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Aus: Ausgabe vom 31.08.2007, Seite 15 / Feminismus

Dokumentiert. »Für den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung!«

Auf der Sommerakademie der Sozialistischen Linken, einer Strömung der Partei Die Linke, vom 8. bis 12. August in Bielefeld erarbeitete die Arbeitsgruppe »Frauen- und Geschlechterpolitik« ein Positionspapier zur Debatte um die Kinderbetreuung. Wir dokumentieren Auszüge:
(...) Die Linke hat auf dem Gründungsparteitag am 16. Juni eine »Kita-Kampagne« beschlossen.
Im Vorfeld der Kampagne gibt es nun vom Landesverband Saar die Forderung nach einem Erziehungsgehalt in Höhe von 1 560 Euro monatlich für alle Mütter für die ersten zwölf Monate und 960 Euro für das zweite und dritte Jahr, sowie 480 Euro bis zum 20. Lebensjahr des Kindes. Darin enthalten sind Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung. Christa Müller, familienpolitische Sprecherin des Landesverbandes Saar der Linken, begründet diesen Vorschlag mit dem Argument, daß eine enge Bindung des Kindes an die Mutter (oder den Vater) in den ersten Lebensjahren unabdingbar für die emotionale Entwicklung des Kindes sei. Sie propagiert damit die vollständige private Erziehung von Kleinkindern – bevorzugt durch die Mutter. Sie behauptet, daß es für die Kinder besser sei, ausschließlich zu Hause statt gemeinschaftlich in Krippen betreut zu werden. (...)
Die Vorstellung von der Unersetzbarkeit der Mutter entspricht weitgehend den konservativen Vorstellungen, wie sie in Teilen der CDU/CSU und den Kirchen propagiert werden. Nicht die »Fremdbetreuung« ist das Problem, sondern der Mangel an Krippenplätzen und die Bedingungen, unter denen die außerfamiliäre Betreuung heute stattfindet.
Frühkindliche Erziehung kann auch im familiären Rahmen scheitern, wenn zum Beispiel beengte Wohnverhältnisse, Armut, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Zukunftsängste die Familie emotional belasten. Umgekehrt können Kleinkinder durch enge Bindung zu Erziehern und Erzieherinnen ebenso emotionale Stabilität entwickeln. Die heutige Kleinstfamilie kann außerdem den sehr wichtigen, kontinuierlichen Kontakt von Kindern untereinander, wie er in einer Krippe stattfindet, nicht gewährleisten. Untersuchungen zeigen, daß diejenigen Kinder, die in Krippen mit hoher Qualität aufwuchsen, bei Sprachtests deutlich besser abschneiden, als diejenigen, die nur zu Hause aufwuchsen. Zudem wurde festgestellt, daß es für Kinder sogar besser ist, in Krippen mit niedriger Qualität aufzuwachsen, als unter ungünstigen Familienverhältnissen, wo die Eltern kaum mit ihren Kindern kommunizieren. Entscheidend ist nicht, wer das Kind betreut, sondern unter welchen Bedingungen und wie verläßlich eine Betreuung ist.

Soziale Fähigkeiten, kognitive und sprachliche Entwicklung werden somit durch die Erziehung in einer Krippe mindestens so gut gefördert wie durch die Erziehung zu Hause. Das gilt insbesondere für bildungsferne Schichten, Ein-Kind-Familien und für Kinder mit Migrationshintergrund. Der Landesverband Saar begründet seinen Vorschlag mit der Herstellung von Wahlfreiheit für die Eltern. Aber die Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf setzt den Ausbau von Krippenplätzen voraus. Darüber findet sich nichts im saarländischen Vorschlag für ein Erziehungsgehalt. Unser Ziel ist es, gleichberechtigte, gesellschaftliche Bedingungen für eine Berufstätigkeit von Frauen herzustellen und die öffentliche Kinderbetreuung zu fördern. (...)
Finanziert werden könnte ein Ausbau von qualifizierten Kinderkrippen durch die Rücknahme der Unternehmenssteuerreform, welche mit der nächsten Stufe 2008 sieben Milliarden Euro in die Taschen der Unternehmer fließen lassen soll. Mit der vom Bundesparteitag beschlossenen Kita-Kampagne werden wir zeigen, wie die Interessen von Kindern, Frauen und Familien über das von Unternehmern und Kapitaleigentümern gestellt werden können.
sozialistische-linke.de

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