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Aus: Ausgabe vom 07.08.2007, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund. Vom »Agenturschluß« bis zum Mitessen im Café Borchardt

Das »Schwarzbuch Hartz IV – Sozia­ler Angriff und Widerstand« zog im Januar 2006, als die Arbeitsmarktreform ein Jahr in Kraft war, eine Zwischenbilanz. Darin enthalten ist eine Chronik der Sozialproteste, in der die Montagsdemonstrationen nur eine Nebenrolle spielen. Von der Ohrfeige, die ein 52jähriger am 18.Mai 2004 Bundeskanzler Schröder verpaßte, über die Aktion »Agenturschluß«, deren Initiatoren auch Herausgeber des Buches sind, bis hin zu den »umsonst«-Gruppen, die in mehreren Städten »Aneignungsaktionen« durchführten, sind hier vielfältige Formen sozialen Widerstands dokumentiert, die in den vergangenen Jahren stattgefunden haben, aber kaum öffentlich wahrgenommen wurden.

So gab es etwa am 3. Januar 2005, dem ersten Werktag nach Inkrafttreten von Hartz IV, in rund 80 Städten »Agenturschluß«-Aktionen: Besetzungen oder Blockaden der fürs Arbeitslosengeld II zuständigen Stellen des Arbeitsamtes. Die Protestierenden sahen sich vielfach massiven Aufgeboten von Polizisten und privaten Sicherheitsbediensteten gegenüber.

Immer wieder kam es seit 2004 auch zu Besuchen illustrer Gesellschaften durch Aktivisten der »Überflüssigen«, die sich beispielsweise am 18. Dezember 2004 im Berliner Nobelrestaurant Borchardt zu den Gästen an die Tische setzten, um mit ihnen »Bedarfsgemeinschaften« zu gründen. Verteilt wurden Speisekarten, auf denen die Restaurantpreise mit den »Bedarfssätzen« des ALG II verglichen wurden. Am 3. November 2005 bekam der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Peter Gaethgens während eines Festakts in Tübingen als »Dank« für seinen »Einsatz für Studiengebühren« eine Torte ins Gesicht.


Aus Protest gegen Arbeitsausbeutung plünderten Teilnehmer des Kirchentags am 28. Mai 2005 in Hannover ein Bekleidungsgeschäft der »H&M«-Kette, um stapelweise Textilien anschließend an erfreute Passanten zu »sozialisieren«. Die Polizei kam zu spät. (sw)




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