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30.11.2021 19:30 Uhr

Das Wollen und die Tatsachen

Max Hoelz auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin
Von Alexander Reich
»Berühmtester politischer Gefangener der Weimarer Republik«: Max Hoelz (l.) nach der Verlegung ins Zuchthaus Sonnenburg 1927

Er war ein Draufgänger, ein Feuerkopf, der die Leute mitriss und die Dinge anpackte, statt nur zu reden. So wurde Max Hoelz nach dem Ersten Weltkrieg im Vogtland zum Volkshelden. Wenn er mit den Genossen vom Arbeiter- oder vom Arbeitslosenrat die Gewehre entsicherte, steigerte das die Spendenbereitschaft der Fabrikanten, Gutsbesitzer erhöhten die Hungerlöhne ihrer Ackerknechte.

Zur Wiederherstellung der Ordnung rückten Truppen des SPD-Reichswehrministers an, wurden auf Steckbriefen stattliche Summen für Hoelz’ Ergreifung geboten – er bewegte sich weiter wie ein Fisch im Wasser durch das besetzte Fabrikstädtchen Falkenstein. Seine Schelmenstücke wurden viel herumerzählt. Sie ließen die Dinge veränderbar scheinen, doch als die Reichswehr schließlich so übermächtig wie brutal die Ordnung wiederherstellte, war man der Änderung der Produktionsverhältnisse auch im Vogtland nicht viel näher gekommen.

Hoelz wurde im Frühjahr 1921 in Berlin verhaftet. Die Polizeifotos von seiner erkennungsdienstlichen Behandlung – Rechtsprofil und Frontalaufnahme – sind in einer Ausstellung des Falkensteiner »Freundeskreises Max Hoelz e. V.« zu sehen. Von einer Schautafel blickt der Revolutionär mit rasiertem Schädel und großer Selbstgewissheit in die Kamera. Auf benachbarten Fotos sind Leichen »gemeuchelter« Arbeiter an eine Wand gelehnt, wurde ein Güterzug während damaliger Arbeiterkämpfe aus dem Gleis gekippt.

»Es gibt für mich nur eine proletarische Ehre«, erklärte Hoelz im Juni 1921 vor dem Sondergericht Moabit – die könne ihm hier nicht genommen werden, und mit der bürgerlichen Ehre, dieser »Kunst, von der Arbeit anderer zu leben«, müsse ihm niemand kommen. Lebenslänglich lautete das Urteil, die Begründung war fadenscheinig.

In den Jahren der Haft wurde ­Hoelz einerseits beinahe irre, andererseits weltberühmt. Er klebte Zettel mit Fremdwörtern an die Zellenwände, arbeitete nicht nur die Merkmale einer revolutionären Situation nach, reflektierte die Überschätzung eigener Kräfte, die ihn 1920 für ein halbes Jahr aus der KPD hatte fliegen lassen: »Es gibt eine rein persönliche Selbstüberhebung, mit dem Ziele etwas zu gelten, etwas zu scheinen, Effekt zu machen. Und es gibt Selbstüberhebung, die nur den Zweck verfolgt, andere anzuspornen, anzutreiben, ihnen ein Beispiel zu geben, ihnen zu zeigen, wie jeder Mensch zu handeln imstande ist.«

Während der Kämpfe im März 1921 sei bei ihm der Groschen gefallen, schrieb er Ende 1922 aus dem Zuchthaus in Breslau: »Das Gute an mir war das Wollen, das Schlechte das Können, die Gedanken fügten sich nicht den Tatsachen.« Und zweieinhalb Jahre später: »Für die Partei kann es sehr wohl eine Trennung von Hoelz geben, nicht aber für mich eine Trennung von der Partei.« Die Komintern hätte zu diesem Zeitpunkt kaum weiter von einer Trennung entfernt sein können. Für groß angelegte Solidaritätskampagnen der Roten Hilfe verfasste etwa Erich Mühsam die einfühlsame Broschüre »Gerechtigkeit für Max Hoelz«. Moskau benannte Fabriken, Schulen und Schiffe nach dem politischen Gefangenen.

»Die Massen in der Sowjetunion kannten von den Deutschen außer Marx und Engels noch Ernst Thälmann, Clara Zetkin und Max Hoelz«, sagt Peter Giersich, der Vorsitzende des Freundeskreises, der dessen Ausstellung federführend gestaltet hat. Eine der Schautafeln zeigt einen Rotbanner-Orden, wie ihn Hoelz 1923 als erster Deutscher erhalten hat, gemeinsam mit Clara Zetkin.

Die Kampagne zur Freilassung des wohl berühmtesten politischen Gefangenen der Weimarer Republik hatte über die Jahre nicht an Kraft verloren. Im Juli 1928 wurde Hoelz schließlich entlassen und versicherte den mehr als 100.000 Berliner Arbeitern, die ihn stürmisch begrüßten, der alte geblieben zu sein, ein »Kesselheizer der Revolution«. Ab August 1929 war Hoelz zumeist in der Sowjetunion. Die Tafel über seinen letzten Lebensabschnitt hat den schönen Titel »Im Vaterland aller Werktätigen«. Hoelz reiste herum, hielt Ansprachen, kroch aber auch durch Bergwerksschächte und schuftete zuallerletzt auf einem Landgut.

Die Ausstellung, die am 8. Januar auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin zu sehen sein wird, zeigt neben dem auf Initiative des Freundeskreises rekonstruierten Grab den amtlichen Totenschein der damaligen Stadt Gorki. Demnach ist Hoelz am 15. September 1933 bei einer Bootsfahrt im Fluss Oka ertrunken, aber möglicherweise entledigte sich die Partei damals in Zeiten großer Bedrängnis mittels ihrer Geheimpolizei eines ihrer schillerndsten Typen.

Die Berliner Max-Schmeling-Halle, Ort der Konferenz, soll am 8. Januar symbolisch in Max-Hoelz-Halle umbenannt werden.

Alle Macht den Ackerknechten!

Geboren wurde Max Hoelz am 14. Oktober 1889 in einem Dorf in Ostsachsen. Seine Eltern waren Tagelöhner auf dem Feld, sehr arm und streng katholisch. Als er mit 13 Jahren die Volksschule beendet hatte, wurde auch Max Hoelz Ackerknecht. Zwei Jahre später begann sein Kampf um den sozialen Aufstieg. Er versuchte, an technischen Hochschulen in London und Dresden mitzukommen, verdingte sich als Hausdiener, Teller- und Autowäscher. Zur Unterdrückung des Sexualtriebs schloss er sich mit 20 einem christlichen Jungmännerverein an. Mit 23 zog er auf ärztlichen Rat nach Falkenstein, wurde Gehilfe eines Vermessers.

Mitten im Horror des Ersten Weltkriegs machte Hoelz Bekanntschaft mit dem Kommunisten Georg Schumann. Hoelz trat Anfang 1919 in die KPD ein, gründete wenige Wochen später den Arbeitslosenrat von Falkenstein, jagte den Bürgermeister durch das Elendsviertel der Stadt. Bald auch steckbrieflich gesucht, tanzte er den Truppen des Reichswehrministers Noske (SPD) auf der Nase herum.

Im März 1920 übernahm Hoelz zur Abwehr des Kapp-Putsches mit etwa 250 Arbeitern die Kontrolle in Falkenstein, legendär wurde seine Befreiung von 21 Genossen aus dem Knast in Plauen. Nach der Niederschlagung der Putschisten weigerte sich Hoelz, die Waffen niederzulegen und wurde im April deshalb vorübergehend aus der KPD ausgeschlossen. Er kommandierte mehr oder weniger versprengte Partisanentrupps im Mansfelder Land, wurde im April 1921 verraten.

Nach sieben Jahren in vier Haftanstalten lebte er vor allem in der Sowjetunion. (xre)

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