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21.09.2021 12:55 Uhr

Wo ist Rosa?

Countdown zur Rosa-Luxemburg-Konferenz (1)
Von Dr. Seltsam
Bei den Sozis ist Rosa Luxemburg nie Thema, bei den Kommunisten auch nicht immer – bei der jungen Welt aber seit 1996, als sie die erste Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin organisierte.Und bei Dr. Seltsam, der in Berlin Touren zu ihren Wirkungsorten macht. In dieser Zeitung führt er uns zur 19. Rosa-Luxemburg-Konferenz, die am 11. Januar 2014 in der Berliner Urania stattfindet. (jW)
Anfang des Jahres 2013 bezahlte mir der Euopäische Sozialfonds eine Umschulung zum Stadtführer/Reiseleiter, aber in Berlin gibt’s ja alles schon. Durch die wunderbaren Bücher von Heinz Knobloch (»Liebste Mathilde«) und Klaus Gietinger (»Der Konterrevolutionär«) begann ich, die Lebensorte Rosa Luxemburgs wieder und wieder aufzusuchen und zu vergleichen, was in den verschiedenen Büchern über die Abschnitte ihres Lebens geschrieben wurde und stellte bald fest, daß das Bild von Rosa als einer gestrengen Revolutionärin nicht immer stimmt und daß an ihren Lebensorten ihre Theorien gut zu erklären sind. Diese Rosa-Touren führe ich nun seit Oktober, jeden Donnerstag durch – nach Voranmeldung (01577/3862029).

Herkunft: Geboren wurde sie am 5. März 1871 in Zamosc in Russisch-Polen. Polen als Staat existierte damals gar nicht, war zum dritten Mal geteilt zwischen den Großmächten Deutschland, k. u. k. Österreich und Rußland. Das erklärt einiges in ihrem Leben, etwa die persönliche Teilnahme der längst Deutsche gewordenen Rosa an der Russischen Revolution von 1905 und einen der wenigen Streitpunkte mit Lenin, der das Nationalgefühl der entrechteten Minderheiten für die Revolution nutzen wollte. Rosa war sehr gegen den Artikel des Programms der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR), der das Recht der kleinen Nationen auf Loslösung von Rußland betraf, weil das nur die überlebte polnische Adelskaste begünstigt hätte. Rosas Vater war Holzgroßhändler mit großem Haus am Marktplatz.

Ein Tourgast erzählte mir, daß man früher in Zamosc das falsche Geburtshaus gezeigt habe, jetzt könne das richtige besichtigt werden. Ich selbst war noch nicht da, es gibt keine linken Reisen in diese interessante Gegend. Aber Zamosc wirbt auch nicht damit.

Der Vater hatte geschäftliche Verbindungen bis nach Westeuropa, fuhr auch gelegentlich nach Berlin und war für die neugierige Tochter Quell aller aufregenden Erzählungen über die illegale deutsche Sozialdemokratie, damals die größte linke Bewegung der Welt. Sie war wohl früh entschlossen, sich darin nützlich zu machen. Das Revolutionäre in Rosas Wesen kam also nicht daher, daß sie selber arm und unterdrückt war. Sie war soziale Aufsteigerin nur in dem Sinne, daß sie als polnische Schülerin die russischen Beamtentöchter am Warschauer Gymnasium durch beste Noten deklassierte. Ihre lebenslange Empörung über unverdiente Privilegien bei frech ausgestellter Dummheit dürfte aus dieser Zeit stammen. Und sie hatte ein Handicap: Mit fünf Jahren befiel sie eine merkwürdige Krankheit, wahrscheinlich eine schmerzhafte Knochenentzündung, und die Ärzte wußten ihr nicht anders zu helfen, als ihre Hüfte ein Jahr lang einzugipsen. Seitdem hatte sie ein kürzeres Bein und »humpelte« ein wenig.

»Wer sie in diesen Tagen sah, wie sie hüftenwiegend durch die sonnigen Straßen ging, mit einem Gesicht, das in der Entspannung aufblühte, mit einer Stimme und einem Lachen voll Charme und Übermut, – wer sie so sah, behielt für immer die Erinnerung an ihren außergewöhnlichen Liebreiz.« So später Henriette Roland-Holst, die bekannte sozialistische Millionärin aus Holland.

Zum Glück konnte sie während ihrer Liegezeit schon lesen und verschlang alles, was ihr in die Hände kam, das schulte ihr Gedächtnis. Und sie wollte dem Dienstpersonal das ABC beibringen, das schulte ihre pädagogische Intelligenz. Ihr eigentlicher polnischer Name war Rosza oder Rozalia Luksenburg. Sie entstammte einer alten rabbinischen Familie, (»jüdischer Adel«).

Da haben wir nun alles beisammen, was das revolutionäre Feuer in ihr schürte: intellektuelle Überlegenheit gegenüber der spießigen Schulumgebung, immer wache Abwehr wegen Behinderung und Judenspott. Natürlich lernte sie in diesem Treibhaus Selbstbewußtsein, selbständiges Denken und Sichwehren.

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