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Aus: Ausgabe vom 12.10.2021, Seite 10 / Feuilleton
Deak

Rheinische Frohnatur

Von Dusan Deak

Die vierte Welle kommt später als versprochen. Auf nichts ist mehr Verlass. Selbst bei der Zählung der Geimpften ergaben sich erhebliche Ungereimtheiten. Es gibt viel mehr geimpfte Menschen als gedacht, denn die Zahlen wurden vom Robert-Koch-Institut (RKI) nicht durch Zählung ermittelt, sondern wie bei der Berliner Kommunalwahl Pi mal Daumen geschätzt. Das musste der Chef des RKI, Professor Lothar Wieler, kleinlaut zugeben, dessen Stuhl nun bedenklich wackelt. Kein Wunder, dass die Inzidenzwerte nicht vom Fleck kommen und sich enttäuschenderweise im unteren Bereich bewegen. Es scheint so, als könnte das RKI die vereinbarten Coronaplanungen und -termine nicht einhalten und als würde die Pandemie aus diesem Grund in einen Soll-Zustand rutschen.

Im Schatten dieser unerfreulichen Entwicklung bahnt sich bereits die nächste Grässlichkeit an: der Ausbruch der »Rheinischen Frohnatur«. Es steht zu befürchten, dass sie nach zwei Jahren Coronapause erneut in Form des »Kölner Karnevals« ausbricht – der bisher schlimmsten Ausformung einer saisonal und regional begrenzten infektiösen Erkrankung. Die Schonzeit ist vorbei. Was den Bürgern dann blüht, zeigt beispielhaft das traurige, fast schon tragische Schicksal von Armin Laschet, dem prominentesten Opfer der »Rheinischen Frohnatur«. In der Spätphase seiner Erkrankung (»Late Frohnatur«) litt Laschet unter der Wahnvorstellung, er hätte durch die Bundestagswahl 2021 vom Wähler einen Regierungsauftrag erhalten und müsse unbedingt Kanzler werden. Selbst sein bester Freund Markus Söder war nicht imstande, ihm das auszureden.

Die Erkrankung wird im allgemeinen wegen ihrer regionalen und zeitlichen Begrenzung unterschätzt. Sie erinnert an einen Haschisch- oder Lachgasrausch, ist aber auch mit dem Tourette-Syndrom verwandt. Sie kann pandemische Züge entwickeln und im Rhein-Main-Gebiet ganze Bevölkerungsschichten erfassen. Schlimmstenfalls kann sie sich zu einem sogenannten Karneval entwickeln, einer gefährlichen Zusammenrottung unbeherrschbarer Individuen, verharmlosend »Narren« genannt. Zu erkennen sind sie am schmerzerfüllten »Alaaf«- und »Helau«-Gebrüll und krampf­anfallähnlichen arrhythmischen Bewegungen, von Ärzten als »Schunkeln« bezeichnet. Zu befürchten ist, dass der »Karneval« in den Regionen Köln, Düsseldorf und Mainz mit der vierten Pandemiewelle zusammenfällt. Hoffentlich gelingt es der Wissenschaft, in der verbleibenden Zeit einen Impfstoff zu entwickeln und die Bevölkerung rechtzeitig »nachzuboosten«.

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