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Aus: Ausgabe vom 29.04.2014, Seite 3 / Schwerpunkt

Hintergrund: Erdogan und der Völkermord

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat sich in der vergangenen Woche an »die Enkel der 1915 getöteten Armenier« gewandt und ihnen erstmals sein Beileid ausgesprochen. Das scheint auf den ersten Blick ein positiver Schritt zu sein. Bei genauer Prüfung paßt die Erklärung in die Kontinuität des Relativierens und Leugnens des Völkermords an den Armeniern. Warum hat Erdogan diese Erklärung zum jetzigen Zeitpunkt abgegeben? Wollte er die Zustimmung aus Berlin und Washington für seine Präsidentschaftskandidatur befördern? Oder weil er wegen der Angriffe islamistischer Milizen von türkischem Boden aus auf armenische Dörfer in Syrien gerade aus den USA unter Druck war und wenigstens symbolisch einen anderen Akzent setzen wollte zu einem Zeitpunkt, wo der US-Senat droht, diese Angriffe zu untersuchen? Darüber läßt sich trefflich spekulieren. Hier soll es lediglich um den Wortlaut der Erklärung gehen, die in neun Sprachen zeitgleich veröffentlicht wurde.

Fakt ist, daß Erdogan den Völkermord an den Armeniern nicht anerkennt. Seine Stellungnahme beginnt mit den Worten: »Der 24. April, der für unsere armenischen Bürger und die Armenier weltweit eine besondere Bedeutung hat, stellt im Hinblick auf die freie Äußerung von Gedanken zu diesem geschichtlichen Thema eine wertvolle Gelegenheit dar.« Der Beginn des Völkermords hat also lediglich »für unsere armenischen Bürger und die Armenier weltweit eine besondere Bedeutung«. Damit wird die Bedeutung für alle anderen türkischen Bürger relativiert. In der Folge weist Erdogan darauf hin, daß alle gelitten haben. Auch dies eine Relativierung. Dann heißt es: »Die pluralistische Sichtweise, die demokratische Kultur und die Moderne erfordern, daß in der Türkei unterschiedliche Meinungen und Gedanken zu den Ereignissen von 1915 frei geäußert werden. Es kann auch Stimmen geben, die diese freie Atmosphäre in der Türkei als eine Gelegenheit betrachten, beschuldigende, verletzende oder bisweilen gar hetzerische Aussagen und Behauptungen kundzutun.«

Hier läuft ein Subtext, mit der die Behauptung, es gäbe einen Völkermord an den Armeniern, als »hetzerische Aussage« gebrandmarkt wird. In dieselbe Richtung weist die Passage: »Jedoch ist es inakzeptabel, daß die Ereignisse von 1915 als ein Vorwand für eine Anfeindung gegenüber der Türkei benutzt und zu einem politischen Streitthema stilisiert werden.« Auch hier spricht Erdogan ausdrücklich die Leugner des Völkermords an. Der Regierungschef führt die Desinformationskampagne fort, wenn er den Völkermord als »Umsiedlung« mit »unmenschlichen Folgen« beschreibt – und damit leugnet.

Sevim Dagdelen

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