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Aus: Ausgabe vom 12.11.2015, Seite 11 / Feuilleton

Neil Young, 70

Walk like a giant: heute wird Neil Young 70. Während Bob Dylan jedes Jahr aufs neue der Literaturnobelpreis verwehrt wird, Lou Reed schon gestorben ist und Bruce Springsteen vor Jahrzehnten aufhörte, künstlerisch relevant zu sein, haut der Mann weiter auf seine Gitarre ein, als wäre immer noch 1969 – »It’s another year for me and you / Another year with nothing to do«, wie Iggy Pop damals sang. Nichts zu tun? Er entwickelte mit »Pono« ein digitales Soundformat, das angeblich viel besser als MP3 sei, sammelt Oldtimer und häuft Americana an.

1969 erschien »Everybody Knows this is Nowhere«, das erste Album von Young mit Crazy Horse. Mit dieser Band tendierte Young gerne in Richtung Lärm und Wahnsinn, während er ein Jahr später mit David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash schillernden soften Folkrock machte. Das waren die beiden Pole, zwischen denen er zeitlebens hin und her pendelte, abseits der musikalischen Moden. Dabei war er wilder als Dylan, überraschender als Reed, vielseitiger als Springsteen und weniger sportlich als Iggy Pop. Der Melody Maker nannte ihn die »Greta Garbo des Rock«.

Beeindruckend an Young ist seine Tendenz zum langen, literarisch-transzendentalen Klagesong über den »US-amerikanischen Alptraum« (Henry Miller), vorgebracht von jemand, der aus dem besseren (Mehrparteien- und Sozialstaats-)Amerika kommt, nämlich aus Kanada, wo er selbstverständlich eine Farm hat. 1985 initiierte er mit Willie Nelson und John Mellencamp »Farm Aid«, eine Konzertreihe, die im Agrarkapitalismus untergegangene Kleinbauern unterstützte.

Politisch oszillierte Neil Young zwischen Erzreaktion und Protest, er war für Reagan und Atomkraft und lieferte mit »Let’s roll« nach 9/11 die Angriffshymne für die Kriege der USA. Der Song »ist musikalisch stumpf und belanglos, man merkt ihm den übereilten Herstellungsprozess durchaus an, textlich aber so imbezil, wie man in den Vereinigten Staaten gegenwärtig offensichtlich zu sein hat, um nicht negativ aufzufallen« schrieb Frank Schäfer in dieser Zeitung. 2006 war aus dem Bellizisten Young ein besorgter Pazifist geworden, der die Bush-Kriege auf seinem Album »Living with War« geißelte, dessen Songs wiederum von seinen alten Kollegen Crosby, Stills and Nash auf einer Art Friedenstour gespielt wurden. »I used to walk like a giant on the land / Now I feel like a leaf floating in a stream«, sang Young auf »Psychedelic Pill«, der (sehr guten) Platte mit Crazy Horse von 2012. (jW)

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