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Aus: Ausgabe vom 20.12.2018, Seite 10 / Feuilleton
Droste

Pferdeflüstern. Wahre Tierrechte (65)

Von Wiglaf Droste

Unwirsch warf Jochen den Kopf zurück. Wollte Andreas ihm einen vom Pferd erzählen? fragte er sich, als prompt ein Pferd durchs Bild gelaufen kam, wieherte und bei ihnen stehenblieb. Jochen dachte sofort an Fury, nein: Funny van Dannens Lied »Unbekanntes Pferd«; Andreas musste den Song ebenfalls kennen, denn er griff zur Gitarre, suchte die richtigen Akkorde und sang leise: »Es war vor vielen Jahren, ich war noch so jung, es war die Zeit der ersten Liebe. / Ich spürte den Schmerz, denn er ging durch mein Herz, und der Wind ging leicht durch die Bäume. / Da sah ich es steh’n und ich sagte: Hallo!, Du bist schön, aber ich kann nicht reiten! / Es hob seinen Kopf und es wieherte laut ich sagte: Nein, ich kann Dich nicht begleiten! // Unbekanntes Pferd, lauf heim! Es ist schon spät, die ersten Sterne strahlen. Unbekanntes Pferd, lauf heim! Lass mich allein! Es muss so sein Ich kann dich nicht behalten // Da trabte es los, es war schwarz und groß und ich schaute ihm lange noch nach. / Der Mond war schon da und die Nacht war so nah, eine Fledermaus flog durch das Dunkel // Unbekanntes Pferd, lauf heim! Es ist schon spät, die ersten Sterne strahlen. Unbekanntes Pferd, lauf heim! Lass mich allein! Es muss so sein. Ich kann dich nicht behalten. Unbekanntes Pferd, lauf heim, jemand wartet auf dich, jemand kennt deinen Namen und ruft ihn die ganze Zeit ...«

Das Pferd, das die ganze Zeit getänzelt hatte wie ein Varietégaul, schnaubte begeistert, entblößte ein paar prächtige Zähne und sprach weichlippig: »Ach, wie schade, dass ich gar nicht applaudieren kann mit meinen ollen Hufen. Aber sagt mir: Wieso können die Pferde auch mit allen Tieren und Menschen sprechen? Wir haben doch gar nichts von dem Geheimfutter zu uns genommen. Aber gehört haben wir davon ...!« Jochen stand ebenfalls vor einem Rätsel. »Vielleicht ist es ja der Eierlikör?« versuchte er vage und ohne Überzeugungskraft, und das Pferd schüttelte sich. »Nein, daran liegt es nicht. Aber wenn du es nicht weißt, ist es mir auch egal. Hauptsache, wir können einander endlich alle verstehen.«

Das sah auch Andreas so und streichelte dem Pferd sacht über die Nüstern. »Wäre es nicht gut«, seufzte das Pferd, »wenn wir alle zusammen auswanderten? Die Schweiz soll so schön sein, vor allem für Tiere.« – »Na ja, für Tiere mit Geld wie Heu«, gab Andreas zurück. »Ich war oft und lange da, oberhalb 2.000 Metern wird es besser, unten ist Angstland, vor allem in der Deutschschweiz, da kacken sie sich auf den Dömmel vor lauter Geldpanik.« – »Und was ist mit der ›Hornkuh-Initiative‹?« fragte das Pferd, das sich offenbar schon gut informiert hatte. »Ja«, sagte Andreas, »das war schon gut, dass ein einzelner Mensch es fast geschafft hätte, durch Hartnäckigkeit und gute Argumente einen Zusatz in der Verfassung zu verankern, der die Würde der Tiere schützen kann. Ich hoffe, beim nächsten Mal klappt es, und die Hörnerabsägerei hört auf.« Er wandte sich dem Pferd zu: »Aber warum interessierst du dich für die Belange der Kühe? Du bist doch ein Pferd.«

»Melissa hat vorhin zwischen zwei Liedern noch mal gesprochen und gesagt, dass wir uns nicht auseinander bringen lassen dürfen, irgend was mit ›divide et impera‹, ich hab’s nicht ganz verstanden. Mit Dividenden hat das nichts zu tun, oder?« – »Unmittelbar nicht, mittelbar schon«, mischte sich Jochen ein; er schien äußerst vergnügt zu sein.

Fortsetzung folgt

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