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Aus: Ausgabe vom 24.12.2011, Seite 16 / Aktion

Freiheit für wen?

Handlungsfähigkeit der jungen Welt soll durch Prozesse eingeschränkt werden
Von Denis Gabriel
An dieser Stelle berichten wir öfter über aktuelle Prozesse. In den vergangenen Tagen mußten wir uns allerdings mit so vielen juristischen Fragen beschäftigen, daß der Platz nicht reicht, alle Fälle zu nennen. Da meldete sich beispielsweise Axel Reitz aus Köln, bekannt als der »Hitler von Köln« und verlangt die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung und die Kosten für seinen Anwalt. Weil er nicht die Person sei, die gemeinhin als der »Hitler von Köln« gilt.

Seine Kameraden von der NPD dürfen schon mal einen Erfolg verbuchen. Das Amtsgericht Tiergarten stellte dem Geschäftsführer der jungen Welt, Dietmar Koschmieder, einen Strafbefehl zu, weil er einem »Amtsträger bei der Vornahme einer Diensthandlung mit Gewalt Widerstand« geleistet habe. Der Vorfall ereignete sich am 17. Juni 2011, als die Behörden bewußt und gezielt die NPD mit ihrem Bundesführer direkt vor dem Gebäude der jungen Welt in Berlin-Mitte aufmarschieren ließen. So ganz trocken blieb es dabei nicht, die Nazis zogen mit feuchten Hosen ab, obwohl es eigentlich nicht regnete. Die Behörden hatten an diesem Nachmittag Koschmieder bereits zweimal festgesetzt und dabei seine Personalien überprüft – seine Legitimierung als Journalist durch den Presseausweis beeindruckte sie wenig. Stunden nachdem die Nazis abgezogen waren, wurde der jW-Geschäftsführer ein drittes Mal festgesetzt und sollte ohne Angabe von Gründen und Absichten fortgeführt werden. Koschmieder verhielt sich völlig passiv. Trotzdem stellte der Amtsrichter einen Strafbefehl aus. Koschmieder hat Widerspruch dagegen eingelegt.

Außerdem soll der jW-Geschäftsführer für sechs Monate in den Knast oder die junge Welt 250000 Euro bezahlen, wenn diese wörtlich oder sinngemäß noch einmal verbreitet, daß der Mainzer Verleger A.T. ein »Stinkemann-Verleger« oder gar ein »Sackgesicht« sei. Nun sind diese Worte tatsächlich in einem Beitrag von Wiglaf Droste in der jungen Welt gefallen, allerdings im Rahmen eines satirischen Beitrags und im Rahmen einer schon seit einigen Jahren laufenden scharfen Auseinandersetzung um das Erbe des Schriftstellers Peter Hacks. Auch gegen die Verfügung des Landgerichts Mainz wurde Widerspruch eingelegt.


Post gab es diese Woche außerdem vom Deutschen Presserat. Der mußte sich mit zwei Beschwerden über die junge Welt beschäftigen. Am 10.9.2011 veröffentlichte Wiglaf Droste einen satirischen Beitrag über den 10. Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center. Da seien sicher »provokante und zugespitzte Formulierungen« erkennbar, niemand sei aber in der Menschenwürde verletzt. »Das Gremium erkennt einen sachlichen Kern der Kritik in dem Beitrag«, argumentiert der Presserat und lehnt die Beschwerde ab. Die legendäre Titelseite vom und zum 13. August 1961 war ebenfalls Gegenstand von gleich mehreren Beschwerden an dieses Gremium. Die Beschwerdeführer sahen einen Verstoß gegen die guten Sitten, gar eine »Verunglimpfung der Opfer der deutschen Teilung«. Auch hier wies der Presserat auf den politischen Hintergrund in den Formulierungen hin. Die jW-Redaktion übe »Kritik daran, daß Hohenschönhausen in diversen Medien nicht mehr für einen Berliner Stadtteil stehe, sondern auf das örtliche Gefängnis reduziert« werde. Die Beschwerden wurden als unbegründet zurückgewiesen.

Jeder, der gegen die junge Welt juristisch vorgeht, sollte dabei bedenken, in welch illustrer Gesellschaft er sich befindet.

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