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Aus: literatur, Beilage der jW vom 04.12.2008

Vor den Truppen

Peter-Scholl Latour hat seine weltpolitische Chronik der letzten sieben Jahre vorgelegt: Zumeist dumme Kriege. Wie er es immer schon gesagt hat
Von Arnold Schölzel
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Die Buchvorstellung findet im Hotel Adlon am Brandenburger Tor statt. Das Haus zeichnet sich durch zweifelhafte Eleganz, plüschig-düsteres Design und geschmacklosen Stilwirrwarr im Innern aus. Dubiose Immobiliengruppen wie Fundus, der Betreiber der Nobelherberge, bringen architektonisches Talmi hervor. Man kann von angemaltem Schrott sprechen. Das Haus ist ein Aushängeschild der Berliner Republik.



Der Propyläen Verlag läßt Peter Scholl-Latour in dieser Umgebung mit Hans-Ulrich Jörges vom Stern über den »Weg in den neuen Kalten Krieg« plaudern, so der Titel des Buches – 60000 Exem­plare beträgt die Startauflage. Teure Anzeigen in der überregionalen Presse erscheinen. Scholl-Latour, heißt es von seiten des Verlages, ist der erfolgreichste deutschsprachige Sachbuchautor aller Zeiten, am kommenden Montag erwarte man den Band auf der Spiegel-Bestsellerliste. Klappt wie bestellt. Am 1. Dezember meldet das Hamburger Magazin: Platz 13 von 20. Das ist Routine, so wie der Inhalt: In dem Band geht es, sagt der Verlagssprecher, um »Peak Power«, in Anlehnung an »Peak Oil«, um den Niedergang der US-Weltmacht. Das lesen in der Bundesrepublik offenbar viele immer wieder gern, jedenfalls von Scholl-Latour. Andere bekommen von Springer und sonstwem bei so etwas »Antiamerikanismus« hinterhergeschrieben. Bei der Buchvorstellung sind im Saal Jörg Schönbohm (CDU), Wolfgang Gerhardt (FDP) und Oskar Lafontaine zu sehen. Letzteren bezeichnet Scholl-Latour als Freund. Als Jörges erstaunt nachfragt, wieso, kommt die Antwort: »Ich bin eigentlich aus dem Saarland, und er war dort schon einmal Ministerpräsident. Anschließend war das Saarland nicht kommunistisch.« Außerdem sei Lafontaine frankophil, was man von der Bundesregierung nicht behaupten könne. Im Buch äußert sich Scholl-Latour noch verständnisvoller: Er kritisiert die deutschen Medien wegen einer »maßlosen Kampagne« gegen den Vorsitzenden der Linkspartei, dessen »Warnrufe, seine Verdammung des Turbokapitalismus« sich als weitgehend berechtigt erwiesen hätten. Scholl-Latour schreibt, in den USA lasse sich »das Scheitern, zumindest die flagrante Unzulänglichkeit des Kapitalismus beobachten«. Und weiter: »Wenn die Exzesse des Sozialismus Furcht einflößen, so erregen die Exzesse des Kapitalismus Ekel.«



Scholl-Latour darf sich in Mainstream- und rechtsrandigen Medien und hier im Saal erlauben, was bei anderen zur Verhängung einer Nachrichtensperre führt. Zu den Gründen dafür zählt sein Alter, er ist Jahrgang 1924. Jörges spricht von »gnadenloser Unabhängigkeit« und schwärmt, der alte Herr sei neben Helmut Schmidt der einzige »Welterklärer« der Bundesrepublik. Die Welterklärung besteht darin, daß der Mensch für unveränderbar bösartig (Scholl-Latour: »Der Mensch ist das schlimmste Raubtier.«) und die jeweilige Weltlage aus dieser Naturkonstante erklärt wird. Es geht auch im aktuellen Buch vor allem um Blutvergießen, Pulverdampf und Leichengeruch. Das vermittelt dem Publikum im von Gerhard Schröder als »Mittelmacht« eingestuften Deutschland offenbar eine virtuelle Teilhabe an Großmachtpolitik.



Um die geht es im Buch – von 2001 bis zum 5. November 2008. Dieses Datum, der Tag nach der US-Präsidentenwahl, steht unter dem Titel des »Epilogs«: »Der Schwarze Mann im Weißen Haus«. In chronologischer Reihenfolge sind in dem Band Kommentare, Fernsehdokumentationstexte, Reportagen und Interviews (darunter eines mit dem Leitorgan intellektueller Neonazis, der Jungen Freiheit) »ohne jede nachträgliche Berichtigung« abgedruckt.



China ist die andere Konstante zur Welterklärung, die Scholl-Latour sieht. Peking ist der eigentliche Gegner des neuen Kalten Krieges, den er im Titel ankündigt. Im Gespräch mit Jörges formuliert er drastischer als im Buch: Der größte Fehler George W. Bushs sei, nicht begriffen zu haben, daß Rußland und die USA zukünftig einen gemeinsamen Gegner haben werden, nämlich China. Die Einkreisung Rußlands bis hin zur geplanten Raketenaufstellung in Polen – er hoffe, daß Barack Obama einen anderen Kurs einschlage. Sehr optimistisch ist Scholl-Latour allerdings nicht.



Seine Vorschläge laufen darauf hinaus, sich für die aus seiner Sicht richtigen Auseinandersetzungen, also zukünftige Kriege, zu wappnen. Die Welt ist voller Gefahren, und außer ihm kennt die speziell in der Bundesrepublik niemand. Außerdem: Wenn die Kriege beginnen, war Scholl-Latour schon da und hat mit allen wichtigen Leuten gesprochen. Er berichtet über stattfindende Kriege, um auf die nächsten vorzubereiten. Das Credo, das auch in dem Buch deutlich wird, lautet: Krieg ist immer und die Deutschen sollen sich endlich gefälligst darauf einstellen, eigene zu führen.



Denn das tun sie und die Europäer nicht. Im Adlon sagt Scholl-Latour: »Die Europäer sind für niemanden eine Gefahr – ich möchte sagen: leider.« Sie nehmen als »Vasallen« an den dummen und weniger dummen Feldzügen der USA teil, die seit 1945 keinen Krieg mehr gewonnen haben. Kluge Kriege führen nach ihm Franzosen und Briten in Afrika. 2003 schreibt er über die militärische EU-Rettungsaktion im Kongo: »Daß deutsche Soldaten nicht im Kampfgebiet selbst eingesetzt werden, ist gut so. Denn Erfahrungen im tückischen Dschungelkampf hat die Bundeswehr nicht sammeln könne. Aber es sollte sich zumindest ein Trupp Elitesoldaten des KSK an Ort und Stelle mit solch exotischen Einsätzen vertraut machen, weil in absehbarer Zukunft im südlichen Afrika ähnliche Krisenherde aufflackern und die Intervention deutscher Einheiten erfordern könnten.« 2006 spricht er von den »Söhnen des Vaterlandes«, die »ohne überzeugendes strategisches Konzept in exotischen Gefilden für Feldzüge eingesetzt werden, die mit den wirklichen deutschen Interessen wenig zu tun haben«.



Das soll sich ändern, denn Krieg muß sein, jedenfalls der richtige. Die USA unter Bush haben das mit den falschen Kriegen noch forciert. Der Präsident und seine Neocons – »Halbverrückte, nicht weit vom Faschismus entfernt« – haben nach Scholl-Latour die »islamische Revolution« vom Senegal bis zum Süden der Philippinen richtig in Schwung gebracht. Ihr Erbe sei eine Kette von Regionalkonflikten. Und die deutsche Außenpolitik ist keine. Sie ist unsouverän, wird von Narren betrieben, besteht aus Provinzialismus und taktischen Spielchen, aus Wunschdenken und demokratischer Heuchelei und wurde bis 2005 von den »Pazifisten von gestern« aus SPD und Grünen getragen. Die scheinen »immer mehr Spaß zu empfinden an militärischer Entfaltung«, schreibt er 2002. Merkel und Steinmeier kommen auch nicht besser weg. Fazit: »Deutschland steht vor der Wahl, mit Rußland eine vielversprechende ökonomische Partnerschaft, ja Symbiose einzugehen oder sich im Namen einer obsoleten NATO-Struktur in einen neuen Kalten Krieg hineinzerren zu lassen.« Putin sei autokratisch und die NATO nicht überflüssig, aber gerade im Hinblick auf Rußland sei es nötig, »eine souveräne Außenpolitik und Strategie für Europa« zu definieren. Auch der neue Kalte Krieg sei ja bereits ein heißer. Der Autor verweist darauf mit einer Kritik des US-Adepten Saakaschwili, der sich bei seinem militärischen Abenteuer in Südossetien auf die NATO-Beistandsverpflichtung hätte berufen können, wäre Georgien schon Mitglied des »Nordatlantikpaktes« gewesen.



Scholl-Latour läßt nicht erkennen, daß er die römische Sentenz »Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor« teilt. Er vertritt keine Friedensbewegung, sondern die Permanenzerklärung des Kriegs. In der existierenden Weltordnung gibt es keinen kriegsfreien Zustand, nur überflüssige oder sinnvolle Feldzüge. Über die Ordnung, die so ist, fällt er kein Urteil. Er plädiert: Wenn schon Krieg, dann bitte einen mit Klartext.



Jörges meint, das sei das Buch zu Obamas Außenpolitik. Schönbohm, findet Scholl-Latours Bemerkungen über Georgien nicht nett. Die Osteuropäer sähen das ganz anders, und überhaupt habe Rußland kein Interesse, seine Energielieferungen woandershin zu lenken. Der Angesprochene versteht nicht richtig und kokettiert, er habe sich neulich mit Helmut Schmidt unterhalten: »Zwei Stunden über Politik und eine halbe Stunde über Hörgeräte.« Ins neuwilhelminische »Adlon« paßt alles gut: Teuer, mit wenig Façon. Wie ihre Kriege.



Im Buch finden sich außer bei den Interviews keine Verweise, wo die Texte zuerst erschienen sind, Personen- und Sachregister fehlen.


Peter Scholl-Latour: Der Weg in den neuen Kalten Krieg. Eine Chronik. Propyläen Verlag, Berlin 2008, 351 Seiten, 24,90 Euro

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