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Aus: Ausgabe vom 14.07.2014, Seite 12 / Feuilleton

Alles Photoshop

Von Jamal Tuschick
Die ersten sprangen schon bei der Applaus-Probe auf. Beim »Best of Female Poetry Slam« in der Berliner Volksbühne am Freitag sollte das Publikum die Jury sein. Jede Poetin hatte fünf Minuten, singen war verboten, entschieden wurde per Akklamation.

Theresa Hahl aus Bochum startete dann den Wettbewerb. Ihr lyrisches Ich fragt: »Bin das nur ich, oder ist die Welt nicht ganz dicht?« Manche Sprachbilder funkeln: »Stanniolabziehfolie im Alltagsalphabet«, »ein Herz aus Routine-Ruinen«. Dem abgezirkelten Vortrag folgte der überragende Beitrag von Franziska Holzheimer (Hamburg). »Wir leben in einer Zeit bewegter Bilder«, Holzheimer erzählt aus der Kameraperspektive: »Realität ist nichts als ihre Wahrnehmung« – Photoshop als Realitätsersatz. Sie gewann die erste Vorrunde.

Der zweite Durchgang ging an Dominique Macri (Marburg), die gegen das »Eintüten«, angeblich eine deutsche Manie, anlas. Ihr Alter ego steht »ungefickt im Regen«, die zerlaufende Poesie einer Liebesgeschichte konkurriert mit Migrationsmitteilungen. »Immer noch erkennt man uns, wir sind anders und lassen uns die Andersartigkeit abfällig attestieren.«


Im dritten Durchgang lasen »Die gestörten Möchtegern Twins« eine RAF-Kolportage mit Gudrun Ensslin als zentraler Figur. Auf deren Pfarrerstochter-Biographie wird angespielt, ihr Sohn Felix taucht auf und geht unter. Die »Möchtegern Twins« bildeten einen Chor, sie sangen auch, obwohl das, wie gesagt, verboten war. Anschließend sehnte sich Svenja Gräfen (Berlin) nach dem »Zeitmanagement ihrer Kindheit zurück«, nach »einem Hochgefühl, als die Stützräder abmontiert wurden«.

Im Finale waren Holzheimer, Macri und Gräfen. Holzheimer drehte mit »Der Deutsch-Komplex« Paul Celans »Todesfuge« eine lange Nase mit vollem Körpereinsatz, inklusive eines abgebrochenen Spagats und eines kryptischen Hitlergrußes. Der erste Siegertext. Holzheimer nimmt nicht nur die Melodie der Todesfuge« auf die Schippe. Sie persifliert: »Kein Massai für Margarete … Das Grauen sitzt in den Graubrotscheiben.« Ich begreife den Witz nicht: »Margarete, dein Haar stinkt nach Kraut.« Celan: »Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland/ er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft/ dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng.« Das Auditorium raste. Ist Poetry Slam ein rechter Rave? Ich wünschte mir, etwas falsch verstanden zu haben. Holzheimer gewann im Doppelpack mit Gräfen, die eine Geschichte über den Generationenkonflikt las, in dem das juvenile Ich »von alten Menschen angepöbelt« wird.

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