Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Gegründet 1947 Donnerstag, 28. März 2024, Nr. 75
Die junge Welt wird von 2767 GenossInnen herausgegeben
Jetzt zwei Wochen gratis testen. Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Aus: Ausgabe vom 16.08.2022, Seite 10 / Feuilleton
Alltag

Der Gang

Von Stefan Siegert

Er hatte irgendwie einen seltsamen Gang, dieser Mann, der uns da eines sonnigen Werkstagnachmittags auf einem sandgelbgrauen Parkweg mit grünblauer Aussicht auf Strom und Hafen entgegenkam. Mittelgroß und schlank, kam er, eine Spur vornübergeneigt, ein vielleicht Endfünfziger, aber noch grade und sehnig, auf uns zu. Des Mannes nicht weiter achtend, setzten die anderen ihre Gespräche munter fort. Nur ich, ich konnte meine Augen nicht wenden von diesem Gang.

Er kam schnurgerade und festen Schrittes, vielleicht eine Spur schwerfällig, aber doch auch irgendwie ganz gut, voran. Seine Art zu gehen hatte etwas – bis zur Andeutung eines Schreitens – faszinierend Bestimmtes und Festes. Er trug, wenn ich mich recht erinnere, blaue Jeans und eine nicht ganz dazu passende Jeansjacke. Alles wie er selbst nicht nagelneu, aber gut in Schuss. Das strohige Haar blassblond, drehte er mir, als er auf meiner Höhe war, den Kopf zu.

Ist was?

Er blieb stehen. Seine Frage klang nicht direkt unfreundlich oder aggressiv. Dennoch zog ich innerlich den Kopf leicht ein, als ich versuchte ihm klarzumachen, dass ich allein auf seinen Gang geschaut hätte, der sei irgendwie ansehnlich, ich versuchte es so anerkennend wie möglich zu sagen.

Er richtete sich leicht auf, zog den Riemen hoch, an dem er über der Schulter eine volle blaue Leinentasche trug, und ging vielleicht drei Schritte auf die leere Nachbarparkbank zu, hielt wieder inne und wandte sich im Plauderton erneut an uns.

Ich war gerade in der Ukraine, redete er munter über unsere ungläubigen Blicke hinweg. Da geht’s drunter und drüber. Nicht nur im Osten. Auch im Westen. Da fliegt ständig was durch die Luft.

Man spürte, er wollte was loswerden. Er hob die Brauen.

Hab’ meine Schwester besucht, die hat in die Ukraine geheiratet, so ein Nest westlich von Kiew. Die haben keine ruhige Minute dort, die sind in Panik.

Er war in Fahrt. Er wusste was, was wir nicht wussten. Das musste raus.

Euch ham sie doch alle ins Hirn geschissen, wenn Ihr glaubt, das hätte der Russe vom Zaun gebrochen, dozierte er. Dahinter steckt der Ami, da geht’s immer wieder nur ums Geld!

Wir schauten alle etwas verdutzt, ich fühlte mich verpflichtet, dagegenzuhalten:

Mir haben sie nicht ins Hirn geschissen, sagte ich so bescheiden wie möglich.

Er stutzte. Schaute einen Moment lang etwas irritiert. Dann ging sein Daumen hoch. Er schmunzelte überlegen. Alles klar!

Er ging auf die freie Bank zu, setzte seine blaue Leinentasche aufs Holz. Es war in diesem Moment das fast demonstrativ klare Geräusch einer Unzahl leerer Flaschen zu hören.

Regio:

Mehr aus: Feuilleton