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Aus: Ausgabe vom 26.10.2022, Seite 10 / Feuilleton
Krieg in der Ukraine

Wieder Ärger

Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat die minutenlangen Standing Ovations für den ukrainischen Autor Sergij Schadan bei der Verleihung des Friedenspreises in der Frankfurter Paulskirche kritisiert. In Deutschland fühlten sich alle permanent aufgefordert, die Perspektive der angegriffenen Ukraine zu übernehmen, sagte Welzer am Montag abend bei der »Lit. Cologne Spezial« in Köln. Tatsächlich sei Deutschland aber keine Kriegspartei, sondern dritte Partei mit allen Möglichkeiten, die das zum Wohle der Ukraine eröffne.

Schadan hatte in seiner Rede in Frankfurt kritisiert, manche europäischen Intellektuellen und Politiker würden den Ukrainern ihre Weigerung vorwerfen, sich zu ergeben. Offenbar seien manche zugunsten persönlicher materieller Vorteile bereit, »ein weiteres Mal das totale, enthemmte Böse zu schlucken«. Welzer ergänzte: »Ehrlich gesagt – noch einen kritischen Kommentar, wo ich wahrscheinlich auch wieder schieren Ärger dafür kriege: Die Veränderung des zivilisatorischen Sprechens, die sich unter anderem in bestimmten Sätzen des Friedenspreisträgers ausdrückt in bezug auf die Gegner – die verstehe ich psychologisch aus seiner Perspektive, will ich auch überhaupt nicht kritisieren –, aber sie sind kein Beitrag zur Zivilisation, sondern sie sind Teil eines dezivilisierenden Prozesses, der von anderen angestoßen worden ist. Und die eigentliche Kulturleistung von uns, den Dritten, würde doch genau darin bestehen, dass man sich in diesen Dezivilisierungsprozess nicht reinziehen lässt.«

Bereits vor Schadan hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij am Donnerstag mittels einer Videobotschaft die Frankfurter Buchmesse auf Linie gebracht, seine Frau Olena sprach am Samstag am Stand der Brigitte. Ob es das Publikum mehr abgeschreckt als angezogen hat? Mit circa 180.000 Besuchern kamen diesmal nur rund Zweidrittel des letzten Jahres vor der Pandemie (2019: 300.000). Etwa die Hälfte war Fachpublikum (93.000). 4.000 Verlage präsentierten ihre Programme, 3.400 weniger als 2019. (dpa/jW)

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