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Aus: Ausgabe vom 29.11.2018, Seite 11 / Feuilleton
Droste

Wahre Tierrechte (47)

Von Wiglaf Droste

»Klingt doch prima«, sagte Lia und lächelte, »und vor allem habe ich es selber erlebt, gesehen, gehört, gerochen, gefühlt und geschmeckt. Das ist ja gerade das Schöne hier: Man kann direkt loslegen und etwas tun! Natürlich braucht man einen guten, klaren Plan, aber richtig interessant wird es doch, wenn man sieht, was man da genau macht und wie das geht.« Sie begeisterte sich; ihr Temperament war nicht zu übersehen. »Ich lerne gerne, deswegen habe ich mich in der Schule auch zu Tode gelangweilt.«

Die Erwähnung der Schulzeit ließ Jochen an eine Geschichte denken, die er nebenher über Lia gehört hatte; als 15- oder 16jährige Schülerin, so wurde es kolportiert, habe sie ihren Lehrer Ellinghaus, der habituell die Hände in die ausgebeulten Taschen seiner Cordhosen gesteckt und offensichtlich selbstvergessen an seinen primären Geschlechtsorganen herumgezuppelt habe, mit den Worten »Na Elli, wieder Taschenbillard?« vor versammelter Mitschülerschaft auf die Bretter geschickt. Den dafür fälligen Verweis habe sie sportlich weggesteckt, und wenn auch nur die Hälfte der Geschichte stimmte, war Lia für den Hof voller freiheitsliebender Tiere wie geschaffen.

Lia aber drückte der Schuh ganz woanders. »Ich würde mit dir auch noch gerne über etwas anderes reden«, sagte sie, »mehr so privat.« Ihr Gesicht war dunkelrosa, und Jochen schwante, was kommen würde. Er war durcheinander. »Unbedingt«, beeilte er sich zu antworten, »wenn wir das Fest gewuppt haben, tun wir das.« Er sah ziemlich ratlos aus. »Und eigentlich war ich ja auch auf der Suche nach Andreas«, legte er hastig nach. »Bis später dann. Und danke!«

Er verschwand; im Weggehen bemerkte er, dass seine Hände leicht zitterten und sein Herz schneller schlug. »Mach sofort eine Atemübung«, zischte ihm eine Stimme durch den Kopf, und er musste über seine eigene angelernte Bescheuertheit lachen. Warum sollte er sich etwas Schönes und Wahres wegatmen? Das war in diesem Fall doch überhaupt nicht angebracht! Was sich in ihm abspielte, war kein »Atemlos durch die Nacht«-Ohrentotschlag, das war »À bout de souffle«, »Außer Atem« von Godard mit dem jungen Belmondo und der hinreißenden Jean Seberg, Nouvelle Vague und nicht der akustische Tsunami der Neuen Deutschen Welle, die schon nach alten Käsesocken roch, bevor sie wieder mal als neu verkleidet in den Markt und in die Köpfe geprengelt wurde.

Fortsetzung folgt

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