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Aus: Ausgabe vom 22.10.2022, Seite 10 / Feuilleton
Geschichte

Bayreuther Revision

Die Stadt Bayreuth plant ein NS-Dokumentationszentrum. Und zwar unter anderem im früheren Wohnhaus von Houston Stewart Chamberlain (1855–1927), Schwiegersohn Richard Wagners und Vordenker von Rassismus und Antisemitismus.

Im Chamberlain-Haus ist allerdings momentan noch das Museum untergebracht, das Jean Paul (1763–1825) gewidmet ist. Der Kontrast zwischen dem phantasiereich fabulierenden, humorvollen Dichter, der in Wunsiedel geboren wurde und in Bayreuth starb, und dem rassistischen Ideologen Chamberlain könnte nicht größer sein. Nach Plänen der Stadt soll das Jean-Paul-Museum nun bald umziehen – und zwar in das ehemalige Wohnhaus Jean Pauls.

Gerade im Dunstkreis der Festspiele entwickelte sich ein Gerüst aus Rassismus, Antisemitismus und völkischer Ideologie. Auch Adolf Hitler war glühender Verehrer der Werke Richard Wagners und oft in Bayreuth zu Gast. Wenige Städte würden so stark mit dem NS-Regime in Verbindung gebracht wie Bayreuth, hieß es kürzlich in einer Mitteilung der Kommune.

Der Bund hat der Stadt demnach eine Förderung von bis zu rund 11,6 Millionen Euro zugesagt. Aktuell stehe die Akquise von Drittmitteln im Vordergrund, erläuterte ein Rathaussprecher. Insgesamt rechne man mit Kosten von etwa 23 Millionen Euro. Neben dem Chamberlain-Haus sollen zum Dokumentationszentrum für die Ideologiegeschichte des Nazismus noch weitere Stätten gehören. Integriert werden soll auch die Wilhelm-Leuschner-Gedenkstätte, die an den in Bayreuth geborenen Gewerkschaftler und antifaschistischen Widerstandskämpfer Wilhelm Leuschner erinnert.

Wann mit einer Eröffnung des Zentrums zu rechnen ist, lässt die Stadt noch offen. »Diese Frage lässt sich aktuell leider noch nicht seriös beantworten. Es wird mit einem mehrjährigen Planungsvorlauf gerechnet, bevor die Sanierungsarbeiten durchgeführt werden können«, sagte der Sprecher. (dpa/jW)

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