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21.09.2021 12:56 Uhr

Wo ist Rosa?

Countdown zur Rosa-Luxemburg-Konferenz (8)
Von Dr. Seltsam
Bei den Sozis ist Rosa Luxemburg nie Thema, bei den Kommunisten auch nicht immer – bei der jungen Welt aber seit 1996, als sie die erste Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin organisierte. Und bei Dr. Seltsam, der in Berlin Touren zu ihren Wirkungsorten macht. (jW)


Im Februar 1915 kommt Rosa für ein Jahr ins »Königlich-preußische Weibergefängnis« Barnimstraße, Zelle 8. Sie hat Magenschmerzen, ihr Haar wird weiß. »Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen.« Das düstere Gebäude wurde längst abgerissen. Der Ort ist schwer zu finden. Es gibt hier einen Verkehrskindergarten, gut so. Eine nette Anwohnerin hat mich im Regen zu einer kleinen Informationstafel an einem Zaun und einer Gedenkstele aus DDR-Zeiten geführt.

Die »Junius-Broschüre«, 1915 in der Zelle geschrieben, rausgeschmuggelt und in Zürich gedruckt, ist eine geniale Abrechnung mit der SPD: »Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. (...) Mitten in diesem Hexensabbat vollzog sich eine weltgeschichtliche Katastrophe: die Kapitulation der internationalen Sozialdemokratie« (durch Kriegszustimmung). Lenin schrieb »Über die Junius-Broschüre«: »Man spürt den allein Dastehenden, der keine Genossen in einer illegalen Organisation hat, die revolutionäre Losungen bis zu Ende durchdenken«. Traurig, aber wahr.

Die »Junius-Broschüre« ist eine gewaltige Polemik gegen den Burgfrieden der SPD, deren Führung die »linksextremen« Kriegsgegner verfolgen läßt. Am Ende entsteht die USPD nicht etwa durch Abspaltung der Linken, sondern sie werden als kleines Häufchen aus der Partei rausgeschmissen. Offenbar hatte Lenin recht: Man muß sich den Massen rechtzeitig als Kriegsgegner und Antiimperialist bekannt machen, damit sie eine Hoffnung auf Widerstand haben und die Chance des Bürgerkriegs ergreifen. Eine einfache Lehre, die man den Kräften der Linkspartei, die heute zur SPD streben, nicht oft genug vorlegen kann.

Am 15.April 1915 endlich eine Äußerung der Linken! Es erscheinen die ersten 9000 Exemplare der Monatsschrift Die Internationale. Herausgeber sind Franz Mehring und Rosa (vom Gefängnis aus, über ihre Sekretärin Mathilde Jacob). Das Heft wird sofort illegal, erscheint aber bis Ende 1916 weiter. Die Ausgabe vom Mai 1915 enthält Liebknechts Massenflugblatt »Der Hauptfeind steht im eigenen Land!«. Am Neujahrstag 1916 tagt in Liebknechts Wohnung die kleine erste »Reichskonferenz der Linken«. Diskussionsgrundlage sind Rosas politische »Leitsätze«, als Kassiber aus dem Knast geschmuggelt.

Am 1. Mai 1916 ist Rosa auf dem Potsdamer Platz dabei, als Liebknecht auf einen Laternensockel steigt und in die Menge brüllt: »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!« Seine umgehende Verhaftung kann nicht verhindert werden, aber sein Beispiel, sein Aufruf, wird weitergetragen. Heute erinnert ein Denkmalsockel vor dem Balzac-Kaffeeladen an diese Demonstration, auf die man – große Ausnahme – als deutscher Mensch stolz sein kann.

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