Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Gegründet 1947 Donnerstag, 28. März 2024, Nr. 75
Die junge Welt wird von 2767 GenossInnen herausgegeben
Jetzt zwei Wochen gratis testen. Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Jetzt zwei Wochen gratis testen.
09.01.2022 19:30 Uhr

»Klar sagen, wer Aggressor ist«

»Wie wir den nächsten großen Krieg verhindern«. Auszüge aus der Podiumsdiskussion auf der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
V. l. n. r.: Martin Singe (Pax Christi), Andrea Hornung (Bundesvorsitzende SDAJ), Horst Schmitthenner (Exvorstandsmitglied IG Metall), Stefan Huth (jW-Chefredakteur), Esther Zimmering (Schauspielerin) und Sören Pellmann (MdB Die Linke)

Am Sonnabend diskutierte junge Welt-Chefredakteur Stefan Huth mit Sören Pellmann (MdB, Die Linke), Andrea Hornung (Vorsitzende der SDAJ), Horst Schmitthenner (IG Metall), Martin Singe (Pax Christi, Sprecher von »Büchel ist überall – ­atomwaffenfrei.jetzt«) und Esther Zimmering (Schauspielerin) zum Thema »Wie wir den nächsten großen Krieg verhindern«. Wir dokumentieren an dieser Stelle das Podiumsgespräch in Auszügen. (jW)

Stefan Huth: Die Friedensbewegung hierzulande ist schwach. Es gibt traditionelle Strukturen wie die »Kooperation für den Frieden« oder den »Bundesausschuss Friedensratschlag«, es gibt auf allen Ebenen Treffen und Aktionen, aber angesichts der wirklich großen Bedrohungslage passiert doch zuwenig. Auch mangelt es an Orientierung. Wer ist der Hauptaggressor? Was ist mit der NATO? Darüber wird gestritten, nicht nur in der Bewegung, sondern auch in der Linkspartei. Esther, du hast dich Anfang der 1990er in der Friedensbewegung gegen den Zweiten Golfkrieg engagiert und später in der Flüchtlingssolidarität.

Esther Zimmering: Ich komme aus einer sehr politischen Familie. Der Schriftsteller Max Zimmering war der Bruder meines Opas, mein Opa war der erste Vertreter der DDR bei der UN. Als der Krieg losging, bin ich mit auf die Straße gegangen. Wir haben den Verkehr blockiert und uns vor die Autos geworfen: »No War – kein Krieg.« So richtig politisch geworden bin ich dann aber erst wieder 2013, als die Geflüchteten den Oranienplatz besetzt hatten. Da habe ich Essen und Kleidung vorbeigebracht und bin auf Demonstrationen gegangen.

Huth: Das Flüchtlingsthema hängt ja eng zusammen mit der Kriegsfrage. Am Oranienplatz waren viele Geflüchtete aus Libyen, wo 2011 Ghaddafi gestürzt worden war – unterstützt von einer westlichen Militärintervention aus der Luft.

Zimmering: Das war sehr interessant, dass der Blick der Geflüchteten auf Ghaddafi ein ganz anderer war. Ihnen ging es darum, dass Ghaddafi derjenige war, der ein vereinigtes Afrika gründen wollte und eine Währung für den ganzen Kontinent. Aus der Sicht der ghanaischen Flüchtlinge, die ich dort kennengelernt habe, war das der Beweggrund, Ghaddafi zu ermorden. Die Migranten hatten in Libyen Arbeit, es ging ihnen vergleichsweise gut. Solche Aspekte wahrzunehmen, das habe ich dann bei der »Unteilbar«-Demo, wo wirklich Massen auf der Straße waren, vermisst. Gegen Rassismus – ja, auf jeden Fall, aber die deutliche Positionierung gegen den Krieg, die hat mir gefehlt.

Huth: Andrea, du bist ebenfalls über die Friedensbewegung politisiert worden und warst bei den Ostermärschen. Was waren deine Motive?

Andrea Hornung: Mir war nie begreiflich, warum Menschen Krieg gegeneinander führen. Im Schulunterricht hatte ich immer den Eindruck, man versucht uns zu erklären, Ursache der Kriege seien die Handlungen böser Menschen. Das hat mich nicht überzeugt. Bei den Ostermärschen habe ich eine andere Analyse kennengelernt, nämlich dass Krieg etwas mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun hat, mit dem Kapitalismus, und zwar dem in seinem imperialistischen Stadium. So bin ich dann auch zur SDAJ gekommen.

Huth: Du bist Physikerin. Seit der Entwicklung der Atombombe haben sich Physiker immer wieder auch politisch geäußert. Ich denke da etwa an die Bewegung »Kampf dem Atomtod« und die Erklärung der »Göttinger Achtzehn«. Gab es da Bezüge in deinem Studium?

Hornung: Bevor ich angefangen habe zu studieren, wurde an der Uni Frankfurt eine Zivilklausel durchgesetzt, es durfte also nicht militärisch geforscht werden. Das war ein großer Erfolg, an dem auch die Physiker beteiligt waren. Aber allgemein wird das Fach doch sehr unpolitisch gelehrt in bezug darauf, welche Verantwortung man als Wissenschaftlerin hat. Die Göttinger Achtzehn kamen aber tatsächlich in einer Vorlesung vor. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir als Friedensbewegung auch die Wissenschaft für uns gewinnen.

Huth: Horst Schmitthenner, du warst schon Anfang der 1960er Jahre in der Friedensbewegung aktiv und hast stets versucht, das mit deinem gewerkschaftlichen Engagement bei der IG Metall zu verbinden. Die Bewegung gegen die Atomaufrüstung der Bundeswehr hat damals viele Menschen erfasst.

Horst Schmitthenner: Wir haben Anfang der 1960er Jahre auf die Schlackehalde der Stahlwerke Südwestfalen geschrieben »Kampf dem Atomtod!«. Aber das war eher moralische Entrüstung. Politisch ausgefüllt wurde das erst später, als man nach und nach mit marxistischen Positionen in Berührung kam.

Huth: Und das war in gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen?

Schmitthenner: Das war in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Da gab es viele ehrenamtliche Referenten, die einen marxistischen Hintergrund hatten, unter anderem der Politikwissenschaftler Frank Deppe und einige andere Marburger, die bekannt dafür waren, über sozialdemokratische Positionen hinauszudenken. Ich bin dann 1971 im Bildungszentrum in Sprockhövel für die Bildungsarbeit der IG Metall eingestellt worden, wo wir mehr als zwanzig Pädagogen waren. Und die haben natürlich die ganze politische Bandbreite der Gewerkschaft abgedeckt.

Huth: Ist diese Tradition beendet? Gibt es heute noch Anknüpfungspunkte? Gewerkschaftliche Bildungseinrichtungen sind ja ständig von Schließung und Mittelkürzungen bedroht.

Schmitthenner: Die Bildungsarbeit war zeitweise stark entpolitisiert. Eine Zeitlang ging es kaum um den Interessengegensatz von Arbeit und Kapital, man hat sich eher gefragt, wie man die Leute mit gutem Essen in die Einrichtungen locken kann. Aber ich glaube, diese Phase ist überwunden, da haben die Krisen seit 2007 stark nachgeholfen. Heute geht es wieder mehr um Interessengegensätze. Die Situation hat sich ja auch allgemein verschärft.

Huth: Martin, du bist seit Ende der 1970er Jahre friedenspolitisch aktiv und kommst aus der katholischen Theologie. In den 1980er Jahren haben die kirchlichen Friedensaktivitäten eine große Rolle gespielt. Die Frage der Befreiungstheologie ist heiß diskutiert worden, aber vor allen Dingen die Aufrüstung der NATO.

Martin Singe: Meine Politisierung begann eigentlich in der Katholischen Studentengemeinde. Mein erster Ansatz war die Gerechtigkeitsarbeit, also Dritte-Welt-Arbeitsgruppen in den Studentengemeinden. Ergänzend kam dann die Friedensarbeit hinzu. Der Nachrüstungsbeschluss war der Auslöser. Dann gab es die großen Demonstrationen in Bonn im Hofgarten und beim Reagan-Besuch 1982. Diese Großdemonstrationen waren inspiriert von den Kirchentagen und der »Initiative Kirche von unten«. Da hat es viele Impulse gegeben, die dann in die Friedensbewegung weitergeleitet wurden. 1987 haben wir erreicht, dass der INF-Vertrag über den Abzug und die Vernichtung der Mittelstreckenraketen zwischen den USA und der UdSSR zustande kam, der ja leider wieder außer Kraft gesetzt wurde. Das waren die Ursprünge meiner politischen Sozialisation. Man muss das zusammen sehen, es gab ja damals auch eine sehr starke Anti-AKW-Bewegung. Es war allgemein ein Aufbruch für ökonomische und ökologische Alternativprojekte. Das ist alles mit eingeflossen in die Friedensbewegung der 1980er Jahre.

Huth: Was ist aus diesen Kämpfen und Traditionen mit Blick auf die heutige Kirche geworden? Sind das noch Referenzpunkte?

Singe: Es gibt nach wie vor kirchliche Basisbewegungen und Gemeinden, die sich zum Beispiel stark in der Flüchtlingsarbeit engagieren. Und es gab auch Langzeitwirkungen. In der katholischen Kirche hat sich die ethische Lehre zu Krieg und Frieden verändert, etwa in bezug auf die Atomwaffen. Bis vor kurzem gab es wie auch in der evangelischen Kirche quasi noch eine Duldung der Atomwaffen für eine Übergangsfrist. Unter Papst Franziskus wurde da eine klare Position formuliert. Franziskus kommt ja selbst aus der Tradition der Theologie der Befreiung, die für Gerechtigkeit und für sozialistische Perspektiven in der »dritten Welt«, vor allem in Lateinamerika, gekämpft hat und weiterhin kämpft. Diese Perspektive hat er auch zuletzt auf Lesbos stark gemacht, wo er die Schande der EU beim Namen genannt und gefordert hat, dass dieses Sterben im Mittelmeer aufhören und man die Ursachen erforschen muss, statt auf die Leute herunterzuschauen, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Und die hängen mit dem kapitalistischen System und den Ausbeutungsverhältnissen zusammen.

Huth: Sören, war es die Operation »Desert Storm«, der Krieg der USA gegen den Irak 1991, der dich politisiert und dazu bewogen hat, der PDS beizutreten?

Sören Pellmann: Ich komme aus einem sehr politischen Elternhaus, aber darüber hinaus hatte ich – damals noch als Schüler – tatsächlich im Rahmen des Zweiten Golfkrieges die ersten politischen Kontakte mit der Antikriegsbewegung, die in meiner Heimatstadt in Leipzig sehr groß und auch in der Bevölkerung verankert war. Ich wäre damals schon in die PDS eingetreten, musste mich aber noch eineinhalb Jahre gedulden, bis ich nach Satzung das entsprechende Mindestalter hatte. Ich bin dann mit der festen Überzeugung beigetreten, dass die PDS für mich die einzige Partei mit einer deutlichen Antikriegshaltung ist.

Huth: Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der die PDS beachtliche Wahlerfolge eingefahren hat. Ein zentraler Slogan war: »Veränderung beginnt mit Opposition.« Inzwischen hört man davon wenig. Vielmehr gibt es in der Partei Die Linke das Bestreben, endlich regierungsfähig zu werden, und das heißt, programmatische Grundsätze preiszugeben. In der Diskussion zum Wahlprogramm vor der Bundestagswahl ging es auch um Fragen der Äquidistanz in der Außenpolitik: Schuld an militärischen Eskalationen seien ja irgendwie alle, hieß es da, in Syrien, in der Ukraine. Eine Position, die etwa von Katja Kipping vertreten wird. Sie sagt, wir lassen uns mit keiner Seite ein. Wulf Gallert hat jüngst im ND gefordert, dass die Partei ihre Positionen in der Außenpolitik völlig neu aufstellen müsse, Maßstab seien die Menschenrechte. Hat dich das überrascht?

Pellmann: Nein. Das ist Teil eines längeren Prozesses. Von führenden Genossinnen und Genossen wird Druck zur Veränderung unserer Programmatik ausgeübt. Aber auch von außen. Da heißt es dann, um der Regierungsfähigkeit willen müsst ihr eure außenpolitischen Positionen überdenken bzw. aufgeben. Zur Bundestagswahl 2013 gab es noch eine sehr klare Antikriegshaltung, 2017 auch noch, allerdings schon mit ersten Überlegungen, dem einen oder anderen Auslandsmandat vielleicht doch zuzustimmen. Das halte ich für sehr problematisch. Das Aufweichen der Antikriegshaltung hat dazu geführt, dass wir in den letzten zwölf Jahren unsere Wählerstimmen mehr als halbiert haben. Die Verluste, da bin ich mir sicher, sind auch darauf zurückzuführen, dass wir in außenpolitischen Fragen als nicht mehr berechenbar, nicht mehr als die einzige Antikriegskraft wahrgenommen wurden. Wir haben ein Parteiprogramm, das in diesen Fragen sehr klar ist. Diejenigen, die jetzt Kritik an diesen Positionen üben, sollten sich daran erinnern, dass das geltende Programm noch immer das auf dem Parteitag in Erfurt beschlossene ist. Kürzlich ist Christa Luft aus der Partei ausgetreten. Das, was sie zur Begründung ihres Austritts geschrieben hat, nehme ich sehr ernst. Es geht darum, dass die Axt an die Grundwerte unserer Partei gelegt werden soll. Sollte sich diese Haltung durchsetzen und zur Mehrheitsmeinung werden, dann hätten wir eine andere Partei. Ob das dann von den Wählerinnen und Wählern noch gutgeheißen wird, möchte ich bezweifeln.

Huth: Auf der Fraktionsklausur Ende Oktober zirkulierte ein Papier, in dem es unter anderem auch um die Friedensarbeit ging. Darin wurde die Qualität der Ausrüstung der Bundeswehr beklagt, wesentliche Fragen zur aktuellen Lage, zu Russland und China tauchten hingegen gar nicht auf, ebensowenig die NATO. Friedenspolitik schrumpfte da zusammen auf die Frage der Rüstungsexporte. Gab es dagegen gar keinen Widerspruch?

Pellmann: Sicher, darüber wurde diskutiert. Das Papier war ein Anstoß. Nach meiner Information haben die beiden Fraktionsvorsitzenden vor allem das, was innerhalb der Partei völlig unstrittig ist, in dieses Papier aufgenommen. Für mich ist in der Frage von Krieg und Frieden handlungsleitend, was in unserem Wahlprogramm beschlossen wurde, aber vor allem, was im Erfurter Programm formuliert ist.

Huth: Dieses Programm enthält ein kategorisches Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Im vergangenen Sommer gab es die Debatte um die Evakuierung von »Ortskräften« in Afghanistan, das war, wenn man so will, ein unmandatierter Bundeswehr-Einsatz, der möglicherweise auch ein Kampfeinsatz hätte sein können. Das Abstimmungsverhalten der Linksfraktion hat viele irritiert, weil sie es als einen Bruch mit der Programmatik wahrgenommen haben. Die Empfehlung lautete Enthaltung. Einige haben mit Ja gestimmt, einige wenige mit Nein, die Mehrheit hat sich enthalten.

Pellmann: Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass jeder Abgeordnete ohne Fraktionsempfehlung frei hätte abstimmen können. Das hat eine knappe Mehrheit in der Fraktion aber abgelehnt. Nachdem eine nicht geringe Zahl der Fraktionsmitglieder angekündigt hatte, dem Einsatz zustimmen zu wollen, und eine ähnlich große, mit Nein zu stimmen, gab es diesen Kompromissvorschlag. Es blieb insgesamt nur wenig Zeit zur Diskussion. Ich habe dann versucht, mir einen eigenen Standpunkt zu bilden, und mit Nachdruck die Enthaltung verteidigt. In der öffentlichen Darstellung stand nicht die Frage im Mittelpunkt, ob es sich um einen militärischen Einsatz handelt, sondern vielmehr, wie Die Linke sich in der Angelegenheit verhält: Sollen Ortskräfte und andere Bedrohte aus Afghanistan ausgeflogen werden können? Ein geschlossenes Nein wäre so wahrgenommen worden, dass die Partei auch die Evakuierung ablehnt. Vor diesem Hintergrund hielt ich es für richtig, mich der Stimme zu enthalten. Drei Monate zuvor hatte die Fraktion von Die Linke, damals noch gleichlautend mit den Grünen, einen Antrag im deutschen Bundestag zu den Evakuierungsmaßnahmen gestellt, der natürlich keine Mehrheit erhielt. Man hätte daher in den Vordergrund stellen müssen, dass die damals noch regierende Koalition frühzeitig hätte evakuieren können, ganz ohne einen weiteren militärischen Einsatz. Das beschlossene Mandat aber bedeutete eine Freigabe für in Kampfmontur aufmarschierende Soldaten, die im Zweifelsfall die Menschen hätten freischießen sollen. Deshalb hätte ich auch ein Nein vertreten können, ein Ja aber auf gar keinen Fall. In der Gemengelage war es gut, sich zu enthalten. Nicht gut waren die Uneinheitlichkeit und auch die Tatsache, dass einzelne der Auffassung waren, bei diesem Einsatz mit Ja zu stimmen, um wem auch immer etwas zu beweisen.

Huth: Wenn einer Partei der parlamentarische Betrieb am wichtigsten ist, gerät sie schnell in solche misslichen Situationen. Da werden dann humanitäre Aspekte vorgeschoben, um das programmatische Profil aufzuweichen.

Hornung: Ich halte die Enthaltung der Linkspartei bei diesem Einsatz für fatal. Sie hätte verdeutlichen müssen, dass es bei diesem Einsatz gar nicht darum ging, die Ortskräfte zu retten. Die Zahl derer, die evakuiert werden sollten, lag unter einem Prozent der Ortskräfte in Afghanistan insgesamt. Die stehen übrigens jetzt an der Grenze zu Polen und werden nicht hineingelassen. Das zeigt, wie scheinheilig diese Nummer der Bundesregierung war. Ich halte es auch deshalb für fatal, weil der Afghanistan-Einsatz, der lange Zeit von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt worden ist, mit dieser Abstimmung nachträglich legitimiert werden sollte. Jetzt heißt es, wir brauchen eine EU-Armee, wir müssen einsatzfähiger werden. Darum ging es. Die Linkspartei muss unbedingt zum Erfurter Programm zurückkehren und zu allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr unmissverständlich nein sagen. Sie sollte bei dem Spiel, die Verteidigung von Menschenrechten ins Feld zu führen, um Kriege zu rechtfertigen, gar nicht erst mitmachen. Wir wissen, wie gefährlich das ist. Wir wissen, welchen Weg die SPD 1914 gegangen ist, wir wissen, welche Entwicklung die Grünen genommen haben, die 1999 angeblich nur einmalig dem Krieg gegen Jugoslawien zustimmten, danach aber fast jedem weiteren Kriegseinsatz. Ich sage das deshalb, weil wir Die Linke in der Friedensbewegung als Kraft brauchen. Aber wenn im Parteivorstand diskutiert wird, ob man sich auf die Kritik der Rüstungsexporte beschränkt, wenn man sich hinter die NATO stellt, dann stellt man sich außerhalb der Friedensbewegung. Das können wir uns angesichts der Kriegsgefahr nicht leisten.

Pellmann: Die Linke war die einzige politische Kraft im Deutschen Bundestag, die von Beginn an betont hat, dass der Afghanistan-Einsatz völkerrechtswidrig und falsch ist. Bei den ­jährlichen Mandatsverlängerungen hat die Fraktion von Die Linke als einzige immer konsequent und geschlossen mit Nein gestimmt. Gegen die Angriffe auf das Erfurter Programm sind wir gut beraten, die dortigen ­friedenspolitischen Positionen nicht zu ­schleifen, sondern sie deutlich zu stärken. Wenn der Preis dafür lautet, nicht mitregieren zu können, dann bin ich gerne bereit, ihn auch zu bezahlen.

Huth: Wenn die Linke so weitermacht wie bisher, dann wird sie es nicht schaffen, erneut in den Bundestag einzuziehen. Auf der Straße ist sie kaum sichtbar. Zu Zeiten, als sie größere Erfolge einfuhr, war das anders. Da waren die Kämpfe im Parlament verbunden mit dem Kampf auf der Straße, mit Bewegungsnähe, von den Gewerkschaften bis hin zur Friedensbewegung. Der Kontakt zur Straße scheint abhanden gekommen.

Pellmann: Ja, dieser Eindruck kann entstehen. Es gibt aber auch Lichtblicke. Ich schätze, mein persönlicher Erfolg bei der Eroberung des Direktmandats in Leipzig hat auch damit zu tun, dass ich mit der lokalen Friedensbewegung, mit Flüchtlingsinitiativen und Sozialvereinen in meinem Wahlkreis zusammenarbeite und mein Richtmaß das Erfurter Programm ist. Ich bin 2021 erneut angetreten, um meine Partei nicht dem Untergang geweiht zu sehen, um weiter für diese Partei zu kämpfen.

Schmitthenner: Das setzt aber voraus, den Einfluss der Bundestagsfraktion auf die Politik der Partei zu schmälern oder, anders gesagt, die Basisstrukturen zu stärken. Die Partei muss der Fraktion sagen, wo es langzugehen hat und nicht umgekehrt.

Pellmann: Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Patentrezept ist. Einiges, was derzeit im Parteivorstand diskutiert wird, sollte besser nicht Leitlinie der Arbeit in der Fraktion werden. Ich fände es viel besser, wenn die Genossinnen und Genossen, die tagtäglich für unsere Partei arbeiten, an der Meinungsbildung und an Entscheidungen beteiligt würden. Dazu gehört auch die existentielle Frage von Krieg und Frieden.

Huth: Wie wird die Linkspartei als Bündnispartner in der Friedensbewegung gesehen?

Singe: Die Kontakte zu Partei und Fraktion waren für uns immer sehr wichtig, vor allem, weil wir Informationen erhalten haben und bei Anträgen, die Die Linke im Bundestag gestellt hat, mitwirken konnten, etwa bei Auslandseinsätzen oder der Aufrüstung der Bundeswehr. Ansonsten versteht sich die Friedensbewegung aber in erster Linie als eine außerparlamentarische Basisbewegung, die eben auf die Parteien im Parlament Druck ausüben will, dass sie ihre Kriegspolitik beenden. Ich möchte an die Kampagne gegen den Irak-Krieg 2003 erinnern. Drei Wochen lang gab es eine wirklich globale Friedensbewegung, zwischen zehn und dreizehn Millionen Menschen haben weltweit gegen diesen Krieg demonstriert, es wurde darüber diskutiert, ob dieser Krieg noch durchsetzbar war. Das muss die Aufgabe der Friedensbewegung sein: so stark zu werden, dass die Herrschenden sagen, dieser Krieg ist nicht mehr durchsetzbar. Gut, wenn es dann Parteien in den Parlamenten gibt, die mit uns kooperieren.

Huth: Die Bedrohung im Weltmaßstab ist so groß wie selten in den letzten Jahrzehnten. Es gibt zugleich etliche Friedensinitiativen. Bei Verdi gibt es ein Friedensnetzwerk, die IG BAU hat eine Friedensresolution verabschiedet. Da ist also Bewegung, aber es gibt nichts Vergleichbares wie 2003, keine weltweite Bewegung.

Schmitthenner: Dennoch sind die Potentiale dazu in der Gesellschaft vorhanden. 2003 wurde der zivile Ungehorsam viel breiter wahrgenommen. Diese Aktionen gilt es zu verstärken, gleichzeitig muss die Bewegung in der Breite verankert werden. Dazu braucht es Öffentlichkeitsarbeit. In den Schulen muss dieses Thema viel stärker behandelt werden. Da haben wir riesige Informationsdefizite.

Hornung: Für die Friedensbewegung ist es sehr gut, wenn sie Kontakte in den Parlamenten hat, aber wir müssen Druck von außen aufbauen und dürfen uns nicht auf das Parlament verlassen. Mein Eindruck ist sehr wohl, dass die Friedensbewegung im Moment viel zu schwach ist, zu schwach angesichts der Kriegsgefahr, die wir gerade erleben. Es ist sehr wichtig, wenn Parteimitglieder wie du, Sören, in Leipzig in der Friedensbewegung verankert sind. Dieses Engagement brauchen wir. Aber wenn Wulf Gallert jetzt im ND fordert, die russische Außenpolitik genauso zu bewerten wie diejenige Deutschlands und der USA, dann haben wir ein Problem. Da dürfen wir nicht mitmachen. Wir müssen statt dessen klar sagen, wer der Aggressor ist.

Pellmann: Die Antwort auf diese Frage ergibt sich schon beim Blick auf den jeweiligen Rüstungsetat, also wieviel die USA und die NATO investieren im Vergleich zu Russland und China. Da wird klar, die Aggression geht von der NATO und den Vereinigten Staaten aus.

Abonnieren Sie den Konferenz-Newsletter