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Aus: Ausgabe vom 15.07.2011, Seite 12 / Feuilleton

Bonner Republik

Mit Leo Kirch ist am Donnerstag vormittag im Alter von 84 Jahren ein Dinosaurier der Monopolindustrie gestorben. Ende des vergangenen Jahrtausends gehörte ihm zeitweise jeder zweite im deutschen Fernsehen ausgestrahlte Film. Kirch produzierte, synchronisierte und verkaufte Filme – am Ende auch an Sat.1, ProSieben, Kabel 1, N 24, DSF oder Neun Live. Bei all diesen Sendern bekleidete der enge Freund Helmut Kohls maßgebliche Positionen. Als Kirch sich Mitte der 90er einen Aufsichtsratsposten im Springer-Konzern erkämpft hatte, von dem ihm 40 Prozent gehörten, forderte er gleich mal den Rauswurf eines Welt-Chefredakteurs, der sich am »christlich-abendländischen Weltbild« vergangen habe. Kirch war auf dem Zenit seiner Macht.

Als das Bundeskartellamt ihm nicht erlaubte, das Bezahlfernsehen in Deutschland mit Bertelsmann und Canal Plus zu etablieren, machte Kirch es auf eigene Faust, und übernahm sich. Die immensen Verluste von Premiere führten auch dazu, daß er seine Springer-Aktien gegen einen im Mai 1998 von der Deutschen Bank ausgereichten Großkredit verpfänden mußte.

ARD und ZDF retteten Kirch noch einmal durch Zahlung überhöhter Lizenzgelder für die Fußball-WM 2002 (225,2 Millionen Euro). Aber Rupert Murdochs Option, sich Premiere-Aktien für garantierte 1,7 Milliarden Euro auszahlen zu lassen, blieb existenzbedrohend.


Am 30. Januar 2001 zog Springer die Option, seinen Anteil an der ProSieben-Sat.1 Media AG für garantiere 772 Millionen Euro zurückzugeben – der tatsächliche Börsenwert betrug kein Zehntel davon. Ein Jahr später war Kirch sturmreif geschossen. Im April 2002 lud Bundeskanzler Gerhard Schröder Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Rolf E. Breuer, Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Middelhoff und WAZ-Verleger Erich Schumann zum Gespräch. Ob die Aufteilung der Kirch-Gruppe beraten wurde, wollte neulich das Oberlandesgericht (OLG) München von Schröder wissen. Der berief sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach Artikel 47 Grundgesetz, wie das OLG am 28. Juni mitteilte.

Wenige Tage nach dem Termin beim Kanzler zog Deutschbanker Breuer in einem Interview Kirchs Kreditwürdigkeit in Zweifel, und das Kirch-Imperium, das 10000 Leute beschäftigte, klappte zusamme. Breuers Angabe, sein Interview sei ein »Unfall« gewesen, nannte das OLG in seinem »Hinweis- und Beweisbeschluß« vom 26. Juni »kaum glaubhaft, ebensowenig seine Behauptung, er habe geglaubt, er könne mit dieser Antwort weniger Schaden anrichten als mit einem für Bankkreise geradezu typischen ›No comment‹«.

Am 14. November will das Gericht Friede Springer vernehmen, die nach Kirchs Pleite einen Teil seines Aktienpakets von der Deutschen Bank erhielt und damit die Aktienmehrheit zurückerlangte. (jW)

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