hoffnung auf einen »real Change« durch Obama schneller enttäuscht werden als befürchtet. Die US-Politik dürfte sich in den kommenden Jahren im besten Falle als geschwächter, »smarter Imperialismus« zeigen.

    Solange sich die EU in einen Wettbewerb der »Imperien« begibt, scheint ihre Position strukturell schwach. Dies könnte anders sein, wenn sie einen taktischen Wechsel in ihrer Sicherheitspolitik vornähme: fort von der Kopie des US-Interventionsmodells, des »divide et impera« und der Aufrüstung, um mit den US-Amerikanern auf Augenhöhe verhandeln und Politik machen zu können, hin zu neuen »terms of trade« vor allem mit Entwicklungsländern. Hierzu hat sie gute Chancen. Wirkungsvolle soziale Bewegungen innerhalb der EU (und der USA), die die derzeitige tiefe Krise des Kapitalismus zu einem grundsätzlichen antimarktwirtschaftlichen Richtungswechsel nutzen könnten, sind indes nicht zu erkennen. Wobei die Aufstände der Jugendlichen in Griechenland Ende letzten Jahres oder in Frankreich zwei Jahre zuvor als eine Art Krisenindikator nicht unterschätzt werden sollten.

    In jedem Falle scheint die Voraussage von einem Ende des US-Imperiums in seiner heutigen Form durch Johan Galtung nicht weiter utopisch; der norwegische Friedensforscher hat bereits mehrfach den Niedergang der USA aufgrund von endogenen wie exogenen Faktoren für das Jahr 2020 vorausgesagt.

    1 www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/bst/hs.xsl/nachrichten_91306.htm

    2 Siehe dazu: Johannes M. Becker/Herbert Wulf (Hg.), Zerstörter Irak – Zukunft des Irak. Der Krieg, die Vereinten Nationen und die Probleme des Neubeginns, Schriftenreihe zur Konfliktforschung des Zentrums für Konfliktforschung der Universität Marburg, Münster 2008

    3 www.sueddeutsche.de/politik/157/449881/text/

    4 www.handelsblatt.com/politik/news/barack-obama-der-tech-praesident;2083571

    5 www.rankaholics.de/w/die+groeßten+geldgeber+von+barack+obama_1805

    Johannes M. Becker gehört zur Leitung des Zentrums für Konfliktforschung der Universität Marburg

  • 12.10.2021 16:58 Uhr

    Gutes Neues

    Neujahrsempfang der Linken: Rosa-Luxemburg-Konferenz bietet praktische und theoretische Erfahrungen aus vier Kontinenten an
    Protest gegen Israels Krieg im Gazastreifen, Paris am 30. Dezemb
    Protest gegen Israels Krieg im Gazastreifen, Paris am 30. Dezember 2008
    Wenn sich am kommenden Samstag wieder über 2000 Linke zum Jahresauftakt in der Berliner Urania treffen, gibt es neben der Podiumsdiskussion auch viele kulturelle und kulinarische Genüsse. Im Mittelpunkt stehen in diesem Jahr ein Konzert zum 50. Jahrestag der kubanischen Revolution und zur Erinnerung an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Und wie jedes Jahr die Beiträge von internationalen Gästen.

    Die Vortragsreihe der XIV. Rosa-Luxemburg-Konferenz steht unter dem Motto »Internationalismus und Gegenmacht heute«. Sie wird um 11.00 Uhr von Klaus Gietinger eröffnet, der als Regisseur von Tatort-Krimis und anderen erfolgreichen Filmprojekten sowie als Buchautor bekannt ist. Gietinger hat die Forschungsarbeiten der verstorbenen jW-Genossenschafterin Doris Kachulle über einen der Hintermänner des Mordes an Rosa Luxemburg mit eigenen Recherchen ergänzt. Daraus entstand sein Buch »Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere«, das im Januar bei Edition Nautilus erscheint. Der Offizier Pabst gehörte nun wahrlich nicht zu den Sozialdemokraten, aber er handelte in Absprache mit deren Führungspersonal. Gietinger nennt seinen Beitrag für die Konferenz denn auch »Eine Lizenz zum Morden – Das Duo Waldemar Pabst und Gustav Noske«. Ein Beispiel dafür, daß die Klassenkämpfer auf der anderen Seite der Barrikade gemeinsame Sache machen, wenn es darauf ankommt. Erfolgreiche Gegenmacht kann deshalb auf dieser Seite nur durch solidarische Zusammenarbeit entstehen – über alle Unterschiede, Widersprüche und Grenzen hinweg.

    Auch beim zweiten Vortrag wird das deutlich. Der Soziologe Prof. Dr. Imad Samaha (Lebanon University, Mitglied der KP Libanon) wird über die aktuelle Entwicklung im Nahen Osten sprechen. Daß er dabei den Schwerpunkt auf einen aktuellen mörderischen Krieg legen muß, konnten wir beim Planen der Konferenz nicht wissen. Wie ist das Verhältnis der Kommunisten zu den islamistischen Gruppen, wie kann Gegenmacht entwickelt werden und welche Rolle wird die Entwicklung von internationaler Solidarität für den Fortgang der Dinge spielen?

    Der nächste Referent kommt aus Italien. Der Philosoph Domenico Lo­surdo wird über Grenzen der Zusammenarbeit sprechen: Welche Kräfte stehen tatsächlich für Veränderung? Und welche bieten lediglich an, die bestehenden Verhältnisse zu kaschieren und damit zu verlängern? Nicht nur unter Italiens Kommunisten sind heftige Strategiedebatten entbrannt. Sozialpartnerschaftliche Illusionen sind unter den Bedingungen einer aggressiven imperialistischen Machtstrategie des Kapitals, die auf nichts und niemand mehr Rücksicht nehmen will, immer schwerer zu vermitteln. Im Gegenzug gibt es eine Rückbesinnung auf Ideen von Karl Marx und W.I. Lenin – bis ins bürgerliche Lager hinein. Welche Auswirkungen hat das für die organisierte Arbeiterbewegung in Italien und in Europa?

    Die Entwicklungen in den USA widersprechen scheinbar dieser Erkenntnis: Da hat es ein Mann zu Präsidentenwürden gebracht, in dem sogar eingefleischte Linksradikale einen Hoffnungsträger sehen. Welche Möglichkeiten für Veränderungen hat Obama? Verändern sich die Kampfbedingungen der US-amerikanischen Linken? Ist ein neuer Auftrieb außerparlamentarischer Aktivitäten zu erwarten oder werden diese nun überflüssig? Unter anderem darüber wird als nächstes Sara Flounders vom Internacional Action Center der USA zu den Gästen der Konferenz sprechen.

    Der vierte Vortrag wird den Regierungswechsel in den USA eher am Rande erwähnen. Georgina Alfonso Gonzáles, stellvertretende Leiterin des kubanischen Philosophie-Instituts, weiß, daß es vor allem die Präsidenten der Demokratischen Partei waren, die die schärfsten Sanktionen gegen Kuba durchsetzten. So wird sie sich in ihrem Beitrag vor allem darauf konzentrieren, wie nach 50 Jahren die wichtigsten Errungenschaften der Revolution auch unter neuen Bedingungen aufrechterhalten werden können. Kuba ist eines der wenigen langlebigen praktischen Beispiele dafür, daß Gegenmacht möglich – und internationale Solidarität eine der Existenzbedingungen dafür ist.

    Die europäische Linke bezieht sich viel zu sehr auf sich bzw. auf europäische Verhältnisse. Daß aber für die meisten Menschen nicht die USA oder Europa das Maß aller Dinge stellen, daran erinnert Ahmat Dansokho, Generalsekretär der Partei der Unabhängigkeit und Arbeit Senegals (PIT). Dansokho haben wir eingeladen, um über die Erfahrungen des Kampfes der Arbeiterklasse in Afrika zu berichten und über seine Kontakte zu Che, mit dem er gemeinsam im afrikanischen Dschungel gekämpft hat. Seine Genossinnen und Genossen sind aktuell von einer Verhaftungswelle betroffen, es gibt Fälle von Folter. Internationale Solidarität ist auf der Konferenz nicht nur eine theoretische Frage der Strategie und Taktik, sondern eine ganz praktische.

    Das belegt auch der Beitrag von Mumia Abu-Jamal, den der Journalist und politische Gefangene nur wenige Tage vor der Konferenz persönlich über Telefon auf Band spricht. Die Konferenzteilnehmer werden am kommenden Samstag Mumia im Originalton aus der Todeszelle sprechen hören. Zwischen den Hauptbeiträgen wird es auch auf der kommenden Konferenz eine Reihe von Grußadressen und Kurzbeiträgen geben.

    Wie in jedem Jahr läuft der Vorverkauf auf Hochtouren. Karten können Sie noch bis Montag beim Aktionsbüro bestellen. Wenn Ihre Bestellung bis Montag eingeht, schicken wir Ihnen die Karten zu. Ab Dienstag werden Karten nur noch reserviert, die Sie dann bitte am Samstag bis 10.30 Uhr an der Tageskasse abholen. Bitte beachten Sie, daß reservierte Karten danach in den normalen Kartenverkauf gehen. Rechtzeitiges Erscheinen sichert Ihnen einen guten Platz im großen Saal der Urania. Falls der aber nicht ausreicht, übertragen wir die Veranstaltung in einen zweiten Saal. Karten können darüber hinaus bis Freitag in der jW-Ladengalerie (Torstraße 6, 10119 Berlin, Nähe Alexanderplatz) von 10 bis 18 Uhr oder im Laden der Antifa red stuff (Waldemarstraße 110, 10997 Berlin) von 14 bis 19 Uhr erworben werden.
    Verlag, Redaktion, Genossenschaft
  • 12.10.2021 16:58 Uhr

    Einfach für die großen Dinge

    Wo tanzt der rote Stern? Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz spielen Bernd Köhler und ewo2
    Christof Meueler
    Kein Kitsch, keine Überwältigungsästhetik, keine Oldies-but-Gold
    Kein Kitsch, keine Überwältigungsästhetik, keine Oldies-but-Goldies-Lügen
    Bernd Köhler ist schneller als die Klischees. Vergleichbar mit Lucky Luke, der auch schneller zieht als sein Schatten. Sozusagen die Avantgarde in der eigenen Propaganda. Deshalb ist er natürlich besser als manche seine Linernotes, in denen tatsächlich ein »bunter Strauß neuer Songs und Texte« annonciert wird. Logischwerweise ist er auch viel interessanter als sein Genre, file under »deutsche Liedermacher«, ratzepüh. Das liegt unter Umständen daran, daß er aus Mannheim kommt, file under Arbeiterbewegung, Herbert-Mies-City. Liegt gegenüber von Ludwigshafen, der Helmut-Kohl-Stadt. In der Gegend hat man die Gesamt-BRD mit ihren Minderheit-Mehrheit-Widersprüchen ziemlich gut im Autofocus.

    Bernd Köhler ist aber vor allem schneller als die Klischees, weil er direkt zur Sache kommt. Einfache Worte für die großen Dinge. Liebe und Revolution, darunter geht nichts, gerade im Alltag. Der ist nämlich keine Entschuldigung, sondern zu verändern. Soviel zur berühmten Inhaltlichkeit, die angeblich die Form bestimmt. In Wahrheit bilden aber Form und Inhalt ein dialektisches Verhältnis, schrauben sich gegenseitig hoch oder schreiben sich gegenseitig ab und nieder.

    Bei Köhler ist die Musik sehr bedacht. Die läuft nicht nur mit, sondern macht sich eigenständig, traut sich was, haut rein, schwankt auch mal und kitzelt. Sie wartet und rauscht davon, will was und kommt zurück. Bei Liedermachern selten anzutreffen. Da gibt es immer noch das Gitarrengehaue (1.Generation), die süßliche Weltmusik (2.Generation) und neuerdings das Indiegepose (3. Generation). Köhler kennt sie alle und macht lieber Kunst. Und so kommt es, daß er und ewo2, »das kleine elektronische Weltorchester« die Klassiker der Linken spielen, ohne daß die Leute für dumm verkauft werden. Auf der Platte »avantipopolo« gibt es keinen Kitsch, keine Überwältigungsästhetik und keine Oldies-but-Goldies-Lügen. Ewo2 können sogar »Die Internationale« bringen, daß man ganz gespannt ist. Sehr vorsichtig, fast schon zärtlich wird das Lied extrapoliert. »Free Mumia« dann mit Schmackes, Big Beat und Call and Response und »Linker Marsch« eher ironisch, aber nicht denunziatorisch. Denn Köhler spielt »für die Sache der Linken« (Ulrike Meinhof).

    In den 60ern fing er schon damit an, machte Skiffle und dann in den Siebzigern und Achtzigern die große Tour über die Berge und durch die Wüste der Jugendzentren, Gewerkschaftshäuser, DKP-Kampagnen und Streikcafés. Da hieß er noch »Schlauch« und hielt die Gitarre für alle Fälle. Mit »Gute Tradition (Nazis raus aus unsrer Stadt« im Mannheimer Rosengarten 1978 gegen die NPD oder dem »Stahlwerkersong« 1983 für die große Kumpel-Demo in Bonn 1983 – kein Ding, links, links, links. Einfache Mitmach/Mitsinglieder, auch heute noch viel weniger museal, als man befürchten könnte. Aber vor allem hat sie Köhler im Mai 1989 selber noch mal öffentlich betrachtet und geprüft. An zwei Abenden hat er zusammen mit Hans Reffert, der auch beim ewo2 mitspielt, eine Veranstaltung gemacht, die nannte er »Bernd Köhler singt Schlauch«, und auf dem Bühnenhintergrund war eine Rote Fahne mit Fragezeichen. »Linker Vogel/Schräger Kauz« sang er da und alle wußten, vorbei, vorbei, aber egal, war ja wahr und wird wahr bleiben. Wenn die alten Modelle auseinanderfallen, braucht man eben neue. Und genau die hat die handelsübliche Sozialdemokratie am wenigsten zu bieten.

    Auf seiner Platte »Die neue Welt« hat Köhler 2007 aus dem Untergang des Realsozialismus eine Art kurzes Sprechgesangtheaterstück geformt: »Der Frachter wurde in voller Fahrt getroffen / Dampf unterm Kessel, stramm gegen den Wind / früher hieß es noch wegbrechende Märkte / oder zu große Riskiken der Eigner / hätten zum Absaufen geführt – doch das? (…) wir hatten Fracht geladen / bis unters Deck gestapelt, feinste Ware (…) dann sahen wir die Rudel von Helikoptern, wie sie einschwenkten / über dem aufgerissenen Schiffsbauch die Waren aushoben / unsere Schreie und Hilferufe – einfach ignoriert (…) rechtlos, vogelfrei, irgendwann dann versenkt – im friendly fire«. Dazu bohrt die Musik, als wäre es ein frühes Stück der Velvet Underground. Köhler hat sich das alles gut überlegt. Er will den »roten Stern zum tanzen bringen«. Abends auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz.

    Bernd Köhler und ewo2 spielen am 10.1. auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, ab 20 Uhr im großen Saal der Urania, Berlin

  • 12.10.2021 16:58 Uhr

    Bürger gegen Rosa

    Die Rosa-Luxemburg-Konferenz wird heftig angegriffen. Das erschwert deren Vorbereitung, verhindert aber nicht ihren Erfolg
    Rosa auf dem Weg zum Berliner Rosa-Luxemburg-Platz
    Rosa auf dem Weg zum Berliner Rosa-Luxemburg-Platz
    Der Berliner Bildhauer Rolf Biebl teilt uns diese Woche mit, daß der Zweitguß seiner Rosa-Luxemburg-Statue vom Herstellungsort in Tschechien eingetroffen ist. Am 11. Januar soll die Statue am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz um 14 Uhr aufgestellt werden. Die Vorankündigung dieses Ereignisses hat einigen Wirbel verursacht. So hat die Zeitschrift Focus bei diversen Behörden nachgefragt, ob denn auch alle Genehmigungen für das unerwünschte Denkmal vorliegen. Vor zehn Jahren wurde im Rahmen der vierten Rosa-Luxemburg-Konferenz in der Volksbühne der erste Versuch unternommen, Rosa L. an historischem Ort vor dem Eingang zum Karl-Liebknecht-Haus aufzustellen. Doch dort wurde sie nicht lange geduldet: »Indem am Liebknecht-Haus ein Luxemburg-Denkmal installiert wird, würde der Mythos von ›Karl und Rosa‹ reproduziert«, sagte Thomas Flierl, damals kulturpolitische Sprecher der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, gegenüber junge Welt.

    Es gibt verschiedene Gründe, die Erinnerung an die Mitbegründerin der KPD und ihre Positionen nicht zu dulden. Rosa Luxemburg stehe bei vielen irrtümlich für die weiche, gewaltfreie, tolerante Variante des Kommunismus, schreibt Hans Olaf Henkel, ehemaliger IBM-Deutschland-Chef und Ex-BDI-Präsident, in seinem Buch »Der Kampf um die Mitte – mein Bekenntnis zum Bürgertum«. Im Film habe man sie durch die Schauspielerin Barbara Sukowa verherrlichen lassen. Und Salonlinke wie Walter Jens würden sogar behaupten, die Humanität unserer Gesellschaft werde sich auch danach bemessen, inwieweit das Erbe der Rosa Luxemburg in Ehren gehalten wird. Dabei habe Jens »geflissentlich übersehen, daß die Luxemburg selbstverständlich die marxistische Doktrin von der Diktatur des Proletariats vertrat« – und sich zum Klassenkampf bekannte. Trotzdem oder genau deswegen lädt »die Zeitung Junge Welt – das einstige FDJ-Zentralorgan – in Berlin zur traditionellen Rosa-Luxemburg-Konferenz«: »Sie gilt heute als wichtigstes Symposium der Neomarxisten, in dem nach dem harmlosen Motto ›Das geht anders‹ mehr oder weniger offen zum Systemwechsel aufgerufen wird«, berichtet Henkel entsetzt.

    Ganz so harmlos hält die Deutsche Bahn das Motto der kommenden Konferenz nicht, immerhin ein Rosa-Luxemburg-Zitat, das Henkels Einschätzung bestätigt. Deshalb wurde von der Deutschen Eisenbahnreklame mitgeteilt, daß die bereits angemieteten Werbeflächen an allen S-Bahnhöfen Berlins im Gegensatz zu den vergangenen Jahren nicht mit dem Konferenzplakat beklebt werden dürfen. »Politische Motive sind laut Werbeflächenvertrag nicht genehmigt«, hieß es plötzlich und ohne weitere Begründung. Zunächst gab es Hoffnung: »Ist Ihnen vielleicht ein neutraleres Plakat möglich? Die Jahre davor hat es ja auch immer geklappt.« wurde von der vermittelnden Agentur nachgefragt. Deshalb wurde dann ein neutrales Plakat angeboten, auf dem das Rosa-Luxemburg-Zitat durch das Konferenz-Logo ersetzt wurde. Aber auch dieses Plakat will die Bahn nicht aushängen. Luxemburg und neutral, das geht nicht zusammen.

    Luxemburg ist aber auch für andere eine Zumutung. Auf diesen noch gar nicht verbreiteten Plakaten war unter den Logos von 28 die Konferenz unterstützenden Organisationen auch das der IG-Metall-Jugend Berlin-Brandenburg-Sachsen und der DGB-Jugend Berlin-Brandenburg. Genau aus diesem Grund beschimpfte Springers Bild-Zeitung am 9. Dezember auf ihrer Titelseite IG-Metall-Chef Berthold Huber als Verlierer. Die Konferenz sei linksextremistisch, und vor zwei Jahren habe sogar Exterrorist Klar die Konferenz grüßen lassen. Bild meint: »In schlechter Gesellschaft«, endet der Angriff. Eine Grußadresse von Christian Klar war in der Vergangenheit offensichtlich noch zu ertragen, ein solcher Angriff aus der Springerzentrale aber nicht mehr. Nur wenige Tage später mußten die beiden Logos entfernt und deshalb der Druckauftrag für 100000 Flyer gestoppt werden. Sämtliche Werbemaßnahmen verzögern sich nun erheblich oder können wegen der Feiertage nicht mehr realisiert werden.

    Solche und auch die kommenden Angriffe werden aber nicht verhindern, daß auch die XIV. Rosa-Luxemburg-Konferenz ein großer Erfolg wird. An alle Leserinnen und Leser der jungen Welt und an die Unterstüt­zergruppen der Konferenz geht die eindringliche Bitte, jetzt erst recht für die Konferenz am Samstag, den 10. Januar ab 10 Uhr, für das Karl- und-Rosa-Gedenkkonzert um 20 Uhr und die Einweihung der Rosa-Statue am Sonntag, den 11. Januar um 14 Uhr zu mobilisieren. Bestellt Plakate und Flyer, nutzt Emailverteiler und Banner für die Werbung im Internet und verschenkt massenhaft Konferenzkarten zum Fest. Karten können ab sofort in der jW-Ladengalerie in Berlin gekauft oder per Internet beim Aktionsbüro bestellt werden. Auch Spenden zur Unterstützung der Konferenz und für die Aufstellung der Statue können gut gebraucht werden. Nutzen Sie bitte das angegebene Konto. Für Spenden ab 100 Euro erhalten Sie einen signierten und numerierten Original-Holzschnitt von Rolf Biebl. Bei uns sind Sie in bester Gesellschaft.

    Verlag, Redaktion und Genossenschaft
  • 12.10.2021 16:59 Uhr

    EU in der Debatte

    Die XIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar 2009 beschäftigt sich mit dem europäischen Bündnis
    Arnold Schölzel
    EU auf Kriegskurs: Die britische Fregatte »Portland« im Rahmen d
    EU auf Kriegskurs: Die britische Fregatte »Portland« im Rahmen der Operation »Atalanta« am 3. Dezember im Suez-Kanal auf dem Weg zur somalischen Küste
    Im Jahr 2009 finden neben zahlreichen Landtags- und den Bundestagswahlen am 7. Juni auch Wahlen zum EU-Parlament statt. Die Linkspartei hat soeben ihre vorläufige Kandidatenliste verabschiedet, in der DKP findet eine Erörterung über die Haltung der Partei zur EU statt. Das Thema wird auch Gegenstand der Podiumsdiskussion auf der von junge Welt veranstalteten Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar 2009 in Berlin sein.

    Bei der Debatte um Charakter und Entwicklung der Europäischen Union geht es um Grundsätzliches. Das wurde allerdings in den letzten Jahren in der Linken zumeist nebenher verhandelt, etwa in Kontroversen über die scholastische Frage, ob die Nationalstaaten noch existieren. Die Finanzkrise hat dazu eine Antwort geliefert: In Ausnahmesituationen handeln deren Regierungegen als Souveräne. Die sogenannten Rettungspakete bestätigen zugleich: Die Vereinigten Staaten von Europa auf kapitalistischer Grundlage sind ein reaktionäres Vorhaben. Soweit supranationale Kooperation stattfindet, dient sie ausschließlich dazu, das Wirtschaftssystem vor demokratischen oder nur staatsmonopolistischen Eingriffen zu schützen und einheitliche Verfahren zu finden, um die Lasten auf die arbeitenden Klassen abzuwälzen.

    Hinzu kommt: Macht und Einfluß sind in der EU höchst ungleich verteilt. Das Hauptziel des Lissabon-Vertrages ist es, diese Nichtegalität endlich in die Abstimmungsverfahren einzuführen. Nicht einmal die formale Gleichheit aller Mitgliedsländer soll erhalten bleiben, die Dominanz Deutschlands und Frankreichs faktisch Verfassungsrang erhalten.

    Diese Vorherrschaft hat eine lange Vorgeschichte. Am Donnerstag vergangener Woche schlug die Financial Times Deutschland Alarm. Ihr Kolumnist Thomas Klau warf der Bundesregierung vor, ihren Einfluß in der EU verspielt zu haben, nachdem die BRD über Jahrzehnte die Politik der EU geprägt habe. Das sei »eines der bestgehüteten Geheimnisse Europas: Kein anderer Staat hat die Gesetzgebung und Politik des Kontinents in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts so nachhaltig beeinflußt wie Deutschland.« Gemeint war lediglich das erweiterte Westeuropa. Osteuropa und dort vor allem Rußland werden nicht als europäisch wahrgenommen. Die nach 1990 nahtlos fortgesetzte Politik der Einkreisung Rußlands durch Westeuropäer und die NATO, ergänzt durch permanente antirussische Kampagnen von Medien und Politik, deutet auf einen der Entstehungsgründe für die EU hin: Revision der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges.

    Das prägt auch die bundesdeutsche Politik seit 1949. Anders formuliert: Von EU-Boden geht – wie von deutschem – kein Frieden aus. Derzeit sind von 27 Mitgliedsstaaten nur Zypern und Malta nicht an Kriegseinsätzen beteiligt. Europäische Union heute bedeutet: Abbau von Demokratie, Vernichtung von sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung, hemmungsloser Antikommunismus. Merkwürdig erscheint, daß deutsche Linke an diesem Gebilde Anziehendes finden. Darüber wird nicht nur am 10. Januar zu diskutieren sein.
  • 12.10.2021 17:00 Uhr

    Unsere Kultur

    Freche, wilde und kämpferische Töne auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz: Ohne eigene Kultur sind grundsätzliche Veränderungen nicht möglich
    Dietmar Koschmieder
    Vicente Felíu, Vertreter der Nueva Trova Cubana, wird auf der Ko
    Vicente Felíu, Vertreter der Nueva Trova Cubana, wird auf der Konferenz auftreten
    Die Rosa-Luxemburg-Konferenz ist gleichermaßen Kultur- wie Politikveranstaltung. Selbst bei den Besuchern hat sich eine Kultur des aktiven Mitwirkens am Gesamtkunstwerk entwickelt. Die Konferenz hat aber auch im landläufigen Sinne viel Kultur zu bieten. So wird der Chor der Sozialdemokratischen Führung das »Klagelied der Parteiführung« vortragen – ein Auszug aus dem aktuellen Stück »Rosa« des legendären Berliner Grips-Theaters, das sich mit der Biographie Rosa Luxemburgs beschäftigt. Vor allem die letzten Momente ihres Lebens hat der Kölner Regisseur und Autor Klaus Gietinger untersucht. Und findet klare Worte für das, was genau vor 90 Jahren stattgefunden hat: »Lizenz zum Morden – das Duo Waldemar Pabst und Gustav Noske« hat er seinen Vortrag benannt, mit dem die Konferenz um 11 Uhr eröffnet wird. Der Regisseur Hans-Peter Weymar stellt Ausschnitte aus »Kubanische Träume« vor: ein Film, der sich anläßlich der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Kubanischen Revolution mit kubanischen Realitäten und Hoffnungen beschäftigt.

    Die Mischung von politischen und kulturellen Vorträgen und Gesprächen ist ein bewährtes Konzept der Rosa-Luxemburg-Konferenz und mitverantwortlich für ihren großen Erfolg. Bei der Konferenz wird es zudem ein außergewöhnliches Abendkonzert geben, das dem 90. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und dem 50. der kubanischen Revolution gewidmet sein wird. Rosa Luxemburg wie die kubanischen Genossinnen und Genossen stehen für Standhaftigkeit und Konsequenz – auch unter härtesten Bedingungen. Eine Welt jenseits kapitalistischer Verwertungslogik ist nicht nur ein Traum. Und seine Realisierung ist durch Mord und Wirtschaftskrieg, Verleumdung und Erpressung zwar zu erschweren – aber nicht zu verhindern. Ohne eigene Kultur sind grundsätzliche Veränderungen aber nicht möglich. Um solche Kultur geht es an diesem Abend: Kultur, die sich den hiesigen Marktgesetzen verweigert, die Vorbote kommender oder Ausdruck bereits vollzogener Veränderungen ist. Für letzteres stehen Vicente Feliú und José Andres Ordas Aguilera aus Kuba. Sie gehören zur ersten Generation von Kulturschaffenden, die ihre Kunst unter neuen gesellschaftlichen Verhältnissen entwickelt und mit der Nuvea Trova Cubana eine eigene Musikrichtung geprägt haben. Für ersteres steht die Gruppe ewo2 (kleines elektronisches Weltorchester) um den Mannheimer Liedermacher Bernd Köhler. Sie werden einige Stücke aus ihrer aktuellen CD »avanti popolo« präsentieren – bekannte internationale Arbeiterlieder, neu arrangiert und deshalb voller Überraschungen. Das Konzert wird im großen Saal der Urania stattfinden und der Höhepunkt der Konferenz sein.

    Irgendwann darf dann aber auch dieser Kongreß tanzen: Ab 22 Uhr wird im Loft der Urania die Berliner Band Cool Breeze ihre Forderung nach »Afroskalypso Now!« in die Welt blasen. Eine Band wie die junge Welt und wie die Konferenz: Scharfe, freche, wilde, präzise und kämpferische Töne. Und das alles mit viel Vergnügen, gleichermaßen für jung und alt. Wo gibt es sowas ein zweites Mal?
  • 12.10.2021 17:01 Uhr

    Recht wertfrei

    Dietmar Koschmieder
    Bild 1
    Focus-Redakteur Thomas Wiegold begleitet den Bundeswehreinsatz in Afghanistan journalistisch. Und dabei erlebt er »erstaunliche Dinge«, schreibt er diese Woche in seinem Blog bei Focus online. So hat er bisher gedacht, die Wochenzeitung Jungle World würde einer »nicht ablehnenden Haltung von Missionen deutscher Soldaten« nicht viel Raum geben. Doch: »Recht wertfrei läßt jetzt die Zeitung den Reuters-Fotografen Fabrizio Bensch zu Wort (und Bild) kommen, der im September dieses Jahres die Truppe in Nord­afghanistan begleiten konnte.«

    Bensch durfte im Oktober 27 Tage als »embedded Journalist« die Bundeswehr am Hindukusch besuchen. Erstmals hat die Bundeswehr eine solche Propagandatour für die Presse organisiert, nach US-amerikanischem Vorbild. Es sind harmonische Bilder für die Heimatfront entstanden, völlig wertfrei: Landschaftsfotos aus der Kanzel eines Aufklärungsflugzeugs, Soldaten, die eher gelangweilt auf die Entwarnung nach einem Raketenangriff auf ihr Camp warten, den Bau einer Schule inspizieren, Risiko spielen (Bildtext: »Befreien Sie 24 Länder Ihrer Wahl«), eine Bibel liegt neben dem Oberschenkel eines Bundeswehrsoldaten, Bildtext: »Beim Gottesdienst im Camp der Bundeswehr«). Bensch schreibt: Wir verließen »die Fahrzeuge und gingen zu Fuß (...) zum Basar. Die Soldaten verteilten an die Anwesenden Grußkarten (...) und zogen damit Scharen von Kindern an. Diese hatten keine Angst, weder vor den Soldaten noch vor mir (...) Spannung in den Gesichtern der Soldaten. Die Angst vor einem Anschlag war bei ihnen deutlich spürbar (...) Man kehrte zurück, keine besonderen Vorkommnisse (...) Man wird sich vielleicht nur an die Gesichter der fröhlichen Kinder erinnern. Das andere Afghanistan (...) Plötzlich hörte man einen dumpfen Knall (...) Insgesamt drei Raketen waren abgeschossen worden, keine hatte das Camp getroffen (...) Alltag in Kunduz.«

    Ein Leser, der sich bezeichnenderweise Wachtmeister nennt, kommentiert den lobenden Eintrag Wiegolds: »Eine kleine und ehrenwerte Minderheit unter den Linken hält jedoch die alten humanistischen Ideale hoch, und die Jungle World (in Abgrenzung von ihrem Antiimp-Gegenspieler junge Welt) gehört definitiv dazu.« Solche »alten humanistischen Ideale« werden von einer deutlichen Mehrheit der Regierungen in der Europäischen Union hochgehalten. Nur Zypern und Malta sind derzeit nicht an »humanitären Kriegseinsätzen« beteiligt. Wenn Sie wissen wollen, wie sich die Linke in diesem Land zum Projekt Europäische ­Union verhält, gibt es zwei wunderbare Möglichkeiten: Besuchen Sie die XIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar in Berlin. Die abschließende Podiumsdiskussion mit dem Titel »Europäische Union – das nette Imperium von nebenan« ist diesem Thema gewidmet. Und lesen Sie die Tageszeitung junge Welt. Eine Tageszeitung, die sich nicht vereinnahmen läßt.

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