Den Nährboden entziehen
Von Dennis Gabriel
In diesem Lande halten staatliche Institutionen Presse- und Meinungsfreiheit nur bei passender Gelegenheit hoch, das ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Dass aber auch die ansonsten heilige Kuh der Gewerbefreiheit immer wieder geschlachtet wird, um unangepasste Medien abzustrafen, ist Ausdruck sich verschärfender Klassenkämpfe auch in Deutschland. Diese Erfahrung müssen Verlag, Redaktion und Genossenschaft der Tageszeitung junge Welt seit der Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2021 wegen der Nennung im Verfassungsschutzbericht durch den Inlandsgeheimdienst immer wieder machen.
Im aktuellen Fall geht es um einen Rechtsstreit zwischen junge Welt und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg, dem RBB. Dort schaltete die Zeitung jahrelang Werbung – in Kombination mit umfassenden crossmedialen Werbemaßnahmen. Denn um auf dem umkämpften Tageszeitungsmarkt gerade in Berlin erfolgreich zu sein, genügt es nicht, ein gutes Produkt zu machen – es muss auch gut beworben werden. So startete die jW im April und Mai 2022 eine große Werbekampagne, über die der Kioskverkauf angekurbelt werden sollte. Kernaussage der Aktion: »Wir zahlen nicht für eure Kriege.« Nur wenige Wochen zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz allerdings die »Zeitenwende« ausgerufen – mit dem Ziel, Deutschland wieder kriegsfähig zu machen. Die Folgen dieser Wende bekam die junge Welt umgehend zu spüren: Zunächst verlangte der RBB über seine Medienagentur die Änderung des Spots: »Die Betonung ›Wir zahlen nicht für eure Kriege‹ ist in dieser Form (…) ein politisches Statement und kein Hinweis auf eine Berichterstattung oder Schwerpunkt. Hier muss daher leider noch mal eine Anpassung erfolgen.« So wurde die jW gezwungen, die Aussage in »Wir berichten anders« abzuschwächen. Erst dann verpflichtete sich der RBB per Vertrag, 40 Werbespots für rund 10.000 Euro auf »Radio eins« auszustrahlen.
Zensur und Vertragsbruch
Allerdings stoppte die Anstalt die Aussendung mitten in der Kampagne, ohne jede Rücksprache mit dem jW-Verlag. Begründet wurden Zensur und Vertragsbruch mit Einflüssen von außen: »Über die RBB-Serviceredaktion erreichen uns aktuell zahlreiche Beschwerden bezugnehmend auf die derzeitige Radiowerbung der jungen Welt. So wurden wir jetzt auf den Fakt hingewiesen, dass sich Ihre Zeitung in einem Rechtsstreit über die Zulässigkeit der Nennung im Verfassungsschutzbericht befindet. Vor diesem rechtlichen Hintergrund müssen wir mit sofortiger Wirkung die Ausstrahlung der Werbespots (…) aussetzen.« Die junge Welt wurde also zensiert, weil sie ihre Rechte wahrnimmt? Denn Beschwerden gab es bereits bei früheren jW-Spots, die aber vom Rundfunkrat zurückgewiesen wurden: Für den Inhalt sei das werbende Unternehmen verantwortlich, solange der rechtlich zulässige Rahmen nicht verletzt werde. Der wurde auch im vorliegenden Fall eindeutig nicht verletzt, doch mittlerweile gibt es eben die »Zeitenwende«. Rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht das nicht. Denn der Streit der jW mit der BRD ist bis heute nicht abgeschlossen (siehe Spalte). Zum Zeitpunkt der RBB-Zensurmaßnahme lag noch nicht einmal ein Urteil in erster Instanz vor.
Keine richtige Verhandlung
Im aktuellen Fall geht es nun darum, dass der vertragsbrüchige RBB verlangt, die von ihm teilweise ausgestrahlten Spots bezahlt zu bekommen, während die jW die Ansicht vertritt, dass der Sender seinen Vertragsverpflichtungen nicht nachgekommen sei und daher nicht auf Bezahlung bestehen könne. Der Fall landete am 20. Juni 2025 vor dem Berliner Landgericht. Dort kam es allerdings zu keiner richtigen Verhandlung: Nach wenigen Worten wurde die Sitzung von der Richterin unterbrochen (so die zuständige Richterin) bzw. abgebrochen (so Johannes Eisenberg, Anwalt der jungen Welt). Jedenfalls kam es zu keiner Erörterung des Falles oder Anhörung der beklagten jungen Welt bzw. ihres Verlages. Ein deshalb gestellter Befangenheitsantrag gegen die Richterin wurde abgelehnt. Am vergangenen Freitag teilte sie nun mit: Die junge Welt wird verurteilt, trotz Zensur und Vertragsbruch durch den RBB für die ersten Spots, die noch ausgestrahlt wurden, zu bezahlen und die Kosten des Rechtsstreites zu tragen. Auf die willkürliche Vertragskündigung durch den RBB geht das Urteil nur am Rande ein: Es sei unbeachtlich für den Vergütungsanspruch, ob die Kündigung des Werkvertrages oder der womöglich 40 Werkverträge durch den RBB wirksam sei oder nicht. Die Richterin folgte also vollumfänglich der Argumentation des RBB. Der begründete im Rahmen des Rechtsstreites die Kündigung des Vertrages mit der jungen Welt auch damit, dass der RBB »bei der Erfüllung seines Auftrags der verfassungsmäßigen Ordnung (…) verpflichtet« sei und sicherzustellen habe, »dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen in der Gesamtheit seiner Angebote ausgewogen und angemessen Ausdruck findet«.
Der jW-Werbespot wurde also zensiert, weil die Vielfalt der Meinungen und die Gesamtheit der Angebote im RBB angemessen Ausdruck finden müssen? Für Sebastian Carlens, Geschäftsführer der Verlag 8. Mai GmbH, ist das ein weiteres Beispiel dafür, wie die junge Welt über Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch der Gewerbefreiheit vom Markt verdrängt werden soll. Schließlich habe die Bundesregierung offen erklärt, der jungen Welt den Nährboden entziehen zu wollen. »Dieses Ziel soll wohl sicherheitshalber erreicht werden, noch bevor ein rechtskräftiges Urteil im Rechtsstreit junge Welt gegen die BRD ergangen ist«, so Carlens. Der Verlag werde Berufung gegen das Urteil einlegen.
Mit langem Atem: jW gegen BRD
Seit Jahrzehnten wird die junge Welt im sogenannten Verfassungsschutzbericht des Inlandsgeheimdienstes als das »bedeutendste und auflagenstärkste Medium im Linksextremismus« aufgeführt. Der Zeitung wird so auch im aktuellen Bericht unterstellt, sie strebe »die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung nach klassischem marxistisch-leninistischen Verständnis an«, sei also gar kein journalistisches Produkt, sondern eine aktivistische politische Organisation, die durch Aktivitäten wie die alljährliche Rosa-Luxemburg-Konferenz als politischer Faktor wirke und damit Reichweite schaffe.
Mit Nennung der jungen Welt im Verfassungsschutzbericht zielt die Bundesregierung nach eigenem Bekunden darauf, der Tageszeitung den »Nährboden abzugraben«. In der Tat wird ihr deshalb etwa das Schalten von Werbung an Bahnhöfen, im Personennahverkehr oder öffentlich-rechtlichen Sendern verweigert. Zudem werden Autoren oder Kooperationspartner abgeschreckt.
Deshalb wehrt sich die Verlag 8. Mai GmbH, in der die junge Welt erscheint, mit einer Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht. Doch weil wir es im Rechtsstaat BRD mit bürgerlicher Klassenjustiz zu tun haben, braucht derjenige, der hier gegen den Staat zu seinem Recht kommen möchte, oft nicht nur viel Geld, sondern auch einen langen Atem.
Nach Zurückweisung einer einstweiligen Verfügung im März 2022 durch das Verwaltungsgericht Berlin kam es dort am 18. Juli 2024 – fast drei Jahre nach Klageerhebung – zur Verhandlung in der Hauptsache. Die Klage des Verlags wurde am Prozesstag abgewiesen. Denn die Zeitung sei nicht nur marxistisch, sondern gar marxistisch-leninistisch, behauptete Richter Wilfried Peters unter Verweis auf das KPD-Verbotsurteil von 1956. Peters verstieg sich dabei zu der absurden Behauptung, bereits der von jW geschätzte Lenin habe die – drei Jahrzehnte nach seinem Tod vom Bundesverfassungsgericht formulierte – freiheitliche demokratische Grundordnung in energischster Weise bekämpft. Damit bewarb sich der Richter offenbar um einen neuen Job: Seit Juni ist Peters brandenburgischer Verfassungsschutzchef.
Nach Eingang des schriftlichen Urteils hat der Verlag Antrag auf Zulassung einer Berufung gestellt. Seitdem ist wieder viel Wasser die Spree hinuntergeflossen, doch entschieden wurde bis heute nicht darüber.
Der Verlag hat angekündigt, sich notfalls auf europäischer Ebene gegen die Stigmatisierung durch den Inlandsgeheimdienst zu wehren. Möglich ist ein solches nicht nur kraft- und zeitraubendes, sondern auch teures Verfahren für die junge Welt nur dank der Solidarität und Spendenbereitschaft ihrer Leserinnen und Leser. (nb)
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
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