Gegründet 1947 Dienstag, 19. März 2024, Nr. 67
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Buchmesse Havanna 2008

Buchmesse Havanna 2008

  • · Tagebuch

    Redaktionsschluß in Havanna

    Harald Neuber, Peter Steiniger und Peter Wolter
    »Leer es crecer«: Lesen heißt Wachsen
    »Leer es crecer«: Lesen heißt Wachsen
    Nach elf anstrengenden Messetagen stellt das junge Welt-Büro in der alten spanischen Festung von Havanna in wenigen Minuten seine Arbeit ein.
    Wir haben an unserem Messestand nicht nur die jW, sondern auch Bücher aus unserem Verlags-Sortiment präsentiert, Plakate verteilt und zahllose Gespräche geführt. Erstmals war die jW auch mit einer spanischsprachigen Sonderausgabe auf der Messe vertreten, von der alle 12 500 Exemplare verteilt wurden. Die Nachfrage danach war so groß, daß wir jeden Tag nur ein bestimmtes Kontingent verteilten, um nicht in den letzten Tagen mit leeren Händen da zu stehen. Die Straße vor dem Messestand erinnerte zeitweise an Szenen, wie wir sie von Demonstrationen in Deutschland kennen: Jeder zweite hatte die jW in der Hand. Völlig ungewohnt war allerdings: Selbst Polizisten und Soldaten vertieften sich in die jW-Lektüre. Alles übriggebliebene Material – Bücher, Plakate etc. - wird der Cátedra Humboldt übergeben.

    Besonderen Dank schulden wir unseren kubanischen Kooperationspartnern: Der Buchkammer, der Messeleitung, dem Institut für Völkerfreundschaft (ICAP), der Cátedra Humboldt. Unser Dank geht auch und vor allem an die Helferinnen und Helfer, die es uns möglich machten, den Stand hin und wieder auch für unsere journalistische Arbeit zu verlassen: Marion Leonhardt von der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, Oliver Desoi, Rainer Schulze, Michael, der extra aus Mexiko-Stadt angereist war, Mónica Zurbano sowie den beiden von der Messe zur Verfügung gestellten »trabajadoras sociales«, Yessica und Yainet.

    Wir bedanken uns auch bei unseren Gesprächspartnern, mit denen wir über viele Aspekte der kubanischen Gegenwart reden konnten: Z. B. bei der Chefredaktion der Nachrichtenagentur Prensa Latina sowie beim kubanischen Gewerkschaftsbund.

    Der von Havanna aus beschickte Online-Auftritt der jW war ein weiterer Probelauf für unser Vorhaben, das Internet künftig noch intensiver zur Information unserer Leserinnen und Leser zu nutzen. Wir hoffen, daß wir Ihre Erwartungen und Ihr Informationsbedürfnis weitgehend erfüllt haben.

    ¡Hasta la victoria siempre!

  • · Berichte

    Ende und Anfang

    Peter Steiniger
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    32 °C: Ausklang unter sengender Sonne

    Mit einem Besucheransturm ist am Sonntag die zehntägige internationale Buchmesse in der kubanischen Hauptstadt zu Ende gegangen.
    Noch einmal drängten zig Tausende Literaturfreunde zu den Ausstellerständen, Buchmärkten und Veranstaltungen in die Kasematten der die Hafenmündung überragenden spanischen Kolonialfestung San Carlos de la Cabaña. Auch ohne vorliegende Statistiken über Besucherzahlen oder Buchabsatz läßt sich zweifellos eine positive Bilanz der 17. Auflage der jährlichen »Feria de Libro«ziehen. Für eine endgültige Auswertung ist es zu früh, das Literaturfest findet noch bis zum 9. März eine landesweite Fortsetzung in vierzig weiteren Städten. Damit kommt es der eingeschränkten Mobilität vieler Kubaner im Wortsinne entgegen.

    Einen besonderen Glanzpunkt bildete der geistreich-frivole Auftritt des mexikanischen Krimiautors Paco Ignacio Taibo II. Im Mittelpunkt der meist offen und kritisch geführten Debatten stand vor allem die an Widersprüchen reiche gesellschaftliche Realität Kubas. Diesem Ansatz, der sich mit der Ermutigung der Öffentlichkeit zu mehr politischer Einmischung durch den amtierenden Staatschef Raúl Castro deckt, entsprach auch die Auswahl der diesjährigen Ehrenautoren. Der herausragende Essayist Antón Arrufat war in der sogenannten grauen Periode der 1970 Jahre drangsaliert worden, Graziella Pogolotti stellte ihren Band »Die Kulturpolemik der 60er Jahre «vor, der einen Beitrag zur weiter aktuellen Aufarbeitung von ideologischer Bevormundung der Intellektuellen liefert.

    Diesjähriges Gastland war die spanische autonome Provinz Galicien, Herkunftsland der Vorfahren einer halben Million Kubaner, darunter der historische Führer seit der Revolution 1959, Fidel Castro Ruz. Mit Beiträgen vertreten waren wichtige Autoren in Galego wie Chus Pato, Miguel Anxo Ferrán Vello, Manolo Rivas oder der Historienschreiber Ramón Villares Paz.

    Die Messe ist Literatur- und Volksfest zugleich. Der Eintrittspreis fällt kaum ins Gewicht und die landeseigenen Druckerzeugnisse sind sehr günstig zu erstehen. An Ständen und in Restaurants gab es reichlich zu essen und zu trinken. Manchmal für kubanische Pesos, die Moneda nacional, oft für CUC (Pesos convertible), die nur gegen Devisen zu haben sind. Keine billigen Vergnügungen bei einem monatlichen Durchschnittslohn von etwa 15 Euro.

    Die meisten ausländischen Verlage boten ihre Produkte ausschließlich gegen CUC an, wenn auch zu niedrigen Preisen. Ein großer Renner auf der Fiesta waren Comics und Kinderbücher. In den Morgenstunden nahmen regelmäßig zahllose Schulklassen in Pionierkleidung die Festung in Besitz.

    Zum vierten Mal in Folge war die junge Welt auf der Buchmesse vertreten, gemeinsam mit der Freundschaftsgesellschaft BRD–Kuba. Ein Kraftakt für Verlag und Redaktion und die vor Ort tätigen Journalisten sowie unsere freiwilligen Helfer am Stand. Unsere Solidarität geht auch nach dem Ende des Boykotts der Buchmesse durch die deutsche Regierung weiter. 2003 hatte diese sich EU-Sanktionen angeschlossen, um Kuba in Sachen Menschenrechten zu belehren: Das souveräne Kuba – und nicht etwa die Betreiber von Guantánamo.

    Präsent waren Frankfurter Buchmesse und Auswärtiges Amt, welches eine So-schön-ist-Deutschland-Broschüre unter die Leute brachte. Die junge Welt präsentierte eine andere Sichtweise und hatte erstmals eine spanischsprachige Sonderausgabe dabei, in der über die soziale Wirklichkeit, Friedens- und Solidaritätsbewegung berichtet wurde. Auch gab es in der Internetausgabe der jW einen Blog über die Messe – gespeist direkt aus einem improvisierten Büro neben dem Messestand. Von der jW organisiert, stellte der Linke-Politiker Hans Modrow, moderiert von Harald Neuber, sein Buch »In historischer Mission «einem interessierten Publikum vor. In der Cátedra, einem ehrenamtlichen deutschsprachigen Kulturprojekt an der Universität Havanna, berichteten wir über die Schließung des Nokia-Werkes in Bochum und stellten Studierenden die junge Welt als Projekt und Zeitung vor. In vielen Gesprächen – mit Politikern, Gewerkschaftern, Künstlern oder neugierigen Messebesuchern – tauschten wir uns aus und lernten hinzu. Wir erkundeten den oft surrealen Alltag, erneuerten und vertieften unsere Verbundenheit mit diesem schönen, widerständigen Land.

  • · Tagebuch

    Zu Gast bei Freunden

    Marion Leonhardt (Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba)
    In wenigen Stunden wird die Buchmesse von Havanna in die anderen Regionen von Kuba ziehen. Nicht nur deshalb ist es schwer, schon jetzt ein Fazit zu ziehen.
    Zu frisch und zu vielfältig sind noch die Eindrücke der letzten Tage. Und mit der Wahl einer neuen Staatsführung durch die Nationalversammlung hatten wir das Glück, einen besonderen Moment der kubanischen Geschichte erleben zu dürfen.

    Zahlreiche Begegnungen am Stand und mit unseren anderen Gesprächspartnern haben zu intensiven Diskussionen geführt und freundschaftliche Kontakte vertieft. Erstaunlich das große Interesse an der deutschen Sprache und Kultur. Viele Kubaner überraschten mich mit ihren exzellenten Deutschkenntnissen. Vielleicht ist darauf das für mich unerwartet große Interesse an dem Projekt der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba mit der Cátedra Humboldt zurückzuführen. Die Cátedra gehört zur Universität Havanna und bildet Deutschlehrer weiter. Unser Infomaterial dazu war schon vor Messeende vergriffen.

    Gut getan hat es auch, mit einer Veranstaltung in der alten Cátedra zu sein – auch gerade in dem Wissen, daß bald geeignetere Räume am Bulevar Obispo bezogen werden können und somit der erste Teil unseres Projekts umgesetzt ist. Das ist ein Baustein dafür, daß den Kubanern angesichts des Propagandamaterials, das der Stand der Frankfurter Buchmesse im Auftrag der Bundesregierung verteilte, ein realistisches Deutschlandbild vermittelt werden kann.

  • · Berichte

    Stabilität und Erneuerung

    Peter Steiniger
    Kubas Nationalversammlung hat heute Raúl Castro Ruz zum Präsidenten des Staatsrates gewählt. Das meldet soeben die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina. Die Amtsperiode beträgt fünf Jahre.

    In direkter und geheimer Wahl bestimmten die Abgeordneten demnach auch den ersten Vizepräsidenten des Staats- und Ministerrates. Die Entscheidung fiel auf José Ramón Machado Ventura. Er war bereits bisher einer der Vizepräsidenten des Staatsrats und gilt als einer der engsten Vertrauten von Raúl Castro seit den Tagen der Revolution 1959.

    Als weitere fünf Stellvertreter wurden gewählt: Juan Almeida Bosque, Julio Casas Regueiro, Esteban Lazo Hernández, Carlos Lage Dávila  und Abelardo Colomé Ibarra. José Miguel Miyar Barrueco behält seine Funktion als Sekretär dieses Gremiums bei.

    Ausdruck einer Erneuerung des Staatsrates sind 13 erstmals hineingewählte Mitglieder, das entspricht einem Anteil von 41,9 Prozent, so die Agentur. In seinem Amt als Parlamentspräsident bestätigt wurde Ricardo Alarcón.

    Raúl Castro folgt seinem älteren Bruder Fidel in das höchste Staatsamt nach, der ihm wegen einer schweren Erkrankung bereits vor anderthalb Jahren die Amtsgeschäfte übertragen hatte. Raúl war zuvor erster Stellvertreter des Staatspräsidenten und Minister der Revolutionären Streitkräfte. Als amtierender Präsident hatte Raúl behutsame Reformschritte eingeleitet und eine offenere gesellschaftliche Debatte ermöglicht. Seine Wahl war in Kuba allgemein erwartet worden. Die Erwartungen in die neue Regierung richten sich vor allem auf eine Verbesserung der Wirtschafts- und Versorgungslage sowie mehr sozialen Ausgleich.

    Fidel Castro wird trotz seines am Montag erklärten Verzichts auf die Ämter des Staatspräsidenten und Oberbefehlshabers in der kubanischen Politk präsent bleiben. Er hatte angekündigt, daß er auch künftig in der Parteizeitung Granma seine Kommentare veröffentlichen wird. Außerdem behält er das Amt des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Kubas bei.

    junge Welt wird ausführlich über die Wahl und ihre Bedeutung für die politischen Prozesse in Kuba berichten.

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  • · Berichte

    Zeitungsenten vor Havanna

    Harald Neuber
    Keine Spekulation: Ein Küstentanker läuft Havanna an
    Keine Spekulation, sondern Realität: Ein Küstentanker läuft Havanna an

    Proteste gegen Falschmeldungen über »Transition« in Kuba. Hans Modrow dementiert AP-Darstellung
    Die brasilianische Tageszeitung Folha do São Paolo berichtete Ende vergangener Woche, der kubanische Interimspräsident Raúl Castro habe seinen brasilianischen Amtskollegen Luiz Inácio »Lula« da Silva um Hilfe bei einer angestrebten »Transition« gebeten.

    Für Aufregung bis in Regierungskreise sorgte auch eine Meldung, die fast zeitgleich von mehreren Nachrichtenagenturen verbreitet wurde. »Der letzte Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow, will Kubas Führung seine Erfahrungen zu einem offenen Gesellschaftssystem nahebringen«, schrieb unter anderem der deutsche Dienst der US-Agentur AP unter Berufung auf den deutsch-mexikanischen Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich, der sich als Freund Modrows bezeichnet.
    Der ehemalige DDR-Politiker Modrow, der sich bis zum Sonntag auf Einladung der kubanischen Kommunisten in Havanna aufhielt, wies diese Interpretation in einer Stellungnahme jedoch entschieden zurück. »Mein Besuch hat damit in keiner Weise etwas zu tun«, sagte der tatsächlich vorletzte Premier der DDR. Welche Absichten Dieterich mit seinen Erklärungen verfolge, »ist nicht durchschaubar«, so Modrow weiter. Von freundschaftlichen Beziehungen zu Dieterich könne angesichts von dessen  Spekulationen »keine Rede« sein.
    Auch der Gerügte widersprach den Berichten. Er sei »überrascht und einigermaßen enttäuscht«, daß Modrow den »Lügen« Glauben schenke, schrieb er in einer E-Mail. Er habe nie behauptet, daß sich der Linkspolitiker zu einem »geheimen Besuch« in Kuba aufhalte, noch habe er gesagt, daß seine Thesen von hochrangigen kubanischen Politikern geteilt würden. Beides war in der internationalen Presse behauptet worden.
    Dieterich ist als Fürsprecher eines »chinesischen Modells« für Kuba in die Kritik geraten. In dessen Rahmen solle zunächst das wirtschaftliche und dann das politische System »geöffnet« werden. Auch im AP-Interview forderte er »multiple Eigentumsformen« für den sozialistischen Inselstaat.

    Ohne Geheimnisse

    Hans Modrow befindet sich noch bis zum 24. Februar auf Einladung der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) in dem Karibikstaat. Verbunden mit dieser Einladung an den Ministerpräsidenten a.D. waren Besuche in Einrichtungen des Gesundheits- und Bildungswesens, sowohl in Havanna wie auch in Cienfuegos. Politische Gespräche führte er unter anderem mit dem Präsidenten der Nationalversammlung Ricardo Alarcón und er hielt einen Vortrag am „Institut für Europafragen".  Zusammen mit der Tageszeitung junge Welt und der deutschen Solidaritätsorganisation Cuba Sí fand zudem eine öffentliche Lesung aus dem Buch „In historischer Mission. Als Politiker unterwegs" statt.

    Wie Hans Modrow erklärt, hat sein Besuch in keiner Weise etwas mit den Erklärungen zu tun, die der Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich Ende dieser Woche gegenüber internationalen Medien abgegeben hat. Die Reise hat weder einen „geheimen" Charakter, wie die spanische Nachrichtenagentur EFE unter Berufung auf Dieterich berichtet hatte, noch ist sie mit Begegnungen und Gesprächen mit Fidel oder Raul Castro verbunden. Modrow weist darauf hin, dass es kein Telefonat mit Dieterich gegeben hat.

    Welche Absichten Dieterich mit seinen Erklärungen verfolgt, sei nicht durchschaubar, sagte Modrow. In jedem Fall entsprechen seine Ausführungen nicht den Tatsachen und Modrow weist sie mit aller Entschiedenheit zurück. Der Aufenthalt geht nicht bis in den April und von freundschaftlichen Beziehungen kann angesichts der von Dieterich angestellten Spekulationen keine Rede sein.

    Hans Modrow betonte, dass er zum siebenten Mal Kuba besuchte und damit die Möglichkeit hatte, die Entwicklung auf Kuba heute mit der Lage des Karibikstaates in den letzten Jahrzehnten zu vergleichen. Es ging dabei nicht um Belehrungen anderer, sondern darum, die gegenwärtige Realität auf Kuba zur Kenntnis zu nehmen und in Deutschland für eine verstärkte Solidarität mit Kuba zu werben.

    Bei einem Treffen mit Studierenden an der Universität für Informatikwissenschaften (UCI) in Havanna am Freitag betonte Modrow seinen Respekt gegenüber Fidel Castro angesichts dessen Entscheidung, bei der Wahl des Staatsrates am Sonntag nicht erneut als Präsident zu kandidieren. Castro werde im kubanischen Volk weiter eine uneingeschränkte Autorität sein und hohe Achtung genießen.
  • · Fotostrecken

    Besuch bei einer 280Jährigen

    Universidad de la Habana. Kleiner Rundgang
    88 Treppenstufen auf dem Weg zum Erfolg
    Blick in den Lesesaal der Universitätsbibliothek
    ¡Presente! Fidel und José
    Das Rektorat der Universität
    Zutritt zur Welt der Wissenschaft. Ein großer Teil der Universitätsgebäude ist bereits restauriert
    Idyll mit Panzer: Erbeutet von Revolutionären in der Schlacht von Santa Clara im Dezember 1958
    Hinter diesem Tor werden heute Sozialwissenschaften und Philosphie gelehrt
    Fakultät für Mathematik. Oben am Säulengang sind die Namen großer Forscher verewigt
    Rektorat der Geschichtsfakultät. Das Haus ist benannt nach dem kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz
  • · Berichte

    ¡Felicidades!

    Peter Steiniger (Interview)
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    Nicht aufgezwungen, sondern Sache der Kubaner. Ein Revolutionär der ersten Stunde wird heute 70. Gespräch mit Pedro Martín Martín

    Sie sind ein Zeitzeuge und Teilnehmer der kubanischen Revolution. Woher stammen Sie und wie sind Sie aufgewachsen?

    Ich komme aus Camagüey, einer Stadt im östlichen Zentrum Kubas. Zum Zeitpunkt der Revolution war ich 21 Jahre alt und Analphabet. Ich hatte mich der Rebellenarmee (Ejército Rebelde) angeschlossen. Ich war also Guerillero, aber ich habe keinen einzigen Schuß abgegeben, sondern Waffen und Lebensmittel zu meinen Compañeros gebracht. Erst dank der Revolution konnte ich meinen Beruf als Mechaniker erlernen, in dem ich bis zur Rente gearbeitet habe. Seit 50 Jahren lebe ich in Havanna.

    Welchen Ideen sind Sie damals gefolgt?

    Ich wollte ganz einfach gegen Batista kämpfen. Mit den revolutionären Maßnahmen, die nach dem Sieg verwirklicht wurden, habe ich mich auch mit den neuen Ideen identifiziert. 1962 wurde ich Mitglied der Kommunistischen Partei.

    Wenn Sie sich Kuba im fünfzigsten Jahr nach der Revolution ansehen, ist es das Kuba, für welches Sie gekämpft haben?

    Ja, das ist es. Ich wollte, daß die Kinder hier frei von Not aufwachsen können, daß es medizinische Versorgung für alle gibt, daß der Analphabetismus überwunden wird.

    Trägt die Revolution auch den Bedürfnissen der nachgewachsenen Generationen noch ausreichend Rechnung?

    Nein, zur Zeit kann sie dies nicht, vielleicht zukünftig, wenn sich unsere ökonomische Situation verbessert.

    Kuba steht in Sachen Meinungsfreiheit und Menschenrechte bei EU und USA in der Kritik. Wie stehen Sie dazu?

    In der Partei kann ich als Genosse über alles sprechen. In der Gesellschaft wird jetzt breiter und offener über unsere Probleme diskutiert, als dies früher der Fall war. Diesen Prozess hat Raúl Castro in Gang gesetzt, und das wird von den Massenorganisationen und der Bevölkerung unterstützt.

    In Kuba wird niemand wegen seiner politischen oder religiösen Überzeugungen eingesperrt. Die sogenannten politischen Gefangenen sitzen nicht aufgrund einer politischen Meinung, sondern wegen Bombenanschlägen im Gefängnis. Für Taten, die in jedem Land der Welt verfolgt werden.

    Was erwarten Sie vom neu zu bildenden Staatsrat?

    Unabhängig davon, wer neuer Regierungschef wird, erwarte ich weitere politische Veränderungen. Vor allem die wirtschaftlichen Probleme müssen angepackt werden.

    Welches Bild haben Sie von Deutschland?

    Ich mag das Land und die Leute. 1984 absolvierte ich in der DDR einen Weiterbildungslehrgang, in einem Betrieb bei Bautzen. Im letzten Jahr war ich nach Berlin eingeladen. Allerdings bin ich vor allem mit linken Leuten, also Genossen, ins Gespräch gekommen. Die Stadt hat sich völlig verändert. Ich war am Brandenburger Tor und habe mir angesehen, wo die Mauer stand.

    Warum existiert Ihrer Meinung nach das sozialistische Kuba immer noch, nicht aber die DDR?

    Weil uns die Revolution nicht aufgezwungen wurde, sondern wir sie selber gemacht haben. Wir sind ein armes Land, aber mit Würde.

  • · Berichte

    Gefloppte Fabuliermaschine

    Peter Wolter
    »Feuer frei« heißt es in den meisten bürgerlichen Redaktionen, sobald es um den aktuellen Sozialismus auf Kuba oder den gewesenen in der DDR geht. Jüngstes Beispiel: Der Aufenthalt von Hans Modrow auf Kuba.

    Die US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) machte am Freitag den Anfang. Ihr Korrespondent hatte den in Mexiko-Stadt lehrenden Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich aufgetrieben. Der erzählte, sein Freund Modrow habe ihm im Januar in einem Telefonat mitgeteilt, die kubanische Regierung habe ihn zu einem Besuch eingeladen. Dann ließ Dieterich seine Fabuliermaschine rattern: Modrow werde sicherlich von Raúl und Fidel Castro empfangen, von ihm würden Ratschläge für den Übergang zu einer offeneren Gesellschaft erwartet. Modrow werde bis Ende April bleiben. Dann kommt – offenbar von AP ergänzt – die Aussage, Modrow seit der letzte Regierungschef der DDR gewesen und Ende April werde die kubanische Nationalversammlung Raúl zum Nachfolger von Fidel wählen.

    Modrow hält sich in der Tat als Gast der kommunistischen Partei auf Kuba auf – das ist aber auch das einzige, was an dieser Story richtig ist. Er hat weder mit Raúl noch mit Fidel gesprochen – wohl aber mit der jungen Welt (s. Interview in unser Havanna-Berichterstattung). Modrow hat keine Ratschläge erteilt, außerdem ist sein Rückflug für diesen Sonntag gebucht. Und daß er in Havanna war, hängt auch mit der Buchmesse zusammen, wo er seinen Erinnerungsband »In historischer Mission« vorstellte. Modrow war auch nicht der letzte, sondern der vorletzte DDR-Ministerpräsident. Und die Nationalversammlung tritt schon an diesem Sonntag zusammen – und erst danach werden wir wissen, ob Raúl gewählt wird. Modrow kann sich übrigens an kein Telefonat mit Dieterich erinnern, dementiert auch freundschaftliche Beziehungen zu ihm.

    Den AP-Kollegen hatte es offenbar gedämmert, daß Dieterich eine recht windige Quelle ist. Also wurde er in dem Bericht flugs zum »Mentor« des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez gemacht – was Dieterich zwar gerne erzählt, aber so auch nicht stimmt.

    Modrow jedenfalls hat diesen von zahlreichen deutschen Zeitungen sowie anderen Nachrichtenagenturen ungeprüft übernommenen Quark am Samstag mit einer Erklärung richtiggestellt. Sein Dementi wurde über die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina sowie dpa verbreiet.

    Wetten, daß die meisten deutschen Redaktionen keine Berichtigung bringen? jW jedenfalls wird ausführlich berichten.

  • · Tagebuch

    Preis und Leistung

    Peter Steiniger
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    Von jung und alt wird auf der Messe fleißig konsumiert. Angesichts der Preise wirkt das erstaunlich.

    Die Angebote gegen „Westgeld“ lasse ich mal außen vor. Für ein Hühnerbein werden stolze 20, für ein Würstchen 5, Limo 10 und Bier 18 Pesos aufgerufen. Theoretisch ist dies zu messen an einem Durchschnittslohn von 350 Peso, der Umtauschsatz zum Ersatz-Dollar Peso convertible liegt bei 1:24. Wer Zugang zu Devisen hat, im Tourismus arbeitet, von den Verwandten in Miami oder anderswo in der weiten Welt unterstützt wird, kann also seine Pesos cubanos explosionsartig vermehren.

    Einen echten Engpass kann man auch auf der Messe studieren: Die Aufpasser, die am Eingang zu den sanitären Einrichtungen sitzen, sind nicht auf ein paar Münzen aus. Sie teilen Bedürftigen in kleinen Abschnitten das Toilettenpapier zu. Eine Rolle auf den Klos wäre sofort begehrtes Sammlerstück. Denn auch dieses hygienische Utensil ist, ebenso wie zum Beispiel die meisten Kosmetika, nur im „Intershop“ zu haben – und das ist fast jeder Laden in Havanna.

    Um einen Teil des Grundbedarfs zu decken, hat jede Person in Kuba ein Anrecht darauf, in den bodegas rationierte Produkte zu vergünstigten Preisen zu erwerben. Dazu zählen Reis - manchmal gibt es auch Spagetti -, Bohnen, Öl, Kaffee, Schokolade, Fleisch, so etwas Ähnliches wie Zahnpasta und etwas, was leider nur wie Seife aussieht. Die mandados reichen längst nicht zum Leben, aber helfen sehr.

  • · Tagebuch

    Angebot und Nachfrage

    Peter Steiniger
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    Die Buchmesse ist ein echtes Volksfest mit allem, was dazugehört: Musik, Tanz, Essen und Trinken.
    Den Tag über strömen die Menschen über das Gelände und drängen sich an den Ständen.

    Die antiken Kanonen werden zur beliebten Sitzgelegenheit, ebenso die Festungsmauer mit Ausblick über die Bucht. Viele suchen Schutz vor der Sonne im Schatten von Bäumen und Gebäuden. Gegen 18 Uhr bricht die Dunkelheit rasch herein. Die Messestände in den Kasematten der Festung schließen; dort übernehmen jetzt Reinigungskräfte das Regiment. Jeder Messetag klingt schließlich mit einem Konzert auf der Plaza San Francisco aus.

    Wie sieht das kulinarische Angebot aus und wie erschwinglich ist es? Es ist reichlich, Engpässe treten kaum auf, das Sortiment ist überschaubar. Schweinehälften schaukeln in der Sonne, die zerstückelt und auf zu Grills umfunktionierten halbierten Ölfässern fertig gegart werden. Hähnchenfleisch und Reis schmoren in den Tiegeln, Grünzeug wird eher spärlich verwendet. Das Essen wird in kleinen grauen Schachteln, die ursprünglich als Geschenkboxen produziert wurden, abgegeben. Besteck oder Servietten gibt es nicht; ein Stück abgerissene Pappe wird zum Behelfslöffel. Wasser, Cola, Zitronenlimo und Bier sind erhältlich, fast ausschließlich in Büchsen.

    An den Imbiss- und Getränkeständen wird geduldig gewartet, vor allem dort, wo mit Moneda nacional bezahlt werden kann. Auch hier gilt: Ein Land, zwei Währungen. Obwohl hinter den Ständen emsiger Betrieb herrscht, geht es nur langsam voran. Der Verkaufsakt selbst ist nicht Schwerpunkt der hiesigen ambulanten Gastronomie. Überhaupt konnten wir beobachten, daß die Kubaner fleißig arbeiten und zugleich Meister in der Kunst der Entschleunigung sind.


  • · Berichte

    »Auf ewig unser Oberbefehlshaber«

    Peter Wolter
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    Kubaner nehmen Ämterverzicht Fidel Castros gelassen
    Für die wohl große Mehrheit aller Kubanerinnen und Kubaner ist es offenbar undenkbar, daß der Mann, der gemeinsam mit seinem Bruder Raúl und dem argentinischen Arzt Ernesto Guevara vor 49 Jahren die Revolution anführte, aus dem politischen Leben verschwindet. Das kann sich allerdings auch der 81 Jahre alte Fidel Castro nicht vorstellen: »Ich verabschiede mich also nicht von Euch«, schloß er seine Erklärung in dieser Woche. »Mein einziger Wunsch ist es, ein Soldat im Kampf um Ideen zu sein.« Er will weiter Einfluß nehmen und mit seinen Erfahrungen zur Weiterentwicklung der kubanischen Revolution beitragen. Und zwar über die kommunistische Tageszeitung Granma, die künftig die »Reflexionen des Genossen Fidel« abdrucken wird.


    Auch der Staatspräsident Venezuelas, Hugo Chávez, kann sich nicht vorstellen, daß Castro von der Bühne abtritt. »Fidel tritt nicht zurück!« verkündete er am Mittwoch im kubanischen Fernsehen. »Er wird weiter im revolutionären Kampf stehen.« In einer Einspielung in die täglich ausgestrahlte Diskussionsrunde »Mesa Redonda« (Runder Tisch) kam auch Nicaraguas Staatspräsident Daniel Ortega zu Wort: »Fidel bleibt der unumstrittene Führer des revolutionären Prozesses in Lateinamerika«, sagte er. Ähnlich äußerten sich die Staatsoberhäupter von Bolivien und Brasilien, Evo Morales und Luiz Ignacio »Lula« da Silva.

    Ergänzt wurde die Sendung mit Straßeninterviews. »Es ist doch klar, daß Fidel nicht mehr seine bisherige Rolle einnehmen kann«, sagte ein Kubaner. »Er ist 81 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen – jüngere müssen in seine Fußstapfen treten. Aber: Die Kontinuität der Revolution ist auf jeden Fall gesichert.« Die TV-Journalistin Aleen Rodríguez Derivet sprach offenbar vielen Kubanern aus der Seele: »Er wird auf ewig unser Oberbefehlshaber bleiben.«

    Ähnlich denkt auch der kubanische Kundschafter René González, der wegen seines Kampfes gegen den von Miami ausgehenden antikubanischen Terror seit 1998 in einem US-Gefängnis sitzt. Die Nachrichtenagentur Prensa Latina zitierte den zu 15 Jahren Haft Verurteilten am Donnerstag mit den Worten, Castro sei für ihn ein »Soldat der Ehre«, dessen Beispiel in der ganzen Welt ungezählten Kämpfern für eine gerechte Gesellschaft Mut gebe.

    Es überrascht nicht, daß in Washington und in den Hauptstädten der Europäischen Union nach dem Verzicht Castros auf politische Spitzenämter ein Aufweichen oder gar ein Ende der kubanischen Revolution erwartet wird. Aber auch diese Stimmen wurden in »Mesa Redonda« zitiert. Der EU-Außenpoltiker Javier Solana etwa hofft, daß sich die kubanische Gesellschaft »sehr schnell« wandelt – womit er das Einknicken gegenüber den USA und die Öffnung für ausländisches Kapital meint. Ähnlich äußerten sich die US-Politikerin Hillary Clinton – aber auch ihr Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur der US-Demokraten, Barack Obama. Rogelio Polanco Fuentes, Chefredakteur der kubanischen Tageszeitung Juventud Rebelde, kommentierte die Stimmen westlicher Politiker so: »Diese Damen und Herren haben nicht das geringste moralische Recht, uns zu sagen, was wir zu tun haben.«

    Schon die Nachricht von Castros Erkrankung vor anderthalb Jahren hatte im »Westen« die Hoffnung ausgelöst, die angeblich unterdrückten Kubaner würden jetzt die Herrschaft der kommunistischen Partei hinwegfegen. Und in der Dissidentengemeinde in Miami (Florida) wurden voreilig Freudenfeste gefeiert. Pustekuchen: Die Kubaner nahmen die krankheitsbedingte Auszeit Castros gelassen hin, bis auf die von der Westpresse hofierten Dissidenten vom Dienst forderte niemand den »demokratischen Wandel«. Was natürlich nicht ausschließt, daß viele Menschen Verbesserungen erwarten.

    An den Castro-Brüdern führt auf Kuba immer noch kein Weg vorbei. Den von vielen Auslandsmedien unterstellten Personenkult gibt es jedoch nicht. Nicht eine Fabrik, nicht eine Universität führt den Namen der Castros. Nach ihnen ist auch keine Straße benannt. In vielen deutschen Amtsstuben prangt aufgrund dienstlicher Anordnung das Porträt des Staatsoberhauptes an der Wand – nicht jedoch auf Kuba. Es sei denn, daß es jemand aus eigener Initiative aufgehängt hat.
  • · Berichte

    Permanente Revolution

    Harald Neuber
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    Weiterführende Rolle: Raúl Castro im Editorial der Tageszeitung Granma

    Kubanisches Parlament wählt neuen Staatsrat. Fidel Castro wird weiter eine politische Rolle spielen. Debatten bestimmen Alltag und Politik
    Die wichtigste Nachricht nach allen Sondersendungen, Nachrufen und Kommentaren zum Rückzug Fidel Castros aus der Regierung Kubas ist, daß es kein Rückzug aus der Politik ist. Und: In Kuba wurde die Nachricht mit gelassener Ruhe aufgenommen. Im zweiten Jahr nach der Übergabe der politischen Ämter an den Vizepräsidenten und fünf Jahre jüngeren Bruder Raúl Castro hat der langjährige »Comandante en Jefe« seine Regierungsposten Anfang der Woche zwar geräumt. Er folgte damit einer Erkenntnis, die er in einem offenen Brief schon Anfang Januar formuliert hatte. Es sei seine Pflicht, nicht an Ämtern festzuhalten »und jüngeren Menschen im Wege zu stehen«. Es gehe vielmehr darum, »meine Erfahrungen und meine Ideen beizusteuern«. Auf den Punkt brachte es der brasilianische Befreiungstheologe Frei Betto: »Selbst wenn sich Fidel Castro zurückziehen würde, bliebe er, was ihn zu einem Giganten der Geschichte macht: Fidel Castro.«


    In Kuba trafen die Interpretationen, es handele sich um einen »Epochenwechsel«, das »Ende der Ära Castro« oder gar den »Beginn einer Transition« auf entschiedenen Widerspruch. »Fidel ist nicht zurückgetreten«, sagt Frank González, Präsident der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina gegenüber junge Welt. In seinem Brief habe der 81jährige Revolutionsführer schließlich erklärt, »bis zum Ende konsequent« zu bleiben. Ähnlich äußerte sich der kubanische Journalist Randy Alonso in der politischen TV-Talkshow »Mesa Redonda« (Runder Tisch): »Wenn Fidel auf etwas verzichtet hat, dann auf seine Familie und die Privilegien, die er hätte genießen können«, hieß es in der Sendung am Mittwoch, einen Tag, nachdem die Nachricht in der Tageszeitung Granma, dem Zentralorgan der kommunistischen Partei Kubas, veröffentlicht worden war. Der Historiker Luis Suárez Salazar bezeichnet den Rückzug Fidel Castros aus der Regierungspolitik als »normalen Vorgang«: »Der Genera­tionswechsel mußte vollzogen werden«, sagt er, »und Fidel Castro war davon nicht ausgenommen«.

    Im Klima eines solchen Wandels wird an diesem Sonntag der neue Staatsrat in Kuba für sechs Jahre gewählt. Im »Palacio de Convenciones« im Osten Havannas werden am Morgen die 614 Abgeordneten der siebten Nationalversammlung Kubas zusammenkommen, um 31 Mitglieder des Staatsrates zu wählen. Auch der Vizepräsident, seine fünf Vertreter, der Parlamentspräsident und weitere führende Posten werden neu besetzt. Daß Raúl eine führende Rolle spielen wird, wurde schon im Vorfeld der konstituierenden Sitzung deutlich. Ein Beitrag in der Granma endete am Mittwoch mit der Schlußformel: »Viva Fidel! Viva Raúl!«. Ein Novum in der Geschichte der kubanischen Revolu­tion.

    Fidel Castro wird persönlich nicht anwesend sein. Beobachter gehen jedoch fest davon aus, daß er der Legislative eine Nachricht zukommen lassen wird. In dem personellen Wechsel erschöpft sich die Transition in Kuba. Denn die Menschen im Land erwarten vor allem eine Lösung der unleugbaren wirtschaftlichen Probleme, weniger eine Veränderung des politischen Systems, auf das ausländische Gruppen, Parteien und Staatsführungen immer wieder Bezug nehmen. Eine »tiefgreifende und totale Transformation« habe sich in Kuba schließlich schon nach dem 1. Januar 1959 vollzogen, äußerte dazu der kubanische Schriftsteller und Journalist Lázaro Barredo Medina in der Granma: »In ihrer Beschränktheit verstehen die Feinde der Revolution nicht, daß der Caudillismus nie wieder nach Kuba zurückkehren wird.« In dieser Welt, »in der die Politik zu einer Karikatur verkommen ist, können sie sich nicht vorstellen, daß diese Revolution in Theorie und Praxis ein kontinuierlicher Prozeß ist«. Der »Genosse Fidel« habe einen festen Platz im politischen Leben ebenso eingenommen wie im »persönlichen Leben der Mehrheit der Kubaner«.

    Nun gehört es zu den Erfahrungen des Staatssozialismus, daß sich die wirklichen politischen Debatten nicht unbedingt in der Parteizeitung wiederfinden. Doch eben die Einschätzung Barredo Medinas hört man auf der 17. Internationalen Buchmesse in Havanna auch von kritischen Intellektuellen. Im Konsens, die Probleme Kubas nicht nur im Land, sondern im Rahmen der Revolution zu lösen, werden zahlreiche Diskussionen geführt. Im vergangenen Jahr wurden in Kuba mehrere Bücher über die soziale Situation in den neunziger Jahren veröffentlicht. Die Periodika des Landes widmen sich den kritischen Themen. Und sogar die franco-kubanische Literatin Graziella Pogolotti stellte als Ehrengast der Messe die zweite Auflage ihres Buches über die kulturellen und politischen Polemiken vor, die das revolutionäre Kuba in den sechziger Jahren bewegten und zu einer Phase repressiver Politik in den siebziger Jahren führten. Die Ereignisse von damals sind heute wieder Anlaß für Aussprachen, die weit in die Überlegungen über die Perspektive der Revolution hineinreichen. Diese Kultur der kritischen Debatte wurde von Raúl Castro in den vergangenen eineinhalb Jahren auf politischer Ebene unterstützt. Die Erwartungen sind deswegen groß, vor dieser Wahl in Kuba. Die Zweifel, ob sie auch erfüllt werden, halten sich in Grenzen.
  • · Tagebuch

    Volle Konzentration

    Peter Steiniger
    Graziella Ramirez (Komitee Cuban Five),  Mónica Corbano (Uni-Leh
    Graziella Ramirez (Komitee Cuban Five), Mónica Corbano (Uni-Lehrerin), Prof. Ivan Munoz (Leiter der Cátedra)

    Am Morgen geht es zur Cátedra Humboldt. Maikel Veloz vom Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) holt uns mit dem Kleinbus von der Messe ab.
    Die Cátedra ist eigentlich die deutsche Spezialbibliothek der Universidad de La Habana und befindet sich in deren unmittelbarer Nachbarschaft in einer schönen Stadtvilla im Stadtteil El Vedado. Das Sortiment in den Regalen weist gewisse Überschneidungen mit meinem eigenen Bücherbestand auf: Feuchtwanger, B. Traven, Dieter Noll. Einige tausend Bücher aus DDR-Beständen haben hier ein neues, dankbares Zuhause gefunden. Tatsächlich ist die Cátedra viel mehr als nur eine Bibliothek. Ehrenamtlich werden hier kostenlose Sprachkurs sowie Veranstaltungen zu Kultur und Landeskunde angeboten. Auch der DAAD-Lektor hat hier sein Domizil. Sie ist ein beliebter Treffpunkt kubanischer Deutschstudierender und deutscher Gaststudenten in Havanna.


    Wir sind im Doppelpack gekommen. Etwa 50 Studierende drängen sich sitzend oder stehend in dem kleinen, bald überhitzten Vortragssaal. Marion Leonhardt stellt das vom Komitee Basta ya! herausgegebene Buch über die Cuban Five vor. In Anwesenheit von Graziella Ramirez, der Präsidentin des internationalen Komitees, das die Solidaritätsaktionen zugunsten der fünf Kubaner organisiert. Kubas Helden werden wegen ihrer Aufklärertätigkeit gegen terroristische Aktivitäten von Miami aus seid bald zehn Jahren ohne Gerichtsurteil in den USA gefangengehalten. Die Cátedra wird bald einige Exemplare dieses Buchs zu ihrem Bestand zählen können.

    Ich berichte vom freien Wettbewerb. Zunächst von den Nokia-Protesten, den Hintergründen der Werksschließung - als Beispiel, wie europaweit die Beschäftigten gegeneinander ausgespielt werden. Anschließend stelle ich die junge Welt vor und erläutere, wie sich unsere Zeitung gegen die kapitalstarken Medien behauptet.
    Fast zwei Stunden dauert die Veranstaltung, unser Publikum bleibt konzentriert bei der Sache und fragt interessiert nach. Wir tragen uns in das Gästebuch der Cátedra ein. Günther Grass war auch schon da.

    Bericht in juventud rebelde
  • · Tagebuch

    Fast eine diplomatische Mission

    Peter Wolter
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    Das Meer sehen wir leider nur aus der Ferne ...
    Nicht, daß jemand meint, wir würden hier auf Kuba Urlaub machen. Den Strand wird in den zwei Wochen unserer Präsenz auf der Buchmesse niemand von uns gesehen haben, freie Tage konnten wir uns auch nicht leisten, obwohl wir uns das vorgenommen hatten.
    Neben der Standbetreuung und dem Recherchieren und Schreiben von Beiträgen für die jW gibt es eine Vielzahl von Einladungen und Gesprächen, die wir wahrnehmen.
    Mit dem ICAP etwa, dem kubanischen Institut für Völkerfreundschaft. Oder mit der kubanischen Buchkammer.Gestern stand eine Visite in der größten lateinamerikanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina an.

    Da ich selbst jahrelang für dpa, ddp und Reuters gearbeitet habe, kann ich mir ein fachmännisches Urteil erlauben: Hochprofessionell, was die 120 kubanischen Kollegen tagtäglich auf die Beine stellen! Die Redaktionsräume sind vollgestopft mit Computern, es sieht aus wie in der Hamburger dpa-Zentrale, allerdings weniger geräumig. Wir führten ein sehr informatives Gespräch mit der Chefredaktion: Prensa Latina hat Auslandsbüros in über 20 Ländern, weitere sollen hinzukommen. Die Agentur steht finanziell auf eigenen Beinen, kommt also ohne irgendwelchen staatlichen Zuschüsse aus.

    Nachmittags ein Besuch bei Hans Werner Richert, Chefredakteur der deutschsprachigen Ausgabe der Parteizeitung Granma, der die Gelegenheit gleich beim Schopf ergreift und ein Interview mit der jW und mit Marion Leonhardt führt, die die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba an unserem Stand vertritt. Heute nachmittag sollen wir kubanischen Gewerkschaftern über Arbeitskämpfe in Deutschland berichten.

  • · Tagebuch

    Stalin neben Trotzki in Kuba

    Harald Neuber
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    Vielleicht ist es ganz gut, dass die mexikanische Friedrich-Engels-Stiftung unserer Halle noch keinen Besuch abgestattet hat.
    Denn anders als ihr Name vermuten lässt, sind die Mexikaner glühende Anhänger Leon Trotzkis. Nur zwei Hallen neben den revolutionären Freunden hat der Kollege Ronald Koch vom Frankfurter Zambon-Verlag in unserem Ausstellungssaal das Buch „Stalin – anders betrachtet" des Belgiers Ludo Martens ausgestellt. „das Interesse an dem Buch hier ist enorm", sagt Koch, „ich hätte noch einige Kisten mitbringen können". Nicht so richtig begeistert ist Raimundo Gonzalez, der am Institut für Meteorologie beschäftigt ist und sich mit der Nutzung alternativer Energiequellen für Kuba befaßt. „Wer so etwas präsentiert, ist doch einfach bescheuert. Die Verbrechen Stalins überwiegen seine Verdienste meilenweit. "
    Koch will nun weitere Stalin-Bücher nach Havanna schicken. An Interessenten gibt er noch die Adressen einer befreundeten Buchhandlung heraus, in der sie verkauft werden.
    Die trotzkistische Fraktion ist nicht weniger erfolgreich. In einem überfüllten Lesesaal stellt die Engels-Stiftung am Dienstag Trotzkis „Verratene Revolution" vor. Ein junger Vertreter, der mit Brille und Bartschnitt aussieht wie die Reinkarnation seines ideologischen Übervaters, stellt die Grundthesen des Trotzkismus vor, um dann die Zusammenarbeit Kubas mit China zu verurteilen, einem „Staat, der die Interessen der Arbeiter verraten hat". Dass Busimporte aus China das Transportproblem entschärft haben und auch die Stadtreinigung mit Fahrzeugen aus dem Reich der Mitte ausgestattet wurde, interessiert den revolutionären Ideologen nicht. Manchmal ist die Ideologie so wichtig, dass für Politik kein Platz mehr bleibt.
    Trotzdem wird die trotzkistische Lesung von Celia Hart begleitet, der Tochter von Armando Hart, einem der wichtigsten Intellektuellen Kubas. Was beweist, dass ideologische Debatten in Kuba souveräner geführt werden, als mitunter angenommen wird.

  • · Tagebuch

    Vom Schreibtisch vor die Kamera

    Harald Neuber
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    Auf der Internationalen Buchmesse in Havanna treffen wir viele Kollegen aus Lateinamerika und Europa wieder.
    Da geschieht es schon mal, dass man die Rollen wechselt. Gerade noch hatte ich ein Interview geführt, da sitze ich vor der Kamera. Pascual Serrano, Mitbegründer des Internetportals Rebelion.org und Korrespondent des lateinamerikanischen Fernsehsenders Telesur bittet mich um ein Interview über die junge Welt. Mit Pascual sind wir seit langem in Kontakt, im Berlin hatte er 2004 an einer Medienkonferenz teilgenommen, die unter anderem von der jW organisiert wurde. Pascual hat auf Telesur unter anderem eine Sendung über alternative Medien. Besonders interessiert ihn das Genossenschaftsmodell der jungen Welt – „ein Vorbild für linke und alternative Medienprojekte in Lateinamerika“, wie er sagt.
    Die Lage hier ist um einiges zugespitzter als in Europa. In Lateinamerika kontrollieren nur wenige Medienkonzerne die Branche – viele wie Televisa oder die Cisneros-Gruppe mit direkten Verbindungen in die USA. Der politische Kampf gegen die Linke wird in Kuba und auf dem Kontinent über die Presse ausgetragen. Diese Erfahrung machen wir hier fast täglich. Als kürzlich ein Student mit dem Parlamentspräsidenten Ricardo Alarcón diskutierte, lancierten rechtsgerichtete Redaktionen, der junge Mann sei festgenommen worden. Eine glatte Lüge, die den Kubanern wieder einmal vorführte, mit welcher Dreistigkeit der Medienkrieg gegen die Regierung in Havanna geführt wird.
    Pascual Serrano ist nicht der einzige Kollege, der sich den Kampf gegen diese neue Gefahr für Demokratie und Frieden auf die Fahnen geschrieben hat. Der Kampf um die Meinungshoheit ist voll entbrannt. Auf der einen Seite die Bevölkerung, auf der anderen die Medienkonzerne. Mit unserer Präsenz auf der Buchmesse in Havanna hat junge Welt in den vergangenen vier Jahren schon einen Beitrag zu diesem Ringen geleistet. Und wir werden weiter präsent sein, wo es nötig ist.

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    Sinne und Klasse

    Grafische Dekoration für den jW-Stand von Thomas J. Richter
  • · Berichte

    »DDR hat auf Kuba deutliche Spuren hinterlassen«

    Interview: Peter Wolter

    Kubanischer Autor ist dem Einfluß deutscher Kultur und Wissenschaft auf die Karibikinsel nachgegangen. Ein Gespräch mit Manuel Torres Gemeil

    Manuel Torres Gemeil ist Professor für Verkehrswesen an der Universtiät Havanna und Vizepräsident der kubanischen Gesellschaft für Logistik und Marketing. Er ist Verfasser und Herausgeber des auf Kuba erschienenen Buches »Tras las huella alemana en Cuba« (Auf der deutschen Spur in Kuba)

    Der Naturforscher Alexander von Humboldt war auf Kuba, dort ist auch der deutsche Dichter Georg Weerth begraben. Es gibt zahlreiche andere Spuren, die Deutsche auf der Insel hinterlassen haben –und darüber haben Sie ein Buch geschrieben. Wie sind Sie dazu gekommen?

    Ich habe in Dresden an der Technischen Universität, Fakultät für Verkehrswesen »Friedrich List« studiert, da habe ich auch promoviert. Daher kommt mein Interesse für die deutsche Kultur. Ich habe schon in den 90er Jahren angefangen, Material über die Spuren zu sammeln, die Deutsche auf Kuba hinterlassen haben. Im März letzten Jahres hatte ich 30 Seiten beisammen – ich dachte damals, wenn es 100 Seiten würden, wäre das großartig. Anfang Juli traf ich Raúl Martell Alvarez, der auch in der DDR studiert hat. Ich berichtete ihm stolz, daß ich 99 Seiten zusammengetragen hatte -- darauf er: Mensch, das ist doch schon ein Buch! Die Auflage hat 226 Seiten mit 162 Bildern.

    Muß man aus der Fülle des Materials schließen, daß deutsche Kultur und Wissenschaft einen großen Einfluß auch auf das heutige Kuba haben?

    Ganz bestimmt. Es waren eigentlich gar nicht so viele Deutsche, die auf Kuba gelebt haben -- sie haben aber eine ungeheure Wirkung auf unser Land gehabt. Es gibt praktisch keinen wissenschaftlichen oder technischen Zweig in unserem Land, der nicht von Deutschen geprägt wurde. Ob Sie nun Kaffeeplantagen, den Sport, die Literatur, das Eisenbahnwesen, die Zuckerindustrie oder das Universitätswesen nehmen -- überall gibt es deutsche Spuren.

    Nachdem die DDR gegründet worden war – brach da eine neue Phase in den deutsch-kubanischen Beziehungen an?

    Nicht mit der Gründung der DDR, sondern ab 1959 mit der kubanischen Revolution. Seitdem haben sich zwischen beiden Staaten sehr enge Beziehungen entwickelt. Vor allem auch in der Bildung: Schätzungsweise 700, 800 Kubanerinnen und Kubaner haben in der DDR studiert, zum Teil auch promoviert. Über 10 000 Kubaner haben in der DDR gearbeitet und nicht nur etwas über Technik gelernt, sondern auch kulturelle Eindrücke mitgenommen. Drei Jahrzehnte lang hat also der sozialistische deutsche Staat einen großen Einfluß auf Kuba gehabt.

    Können Sie mehr dazu sagen, welche Rolle die DDR für das kubanische Universitätswesen gespielt hat?

    Die ist immer noch spürbar. Wie gesagt, viele Kubaner haben ihren Universitätsabschluß in der DDR gemacht, einige Dutzend von ihnen sind heute hier auf Kuba Dozenten, Professoren oder gar Universitätsrektoren. Ich selbst habe ja auch in der DDR promoviert und bin seit 1987 Professor für Verkehrswesen an der Universität Havanna.

    Wie steht es heute mit den deutsch-kubanischen Beziehungen? Die DDR gibt es nicht mehr, und die Regierung der BRD gilt nicht gerade als kubafreundlich.

    Das ist im Prinzip richtig, man muß aber differenzieren. Es gibt viele Verbindungen zu Forschungseinrichtungen und Universitäten. Unsere kubanische Gesellschaft für Logistik und Marketing z. B. hat gute Beziehungen zu deutschen Institutionen, es gibt Kontakte zu Fachhochschulen, zu Technischen Universitäten. Mit der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin haben wir mehrere gemeinsam verfaßte Bücher herausgegeben. Wir haben auch Verbindungen zur Humboldt-Universität in Berlin oder zu den Unis in Magdeburg und Köln.

    Kuba ist zwar ein Entwicklungsland, aber weit fortgeschritten auf dem Gebiet der Medizin. Welche Zusammenarbeit gibt es auf diesem Gebiet?

    Die war früher, zu DDR-Zeiten, sicher besser entwickelt, ich glaube nicht, daß das heute noch eine große Rolle spielt. Mehr kann ich dazu eigentlich sagen, da fehlen mir Detailkenntnisse.

    In Deutschland gibt es Vereinigungen wie die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba oder Cuba Sí – existiert umgekehrt auch so etwas auf Kuba?

    Das gibt es in der Tat -- und zwar schon seit 1872. Die Vereinigung nennt sich Casino Alemán und ist die älteste Institution dieser Art überhaupt in meinem Land. Casino hat etwa 100 Mitglieder –Kubaner, die irgendeine Verbindung zu Deuschland haben sowie Deutsche, die hier leben.