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Aus: Ausgabe vom 22.06.2006, Seite 12 / Feuilleton

Antilangweiler

Es hat nicht viel gefehlt, knappe fünf Jahre: Heute wäre Billy (Samuel) Wilder 100 Jahre alt geworden. Im März 2002 starb er in Beverly Hills, als »letzter König des alten Hollywood«. Ein zäher Hund war er und hatte dabei Witz wie Sand am Meer. Über Wien kam er 1926 aus Galizien nach Berlin, verdingte sich als Eintänzer im Eden-Hotel, berichtete darüber seriell in der Berliner Zeitung. 1929 schrieb er mit Robert Siodmak das Drehbuch zu »Menschen am Sonntag«, zwei Jahre später das zu »Emil und die Detektive«. 1933 emigrierte er über Paris in die USA, wurde Lohnschreiber für die Paramount Studios, teilte sich ein Apartment mit Peter Lorre, »hungerte ein bißchen«. Als Ernst Lubitsch Ende der 30er zwei Bücher verfilmte, ging es aufwärts, hin zum ersten Regie-Meisterwerk aus dem Jahr 1944, ein Film-Noir-Klassiker (»Seit ›Double Idemnity‹ sind die beiden wichtigsten Wörter im Kino Billy Wilder«, sagte Hitchcock damals). Im Krieg leitete Wilder zeitweilig die Filmabteilung der US-Armee. 1945 montierte er Filmaufnahmen aus Konzentrationslagern, »damit nicht später jemand behauptet, das haben sich diese Juden in Hollywood ausgedacht« (Süddeutsche). In Auschwitz waren seine Mutter, sein Groß- und sein Stiefvater ermordet worden. Wilder brachte die Menschen trotzdem weiter zum Lachen, und wie. Seine Antihelden wurden immer komischer. Bald erhielt er die ersten Regie-Oscars. Es folgten der beste Marlene-Dietrich-Film »Witness for the Prosecution« (1958), Highspeed-Komödien über die Scheinheiligkeit des American Dream (»Some Like It Hot«, 1959, »Irma La Douce«, 1963). Sein größter Kassenerfolg war die Sozialsatire »The Apartment« (1960). Im folgenden Jahr flopte »One, Two, Three«. Seine besten Jahre waren vorbei. Daß er darüber verbitterte, ist nicht überliefert. (jW)