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03.01.2022 19:30 Uhr

Klare Kante gegen Krieg

Der Einsatz für eine friedliche Außenpolitik ist und bleibt – neben dem Kampf für soziale Gerechtigkeit – eine der zentralen Erfolgsvoraussetzungen für Die Linke
Von Sören Pellmann
Wie hältst Du es mit der »Evakuierungsmission« der Bundeswehr in Afghanistan? Das Abstimmungsverhalten der Bundestagsabgeordneten von Die Linke hat im Sommer 2021 unter Linken und Friedensbewegten für Irritation gesorgt (Rückkehr von Soldaten aus Afghanistan zum Stützpunkt Wunstorf in Niedersachsen, 27. August 2021)

Am Sonnabend, dem 8. Januar, findet die XXVII. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz als frei zugängliche digitale Veranstaltung statt. Das Abschlusspodium der Konferenz steht unter dem Motto »Wie wir den nächsten großen Krieg verhindern«. Vorab stellen wir an dieser Stelle in der heutigen und morgigen Ausgabe die Positionen der Diskutanten zur Frage von Krieg und Frieden vor. (jW)

Die Amtsübernahme der Regierung Scholz und der Jahreswechsel 2021/22 fallen in eine gesellschaftliche Situation, in der Die Linke vor viele Herausforderungen gleichzeitig gestellt ist. Die Pandemie spaltet die Gesellschaft, rechte Demagogie wirkt nach der systematischen »Entsozialstaatlichung« der letzten 30 Jahre überall weiter, und die Ampelkoalition bedeutet keinen echten Neuaufbruch in Richtung soziale Gerechtigkeit. Dies macht die Wahlniederlage von Die Linke um so schmerzhafter. Vielen konnten wir offenbar nicht vermitteln, dass soziale Sicherheit noch immer unser zentraler politischer Bezugspunkt ist.

Auch bei einem anderen politischen Essential von Die Linke, der Friedenspolitik, ist vielen Wählern unsere Position nicht (mehr) klar. Ein Beispiel war unser Agieren zur Afghanistan-Evakuierung im August: Die allzu defensive Vermittlung unserer Enthaltung bei der Abstimmung im Bundestag hat uns in der öffentlichen Wahrnehmung geschadet. Dabei hat das Desaster der Evakuierung doch wie im Brennglas gezeigt, wie recht wir immer schon hatten mit der klaren Ablehnung des militärischen Interventionismus und von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Natürlich war eine Evakuierung der wartenden Fluchtwilligen vom Kabuler Flughafen aus humanitären Gründen notwendig und angemessen. Daher unsere Enthaltung, keine Ablehnung. Aber: Welchen Sinn hatten dafür Bundeswehr-Kampftruppen mit einem robusten Mandat? Ein Mandat, das sich wie dieses nicht einmal auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats stützt, ist völkerrechtswidrig. Und ein »Einsatz militärischer Gewalt (…) zum Schutz der zu evakuierenden Personen« am Flughafen Kabul, zu dem die Bundesregierung unsere Zustimmung verlangte, hätte im Ernstfall Hunderte von Menschenleben kosten können, inklusive abgeschossener Maschinen voll von Flüchtenden. Wir hätten diese Widersprüche lauter kommunizieren müssen.

Auch auf die ultimative Aufforderung von seiten der Grünen, uns zur NATO »zu bekennen«, haben wir zu defensiv reagiert. Wir hätten sie zum Anlass nehmen müssen, offensiv für die Auflösung der NATO und für die positiven Folgen zu werben, die sie eröffnet – zum Beispiel die Schließung des Drohnenmordstützpunkts Ramstein und den Abzug der US-Truppen aus Deutschland. Für beide Ziele gibt es klare Mehrheiten in der Bevölkerung. Nichts könnte unehrlicher sein, als unsere friedenspolitischen Positionen nunmehr kleinlaut als Ballast zu deklarieren. Denn bei allen Wahlerfolgen von Die Linke war eine klare Positionierung in der Außen- und Friedenspolitik Teil unserer Attraktivität. Die aktuelle Situation erfordert eine solche Positionierung mehr denn je.

Angesichts des katastrophalen Scheiterns der auf das Militär setzenden Strategie aller anderen Parteien in Afghanistan hat Die Linke in dieser Frage keinen Anlass zur Selbstkritik. Schon längst sprechen Beobachter von einer Afghanisierung des Konflikts in Mali, weil dort genau die gleichen Prozesse stattfinden wie am Hindukusch: Die westliche Militärpräsenz führt nicht zur Beruhigung der Lage, sondern zu islamistischer Radikalisierung, weil sie als fremde Besatzung wahrgenommen wird. Unsere Forderung muss daher mehr denn je lauten: Bundeswehr raus aus Mali! Wenn die Entwicklung in Afghanistan eins gezeigt hat, dann die Richtigkeit unserer Position: Militärischer Interventionismus tut nichts für die Lösung interner Konflikte, er verschärft sie nur. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind sofort zu beenden.

Die Ampel und die Aufrüstung

Wir als Linke haben unseren Anteil an der Einforderung von Friedenspolitik vor allem hier in der Bundesrepublik zu leisten. Deutschland ist, nicht nur im Rahmen der NATO, seit Jahren fleißiger Mittäter bei der Aufrüstung. Die deutschen Militärausgaben steigen seit sieben Jahren stetig an, das Ziel der großen Koalition war es, sie bis 2024 auf zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu steigern. Das wären mehr als 80 Milliarden Euro pro Jahr – doppelt soviel wie noch 2014. Mit diesen Ressourcen soll die Bundeswehr auf über 200.000 Soldaten anwachsen; ein Flottenbauprogramm ist in Arbeit, gemeinsam mit Frankreich und Spanien ist die Entwicklung neuer Hightechkampfjets für einen womöglich dreistelligen Milliarden-Euro-Betrag geplant. Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben.

Von der Ampelkoalition ist keine Besserung zu erwarten – im Gegenteil. Der Koalitionsvertrag lässt erahnen, dass der Wind so eisig und scharf wehen soll wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Schon im Vorfeld haben sich die Grünen in Gestalt von Annalena Baerbock zu einer »sicheren Finanzierung der Bundeswehr« bekannt, wie sie jetzt im Koalitionsvertrag steht. In der Frage der nuklearen Teilhabe sind – offenbar nach erheblicher Einmischung der Biden-Administration – gleich alle drei Parteien umgefallen: Denn der vom damaligen FDP-Außenminister Guido Westerwelle initiierte Beschluss des Bundestags von 2010, die US-Atomwaffen endlich aus Deutschland abzuziehen, wird auch von der sich selbst als »progressiv« bezeichnenden Koalition nicht umgesetzt, obwohl sich bisher Teile der SPD und die Grünen dazu bekannt und letztere noch im Juni einen eigenen Antrag mit diesem Ziel in den Bundestag eingebracht hatten. Auch die Bewaffnung von Drohnen soll offenbar nun von Grünen und SPD vollzogen werden. Selbst in der Frage der Rüstungsexporte gibt man offenbar klein bei. Wir von Die Linke bleiben dabei: Wir fordern nicht nur einen Abschied vom Zwei-Prozent-Ziel, sondern eine substantielle Kürzung des Militärhaushalts, Abrüstungsinitiativen auch einseitiger Art, die eine Perspektive geben können für Dialog und Entspannung in Europa, außerdem zunächst ein konsequentes Rüstungsexportverbot für deutsche Rüstungsgüter und dann den Einstieg in die Konversion der Rüstungsindustrie.

Gemeinsame Sicherheit

Angesichts der Kalte-Krieg-Rhetorik der CDU waren die Erwartungen an eine neue Außenpolitik der Ampelkoalition auch unter Mitgliedern von Die Linke hoch. Leider scheint die neue Bundesregierung den Weg der Konfrontation noch entschlossener weitergehen zu wollen. Offenbar möchte man die Welt in – vermeintlich – Gut und Böse einteilen. Zusehends werden vermeintliche Werte in Anschlag gebracht, um die Militarisierung der deutschen Außenpolitik und speziell die Konfrontationspolitik gegenüber Russland und China zu legitimieren. Einige olivgrüne Vordenker, jüngst etwa die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner, meinen, die Bundesrepublik brauche »eine andere Einstellung zu Militäreinsätzen« und die Fähigkeit‚ die »Eskalationsspirale« gegenüber Russland und China »dominieren« zu können. Im Wahlprogramm der Grünen wurde das Ziel der Friedensbewegung, ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen, das Russland einschließen und dadurch den Frieden in Europa sichern soll, durch ein Bündnis gegen Russland ersetzt. Die Gefahren der Kriegseskalation, die sich aus dieser Konfrontationsstrategie ergeben, veranlassen inzwischen selbst ehemalige NATO-Generäle, öffentlich militärische Zurückhaltung anzumahnen.

Was Russland betrifft, weiß unsere Partei um die historische Verantwortung, die Deutschland – neben seiner Verantwortung für die Sicherheit der Bürger Israels – auch für die Wahrung des Friedens im Osten Europas hat: 27 Millionen Tote aller Nationalitäten der Sowjetunion, die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten wurden, mahnen dazu. Wenn heute in einem bekannten Forum wie »Augen geradeaus« wieder darauf hingewiesen werden kann, dass »wir« im Ersten und Zweiten Weltkrieg Zugriff auf die Rohstoffe der Ukraine haben wollten (»Kornkammer Deutschlands«) und dass man sich heute wieder die ukrainischen Ressourcen aneigne, dann zeigt das, welche Aktualität die Historie besitzt.

Und ja, auch China betreibt eine Außenpolitik der wirtschaftlichen Expansion; aber im Unterschied zu den USA und den Mächten Westeuropas hat die Volksrepublik dabei nie militärische Mittel angewandt und ressourcenreiche Länder mit Krieg überzogen, um sich die Rohstoffe anzueignen. Die Linke sollten die Doppelstandards anderer Parteien zurückweisen, die über Menschenrechtsverletzungen in China oder die Behandlung von Alexej Nawalny in Russland klagen, selbst aber z. B. die Drohnenmorde der USA in Asien und Afrika, die quasi staatsoffizielle Rechtsbeugung in den Verfahren gegen Julian Assange und Chelsea Manning und die erdumspannende Ausspähung u. a. durch die Geheimdienste der USA unter dem Deckmantel der US-Kommunikationskonzerne aktiv beschweigen, mal ganz abgesehen von den Menschenrechtsverbrechen an der EU-Außengrenze und vom Massensterben von Flüchtlingen im Mittelmeer – für beides ist Deutschland in hohem Maß mitverantwortlich.

Den penetranten Forderungen nach Sanktionen und nach einer Verschärfung der Konfrontation mit Russland und China, die nur die Eskalation gefährlich forcieren, müssen wir klar entgegensetzen: Hände weg von Russland und China! Gegenüber den bisherigen Aggressionen muss Die Linke auf der Rückkehr zu einer Politik der friedlichen Koexistenz bestehen, des Dialogs und der Zusammenarbeit. »An die Stelle des Zwillingspaars Aufrüstung und Abschreckung müssen Entspannung und gemeinsame Sicherheit treten«, so haben es Peter Brandt, Reiner Braun und Michael Müller von der Initiative »Abrüsten statt aufrüsten« kürzlich in der Berliner Zeitung formuliert. Dringende gemeinsame Vorhaben wie die Umsetzung der Beschlüsse von Glasgow zur Bekämpfung des Klimawandels, konkrete Schritte zur Verhinderung weiterer Wellen der Coronapandemie und die Einleitung einer umfassenden Abrüstungspolitik können nur mit Russland und China gelingen, nicht ohne oder gegen sie.

Sören Pellmann gehört der Partei Die Linke an und ist Abgeordneter des Bundestags. Bei den Bundestagswahlen vom 26. September 2021 errang er das Direktmandat im Bundestagswahlkreis Leipzig II.

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