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21.09.2021 12:48 Uhr

»›Wir bräuchten‹ statt ›ich will‹«

Politik, Musik, Herz und Hirn gehören ­zusammen. Ein Gespräch mit Erich Schmeckenbecher
Interview: Christof Meueler
Erich Schmeckenbecher, Jahrgang 1953, ist ein Liedermacher, Komponist und Produzent, der mit dem Duo Zupfgeigenhansel (zusammen mit Thomas Friz) in den 1970er Jahren berühmt wurde. Bis zur Auflösung 1986 verkauften Zupfgeigenhansel eine Million Schallplatten. Anschließend spielte Schmeckenbecher in der Band Erich und das Polk. Seit 2000 ist er allein unterwegs. Sein aktuelles Album heißt »Der Vogel Sehnsucht« (2012). Am 11.1.2014 spielt er auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz

Letzten Freitag wurde Heino, der bekannteste deutsche Volksmusiksänger, 75. Hat er das Image der deutschen Volksmusik ruiniert?

Na ja! Er ist ein wandelndes Geschäftsmodell. Ein naturidentisch, romantisch getünchter Pragmatiker, von der Industrie geschaffen. Als wir mit Zupfgeigenhansel einmal bei einer großen Fernsehshow von Alfred Biolek auftraten, fragte er mich: »Was unterscheidet euch von Heino?« »Wir singen live«, war meine Antwort. Nach der Sendung sagte uns der Aufnahmeleiter: »Wenn ihr nicht so politisch wärt, könntet ihr zu den ganz großen Acts gehören.« Für mich gehören Politik und Musik schon immer untrennbar zusammen, wie Herz und Hirn. Heute ist Musik für’n Arsch wesentlich erfolgreicher.

»Immer lustig und vergnügt, bis der Arsch im Sarge liegt«, hat Udo Lindenberg schon vor 30 Jahren gesungen.

Besonders bei den Quotenjunkies und Kampfschunklern in den Samstagabendshows der Glotze, aber auch im Dudeldadio, wird so getan, als ob das Volk und deren Lieder immer lustig gewesen wären. Dabei drückt sich gerade im klassischen Volkslied hauptsächlich das Leid des Volkes aus. Volkslied gleich Volksleid, also das Vertauschen von »i« und »e« kommt der Sache sehr nahe. Hungersnöte, Krieg, Vertreibung, Liebesleid, Ungerechtigkeit, Unterdrückung etc. brannten in den Seelen der Menschen und milderten sich durchs Besingen. Volkslieder sind so etwas wie der Blues in den USA.

Als Sie damit zu Beginn der 70er Jahre anfingen, war das linke Publikum geschockt?

Ich erinnere mich, als wir Anfang der 70er bei Studentenfesten aufgetreten sind und auch »Wenn alle Brünnlein fließen« gespielt haben, hat man uns den Vogel gezeigt, weil man dachte, wir wären Neonazis oder sowas. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis man kapiert hat, daß auch dieses Lied damit nichts zu tun hat. Die Nazis hatten es schlicht für ihre krude Ideologie instrumentalisiert, so wie sie überhaupt alles ganz pragmatisch vereinnahmt und für sich passend zurechtgestutzt haben. Bis heute vertauschen sie immer noch trickreich Täter und Opfer und natürlich wird immer nur zurückgeschossen. Das ist Müll.

Der hat uns nicht interessiert. Die Wurzeln unserer Lieder, also uns selbst zu finden, war viel spannender. Und wir merkten sehr schnell, daß die alten Lieder mit unserem Alltag immer noch vieles gemein hatten. So wird man dann über Wissen zum Störenfried und Aufklärer. Fast 40 Jahre singe ich z.B. immer noch das Lied »Im Krug zum grünen Kranze«, allerdings nicht in der bekannten Kampfschunkelfassung. »Und mit dem Sinn der Bürger, wie sieht es bei euch aus…?« heißt es in einer Zeile. Da geht es um Solidarität, Recht und Freiheit. In Zeiten pathologischer Bespitzelung durch die Schlapphüte dieser Welt, der NSA im besonderen, hat dieses Lied seit den Sozialistengesetzen unter Bismarck, als es entstand, an Aktualität nichts verloren.

Diese Lieder haben Sie in Bibliotheken ausgebuddelt?

So kann man sagen. »Ich bin Soldat, doch ich bin es nicht gerne«, »Das Lied vom Pfaffenarsch« und »Es wollte ein Bauer früh aufstehen…« waren vor unserer Graberei völlig unbekannt und es zeigte sich, daß das Bild, welches uns Schule und Gesellschaft aus pragmatischen Gründen vom Volkslied malten, ein verbogenes war. Wir entfernten den Staub der Jahrhunderte und sorgten damit für eine Art Rehabilitierung. Damit hat ja keiner gerechnet und manche hat das auch massiv gestört. Nicht nur die Leibwächter der Volkstümlichkeitsindustrie, musikalisch auch die Wächter des Protests an anderer Stelle.

Warum?

Weil das kritische Lied immer sperrig sein soll. Es darf nicht schön sein, darf keine Emotionen haben. Wohl gedacht als Abgrenzung zum ewig Schönen und Reichen der Unterhaltungsindustrie. Wie albern…

Schon als Zupfgeigenhansel versuchte ich, die Dinge zu vereinfachen, und so zu sehen, wie sie sind. Es ist ein romantischer Ansatz. Denn spannend ist doch, was hinter dem Vorhang vor sich geht, das Dahinter-Schauen. Nichts anderes ist unter Romantik zu verstehen, die heute immer noch als rein ästhetische und nicht als historische Kategorie gehandelt wird.

Ich habe mein letztes Album »Der Vogel Sehnsucht« diesem Thema gewidmet. Romantik ist schlicht die Sehnsucht nach einer besseren Welt, mit der Wahrheit und der Vernunft als Basis. Die verändert sich natürlich immer, denn, was wir heute wissen, ist morgen schon kalter Kaffee. Romantik ist heute treudoofe Idylle. Der röhrende Hirsch am Waldesrand, das Romantikhotel. Dieser ganze verballhornte Werbescheiß ist nichts anderes als die pragmatisierte Form davon und dient ausschließlich als Geschäftsmodell zur Gewinnmaximierung. Weit weg von den Wünschen der Menschen, wo die Romantik herkommt. Dafür aber ganz nah an der Profitgier weniger Leute.

War Rosa Luxemburg eine Romantikerin?

Absolut.

Was würde sie heute für Musik hören?

Heino bestimmt nicht.

Sind die Linken aufgeklärte Romantiker?

Das sollten sie eigentlich sein, denn früher waren sie es immer. Heute ist die Frage: Wie stark ist das Dogma, also der pragmatische Part einer Ideologie, und vor allem, wer hat den Nutzen, den Vorteil? Romantiker brauchen keine Ideologie, sie brauchen Wahrheit, Erkenntnis und Vernunft. Pragmatiker brauchen Ideologie, um die Realität entsprechend einzunebeln.

Ideologie ist falsches Bewußtsein, klassisch ausgedrückt.

Man könnte auch sagen: Dummheit ist ein Menschenrecht, das heute auffällig viele Leute für sich in Anspruch nehmen. Dies wird durch Ideologie noch perfide gefördert, in dem man zu allem Relativen ein absolutes Verhältnis bastelt, sich so die Realität pragmatisch auf den eigenen Nutzen zurechtstutzt, dann als Wahrheit, Freiheit, oder was weiß ich, an Doof verkauft. Und der geht dann wählen, ganz demokratisch. Das geht mir auf den Zeiger.

In den 70er Jahren ging das viel mehr Menschen noch auf den Zeiger. Und es wurden viel mehr Platten verkauft, auch von Ihrer Musik.

Als Helmut Kohl und Leo Kirch in den 80ern, damals die Speerspitzen neoliberaler Ideologie, die Privatisierung des Kulturlebens eingeführt haben, versprachen sie uns eine ungekannte Vielfalt. Was wir bekommen haben, ist die Vervielfältigung der Einfalt.

Ergebnis: Die Menschen verblöden, verkümmern und verfetten. Das ist politisch gewollt. Denn wer soll denn sonst den ganzen Mist konsumieren?

Gleichzeitig ist der ökonomische Druck auf den einzelnen gestiegen. Neoliberalismus dividiert die Menschen auseinander. Der alte Scheiß von »Fleiß und Preis«, oder die Mär, daß »Konkurrenz das Geschäft belebt«, geistern mehr denn je als Klabautermänner auf dem Narrenschiff der Ausbeutung. Das Modell des »Ich will« hat die Solidarität, das romantische »Wir bräuchten«, das Gemeinwohl fast völlig zerstört. »Geld dient nicht mehr, es regiert«, und »diese Wirtschaft tötet«, sagt nun schon der Papst.

Sie treten mittlerweile auch nur allein auf.

Ja, seit bald 14 Jahren und mit wachsender Freude, obwohl es ziemlich anstrengend ist, zwei bis drei Stunden alleine aufzutreten.

Und die Genregrenzen haben Sie überwunden?

Ich halte die Trennung zwischen Rockmusik und Folk oder zwischen U- und E-Musik grundsätzlich für Unsinn. Pragmatisch konstruiertes Juristenzeug, wo es vielmehr um die Verteilung von Geldern geht, mit der Musik als Objekt der Begierde. Es gibt ja bekanntlich keine gute oder schlechte Musik, es gibt nur gute und schlechte Musiker.



Erich Schmeckenbecher spielt live auf dem Konzert der Rosa-Luxemburg-Konferenz, 11.1., 20 Uhr in der Urania, Berlin

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