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Aus: Ausgabe vom 30.10.2010, Seite 16 / Aktion

Mächtig gewaltig

Wie junge Welt die Massenproteste gegen »Stuttgart 21« inszenierte. Warum sie aber trotzdem nicht stark genug ist
Von Dietmar Koschmieder
Erste Vollversammlung der Stuttgarter jW-Leserinitiative
Erste Vollversammlung der Stuttgarter jW-Leserinitiative
Die junge Welt kämpft um jedes einzelne Abonnement. Denn daran hängt nicht nur die Finanzierung dieser Zeitung, sondern auch Macht. Medienmacht, wie die rechtsgerichtete Wochenzeitung Junge Freiheit erkennt. Autor Lion Edler geht in seinem Beitrag im Fachblatt für Rechte mit Neigung zu Nadelstreifen und Adelstiteln vom 21. Oktober 2010 der Frage nach, wieso sich überhaupt jemand für die langweilige Frage des Stuttgarter Bahnhofumbaus interessiert. Wo es doch einfach nur positiv sei, »daß die Polizei gezeigt hat, daß Schlagstöcke und Wasserwerfer nicht nur zur Dekoration da sind. Wozu gibt es eigentlich Steuern?«

Herr Edler findet schließlich eine Erklärung. »Es waren zunächst eher taz und junge Welt, (…), die den Bahnhof zu einer weltbewegenden Angelegenheit machten. Nach dem Sommerloch kam dieses Jahr nämlich das Herbstloch, (…), ein guter Zeitpunkt also für Debatten, die von Medien gemacht werden. (...) Es gehe um `die Arroganz der Macht`, so tönt es von den arroganten Mächtigen der Medien. In Wahrheit sind mit den Mächtigen nur die formal regierenden Parteien (…) gemeint, denen die arroganten und mächtigen linken Medien eins auswischen wollen.« »Inszeniertes Medientheater«, keift Edler weiter, »ohne die mediale Aufmerksamkeit wäre es niemals zu solchen Demonstrationsmassen gegen ›S21‹ gekommen.« Und: Unter dem »randalierenden Mob« befänden sich »zahlreiche Kommunisten, denen es nicht um den Bahnhof geht«! Dabei handelt es sich, wie wir heute gestehen, um Aktivisten der junge-Welt-Initiativen, die mit ein bißchen Randale aus einer langweiligen Lokalposse im Auftrag des mächtigen linken Mediums junge Welt eine weltbewegende Angelegenheit machen!

Leider verhält es sich in Wirklichkeit aber so, daß die junge Welt in diesen Tagen vor allem damit beschäftigt ist, technische Produktionsgrundlagen ihrer Berliner Redaktion abzusichern – mit Hilfe ihrer Leserinnen und Leser. Trotzdem versuchen wir, so nah wie möglich an den Ereignissen in Stuttgart dran zu sein. Richtig ist auch, daß in der Schwabenmetropole mittlerweile-Aktivisten die junge Welt bekanntmachen. Aber längst nicht alle journalistischen Möglichkeiten können dort und anderswo genutzt werden. Dazu reichen die ökonomischen Spielräume, also vor allem die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten, nicht aus.


Damit wir uns künftig weniger um die Ökonomie und mehr um Zeitung und Inhalte kümmern können, wollen wir über eine verbesserte junge Welt und bundesweite Marketingaktivitäten den Abobestand deutlich erhöhen. Internetausgabe und Printprodukt sollen in Richtung einer linken Vollzeitung weiterentwickelt werden. Dazu haben wir in Verlag und Redaktion die Diskussion eröffnet, und dazu bitten wir auch um Ideen und Anregungen unserer Leserinnen und Leser. In den Monaten April und Mai 2011 soll die überarbeitete Version an den Start gehen. Da uns nach wie vor Werbemillionen fehlen, um die verbesserte junge Welt überall anzubieten, wollen wir bis dahin ein gut funktionierendes Netz von jW-Leserinitiativen, Unterstützern, Einzelkämpfern und Aktionsgruppen entwickeln. Ziel ist es, durch gemeinsame Aktivitäten im Zeitraum April bis Juni 2011 unsere Zeitung im gesamten deutschsprachigen Raum bekanntzumachen und möglichst viele neue Abonnentinnen und Abonnenten für die Print- und Onlineausgabe zu gewinnen. Wobei mit der Werbung nicht erst im nächsten Jahr, sondern sofort begonnen werden soll. Den Höhepunkt der Aktionen konzentrieren wir aber auf die Monate April und Mai des nächsten Jahres. Über beide Aufgaben – Entwicklung des Produktes junge Welt und Aufbau eines Unterstützernetzwerkes – werden wir in den kommenden Wochen an dieser Stelle informieren. Wir rechnen mit einer starken Beteiligung unserer Leserinnen und Leser.

Zwar ehrt der Verfassungsschutz die junge Welt als wichtigstes Medium der konsequenten Linken im Lande, zwar schätzt der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel unsere Rosa-Luxemburg-Konferenz als wichtigstes Symposium der Neomarxisten ein, zwar bezeichnen uns rechtsgerichtete Blätter wie die Junge Freiheit als mächtiges linkes Medium. Wir können dem nur hinzufügen: Nicht mächtig genug. Aber das kann man ja ändern.

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Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

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