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13.10.2021 16:07 Uhr

Aus der Niederlage aufstehen

Die zehnte Rosa-Luxemburg-Konferenz hatte einen Rekordbesuch
Von Arnold Schölzel

Er wolle an einer kommunistischen Konferenz teilnehmen, meint Christian Geissler (k), Schriftsteller aus Hamburg, als die Referenten der zehnten Rosa-Luxemburg-Konferenz am Sonnabend in der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft und Technik zur abschließenden Podiumsdiskussion Platz nehmen. Also eine, in der man sich nicht mit Kleinigkeiten begnügt. Geissler setzt mit einem Text zu Beginn den Maßstab – äußert Ratlosigkeit angesichts der weltweiten »Umstellung« alles Fortschrittlichen, des »Tobens der Totmacher transnational«, formuliert: »Aus der Niederlage aufstehen – ein Traumschritt«.

Wo es wirkliche Aufstehschritte gibt, kann von woanders berichtet werden: Juan Carlos Frométa, Mitarbeiter des Zentralkomitees der KP Kubas: Sozial ist die Welt mit ihren 6,4 Milliarden Menschen ungerechter organisiert denn je. 20 Prozent der Weltbevölkerung verfügen über 86 Prozent aller finanziellen Mittel. Politische Reflexion dessen ist »unipolares Hegemoniestreben«, Manipulation und Brechung des Völkerrechts. Konkret zu Kuba: Nie zuvor hat die stärkste Macht der Welt mehr getan, um den Sozialismus auf Kuba zu beseitigen.

Zurück in die Barbarei: Mumia Abu-Jamal, seine Botschaft aus der US-Todeszelle an die Rosa-Luxemburg-Konferenz hat Tradition: Der weltumspannende Krieg der USA ist ein Krieg von Fundamentalisten, d. h. zuerst einer gegen Frauen und Kinder.

Dann Mag Wompel, streitbarer Geist des LabourNet Germany: Wir erleben den umfassendsten, nicht den ersten Angriff auf den Sozialstaat in der Bundesrepublik. Bewegungsansätze deuten auf neues Selbstbewußtsein außerhalb der Gewerkschaften. Das ist Zündstoff für Diskussion: Warum haben linke Ansätze so wenig Resonanz unter den Beschäftigten?

Szenenwechsel zu Alfred Hrdlicka, Maler, Graphiker und Bildhauer aus Wien, der vom Berliner Kabarettisten Dr. Seltsam, dem Moderator des Konferenzablaufs, interviewt wird: »Die Vertilgungsmechanismen, die Bush dem Irak und Saddam Hussein zugeschrieben hat, waren blödester Schwindel«.

Nüchtern berichtend von einem klug und mit langem Atem geführten Kampf, der fast bis an die Regierungsspitze in Bolivien geführt hat: Iván Morales, Abgeordneter der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS). Er bezeichnet sein Land als »Bettler auf goldenem Stuhl«. Die Munizipalwahlen im September 2004 brachten praktisch den Zusammenbruch des bisher herrschenden Parteienkartells, die Regierungsübernahme ist »greifbar nahe«.

Höhe- und Schlußpunkt des Vortragsteils der Konferenz ist das Referat von Angela Davis. Sie freut sich über die Transparente im Saal: »Cuba Sí«, »Lust auf Veränderung«, freut sich, wieder in diesem Teil Berlins zu sein, »der bei meinem ersten Besuch Hauptstadt der DDR war«. Sie schlägt einen Bogen von Rosa Luxemburgs Antikriegshaltung zu den Erfordernissen heute: »Folter und Krieg definieren die Welt«. Die Demokratie der USA wurde von den Rechten »auf den Weg der Selbstzerstörung« gesetzt. Antimilitarismus ist der Hauptweg im Kampf gegen den US-Imperialismus. Aber es gibt noch mehr Bewegungen: Auch wenn Bush behauptet, zum zweiten Mal gewählt worden zu sein, es gibt selbst im US-Kongreß Zweifel daran. Wenn er jemanden zum Justizminister ernennt, der zur Folter an Gefangenen riet, dann sehen sie sich der Bewegung gegen Todesstrafe, gegen den industriellen Gefängniskomplex in den USA gegenüber. Die Bewegungen sind miteinander verbunden, entscheidend ist ihre Revitalisierung, Globalisierung.

Die Frager sind stürmisch. Zuletzt: »Woher nehmen Sie Ihre Kraft?« Antwort: »Das ist, wie ich mein Leben zu leben gelernt habe. Ich wäre nicht hier, wenn damals nicht Millionen Menschen nein gesagt hätten.« Nein sagen ist ein erster Schritt.

1 600 Teilnehmer zählen die Veranstalter der Rosa-Luxemburg-Konferenz am Abend. So viele waren es noch nie.

* jW veröffentlicht in einer Beilage am 26. Januar Auszüge aus den Referaten der Rosa-Luxemburg-Konferenz

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