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Aus: Ausgabe vom 04.01.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kulturpolitik

Es wird enger

Die durch den Gazakrieg noch einmal verschärfte Antisemitismusdebatte belastet die hiesige Kulturszene immer stärker. Wichtige Einrichtungen sehen internationale Kontakte gefährdet. »Ich bekomme berechtigte Anmerkungen von Kulturinstitutionen, die sich an mich gewendet haben, weil sie sich fragen, wie sie international weiterarbeiten sollen«, sagte Katrin Budde, Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, der dpa in Berlin. »Wir als Kulturpolitikerinnen werden uns auf die Probleme einlassen müssen, damit am Ende nicht ein Abbruch von internationalen Kulturbeziehungen droht, für Goethe-Institut, Humboldt-Forum, Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder Kulturstiftung des Bundes. Das sind klassische Institutionen, die man wirklich keines Antisemitismus verdächtigen darf, die aber sagen: Zusammenarbeit muss machbar sein.« Die SPD-Politikerin will Kulturinstitutionen machen lassen, »ohne sie unter Generalverdacht zu stellen, wenn sie international auch mit Ländern zusammenarbeiten, wo wir sagen würden: die benehmen sich antisemitisch«. Es gehe auch darum, durch Zusammenarbeit Verständnis für jüdische Kultur zu vermitteln und zu erreichen. »Kultur baut immer an Stellen Brücken, wo alles andere abgebrochen ist«, sagte Budde.

»Es ist gefährlich, wenn der Diskurs in der Kultur immer enger wird«, sagte der dpa ironischerweise auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), die aktuell versucht, den politischen Einfluss auf die Kunstausstellung Documenta zu erhöhen: »Das Grundgesetz sichert die Freiheit der Kunst. Eine klare Grenze ist, wenn die Menschenwürde verletzt wird. Dazu gehört Antisemitismus, dazu gehört Moslemfeindlichkeit, dazu gehört Rassismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit.« Es sei alarmierend, welcher Ausbruch von Antisemitismus zu beobachten sei. Roth sagte über die Kulturszene: »Es gibt eine Verunsicherung: Was ist denn noch möglich? Es gibt Sorgen, dass der Diskurs verengt werden könnte. (…) Wir müssen aufpassen, was das bedeutet für uns als internationaler, attraktiver Kulturstandort. Wenn es in der Zwischenzeit auch Absagen gibt von internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die sagen, in Deutschland wird der Diskurs immer enger«, sagte Roth.

Der Generalintendant des Berliner Humboldt-Forums, Hartmut Dorgerloh, betonte, der öffentliche Diskurs sei extrem wichtig, »auch der über unterschiedliche Antisemitismusdefinitionen, in denen sich die Vielfalt jüdischer Stimmen widerspiegelt«. Dorgerloh sorgt sich ebenfalls um das internationale Ansehen des Standortes: »Wir haben eine hohe internationale Reputation, nicht zuletzt auch durch die Aufarbeitung unserer Kolonialgeschichte, die in großen Teilen der Welt als vorbildlich wahrgenommen wird«, sagte er: »Momentan beobachtet man mit einer gewissen Verwunderung und auch Irritation, wie sich hierzulande diese Räume gerade einengen.« (dpa/jW)

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