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Aus: Ausgabe vom 04.07.2012, Seite 3 / Schwerpunkt

Reaktionen: »Ungeheuerlicher Vorgang«

Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat den Rücktritt des Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm wegen der bekanntgewordenen Aktenvernichtung im Zusammenhang mit Ermittlungen über die Neonaziterrorgruppe NSU begrüßt. »Es ist höchste Zeit, politische Konsequenzen zu ziehen«, erklärte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat am Montag in Berlin. Den deutschen Behörden warf Kolat vor, »den Rassismus in Deutschland« jahrelang »kleingeredet« zu haben. »Jetzt sitzen wir alle auf den Scherben dieser Politik.« In der Berliner Zeitung vom Dienstag wurde er deutlicher: Die Vernichtung von Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz sei »ein ungeheuerlicher Vorgang«. »Das macht mich stutzig, ob es nicht eine Verquickung des Verfassungsschutzes mit den Terroristen gab.« Nachdem die NSU-Zelle aufgeflogen sei, habe er noch sehr viele Fragezeichen hinter diesen Verdacht gemacht. »Heute kann ich maximal noch ein Fragezeichen machen. Ich habe heute überhaupt kein Vertrauen mehr in die Sicherheitsorgane – in den Verfassungsschutz schon gar nicht.«

Die Obfrau der Linken im NSU-Untersuchungsausschuß, Petra Pau, verlangte gestern, daß auch die Frage nach der politischen Verantwortung gestellt werde. So müsse etwa geklärt werden, warum der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) unmittelbar nach dem Nagelbombenanschlag in Köln im Juni 2004 erklärt habe, daß ein fremdenfeindlicher Hintergrund ausgeschlossen werden könne und wie diese Erklärung die Ermittlungen beeinflußt habe. Pau nannte es einen Skandal, daß der Militärische Abschirmdienst (MAD) seine Akten zur »Operation Rennsteig« nicht herausgeben will. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) müsse dies bei Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) erwirken.


Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, bilanzierte: »Der Verfassungsschutz hat nicht nur Fehler gemacht, er ist der Fehler.« Die nun bekanntgewordene Vernichtung von Akten zum V-Leute-Einsatz in der Neonaziszene sei nur das i-Tüpfelchen in einer Kette von Skandalen. Sie verlangte die Auflösung der »demokratisch nicht zu kontrollierenden« Verfassungsschutzämter (siehe auch ihren Kommentar in jW vom 3. Juli). (dapd/AFP/jW)

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