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Aus: Ausgabe vom 29.11.2022, Seite 11 / Feuilleton
Lyrik

Dokumentiert: Post von Hacks

Damit wir uns nicht mißverstehen: Ich habe, obwohl ich mir oft inhaltsvollere Unterhaltungen vorstelle, gar nichts gegen Ihre Basiliken und Ihre Nüsse, und lassen Sie doch ruhig Ihre Vögel auf Basalt scheißen. Aber lenken Sie nicht von der Frage der Gewalt ab. ›gewaltig‹ ist, wer Gewalt hat. Nicht ›der mensch‹, nicht Sie, sind Sie Rockefeller? Die Frage der Gewalt wird gelöst durch gewaltsame Besitzergreifung der Konzerne, durch Arbeiter. ›Der Mensch‹, eine erst noch herzustellende Person, wird ermöglicht durch Aufhebung der Klassen, durch Arbeiter. Fallen Sie ihnen nicht in den Rücken. Nachher können wir weiter reden, auch über Ihre Nüsse. Damit der Mensch seinen Spaß haben kann, darum machen wir ja den Kommunismus.

Ich ziehe das Resumé, Sie verteidigen nicht nur die Wölfe: Sie verteidigen nicht minder die Lämmer. Der Buchtitel ist irreführend. (…)

›Der Kleinbürger‹, sagt Marx, ›ist zusammengesetzt aus einerseits und andererseits. So in seinen ökonomischen Interessen, und daher in seiner Politik, seinen religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Anschauungen. So in seiner Moral, so in everything. Er ist der lebendige Widerspruch. Ist er dabei, wie ­Proudhon, ein geistreicher Mann, so wird er bald mit seinen eigenen Widersprüchen spielen lernen und sie je nach Umständen zu auffallenden, geräuschvollen, manchmal skandalösen, manchmal brillanten Paradoxen ausarbeiten.‹

Die Rede ist von Proudhon, und es trifft auf Sie; es wäre Ihnen aber zu viel Ehre angetan, Sie mit Proudhon zu vergleichen. Denn obwohl Sie Gedichte machen, Gedichte von unbestritten großer Schönheit, herausgegeben aber bei Suhrkamp in Westdeutschland unter dem Innenminister Schröder und diesem nicht schadend, genügen Ihre theoretischen Einsichten leider bestenfalls zu einem Feuilletonisten der Süddeutschen Zeitung. Wäre es nicht viel besser für Sie und die kunstbedürftige Menschheit, wenn Sie, statt Ihre Informationen über die linke Hälfte der Welt aus dem (entschuldigen Sie schon) Spiegel und der (es hilft ja nichts) Bildzeitung zu beziehen, dieselben lieber aus der Inaugenscheinnahme der Wirklichkeit und dem Studium der einschlägigen Wissenschaften beziehen wollten?«

Peter Hacks an Hans Magnus Enzensberger

Offener Brief, August 1958

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