La lotta continua!
Von Dietmar Koschmieder
Liebe Leserinnen und Leser,
ab kommenden Montag bin ich nicht mehr Geschäftsführer der Verlag 8. Mai GmbH, in der die Tageszeitung junge Welt erscheint. Seit der Gründung des Verlags im April 1995 hatte ich die Ehre und das Vergnügen, in unserem Kollektiv für die damit verbundenen Aufgaben verantwortlich zu zeichnen. Ohne die gewaltigen Leistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter in der Regel schwierigen Bedingungen, aber auch ohne die konsequente Unterstützung durch Leserinnen und Leser unserer Zeitung wäre ihre erstaunliche Geschichte so nicht möglich gewesen.
Die 1947 gegründete Junge Welt wurde im April 1995 eingestellt, weil die damaligen Eigentümer keine Renditechancen mehr erkennen konnten. Unter den drei sich als links bezeichnenden überregionalen Tageszeitungen war die junge Welt damals die mit Abstand kleinste: Das Neue Deutschland verkaufte über Abo und Kiosk 76.000 gedruckte Zeitungen jeden Tag, die Taz 59.000 (siehe IVW zweites Quartal 1995), die junge Welt brachte es auf 18.000 Einheiten, allerdings war ein großer Teil des Abobestands bereits gekündigt. Um in Eigenregie der Belegschaft weitermachen zu können, brauchte es ein tragfähiges ökonomisches Konzept, dessen entscheidender Punkt inhaltliche Überlegungen waren: Es gibt auf dem Medienmarkt noch Platz für eine Tageszeitung mit konsequent marxistischer Orientierung. Die damals CDU-geführte Regierung akzeptierte dies, Sozialminister Norbert Blüm schaltete gar regelmäßig Anzeigen (»Die Rente ist sicher!«). Erst die Sozialdemokraten mit Innenminister Otto Schily kamen auf die Idee, die junge Welt wegen ihrer Inhalte über die Nennung im Verfassungsschutzbericht 1998 anzuprangern. War es im April 1995 noch möglich, dass der Berliner TV-Sender SFB den Geschäftsführer einer linken Zeitung zum »Berliner des Tages« ernannte und ihn das Konzept einer marxistischen Tageszeitung erklären ließ, brach der Berliner ARD-Radiosender RBB im Mai 2022 die Ausstrahlung von bezahlter jW-Werbung mit der Begründung ab, die junge Welt habe wegen der Nennung im Verfassungsschutzbericht die Bundesrepublik Deutschland verklagt. Geändert hatte sich inzwischen nicht das inhaltliche Konzept der Zeitung, sondern die Toleranzfähigkeit eines bürgerlichen Systems, das auf kommende Kriege setzt und dazu angepasste Medien braucht. Erst in dieser Woche verweigerte ein großer Mediendienstleister die Zusammenarbeit mit der jungen Welt – mit der Begründung, die Zeitung habe den Prozess gegen die BRD in erster Instanz verloren. Was die nicht wussten: Der unabhängige Richter, der dem Inlandsgeheimdienst in allen Punkten recht gab, wurde kurz danach dessen Leiter in Brandenburg. Unser Kampf geht auch an dieser Stelle weiter!
Aber auch intern blieb die marxistische Orientierung der Zeitung nicht ohne Widerspruch. So versuchte 1997 ein Teil der Redaktion eine Kurskorrektur durchzudrücken und setzte am 50. Jahrestag der Gründung der Jungen Welt am 12. Februar auf die jW-Titelseite einen Lenin mit Narrenmütze. Der Putsch scheiterte, ein Teil der Kolleginnen und Kollegen gründete die bellizistische Wochenzeitung Jungle World, fanden bei bürgerlichen Zeitungen und Institutionen neue Heimat – wenn sie nicht, wie ihr damaliger antideutscher Anführer Jürgen Elsässer, nach ganz rechtsdeutsch abgerutscht sind. Die erste Nennung der jW im Verfassungsschutzbericht 1998 bezieht sich übrigens ausdrücklich auf diesen Klärungsvorgang.
Die junge Welt ist auch heute noch das, was sie seit 1949 positiv ausmacht: Sie ist dem Kampf für Frieden und Gerechtigkeit verpflichtet, setzt sich für internationale Solidarität ein, nutzt zum Erkennen von Welt, zum Erklären von Widersprüchen marxistisches Handwerk, ohne aber wie bis 1989 Zentralorgan zu sein: Sie macht journalistische Angebote, die von den Leserinnen und Lesern aktives Mitwirken erfordern. Das beginnt schon damit, dass sie sich die Texte erarbeiten und sich mit ihnen auseinandersetzen sollten (Jürgen Kuczynski: »Ich lese die junge Welt nicht. Ich studiere sie«). Solche Kulturtechniken kommen zwar immer mehr aus der Mode, aber ohne sie sind Aufklärung und Erkenntnis, erfolgreicher Widerstand und progressive Veränderungen nicht möglich. Gute Gründe, warum man die junge Welt nicht nur täglich nutzen, sondern auch an ihrer Verbreitung mitwirken sollte. Und einer der Gründe, warum sich Verlag, Redaktion und Genossenschaft der jungen Welt für den Erhalt einer gedruckten Tageszeitung starkmachen – ohne die Möglichkeiten zu vernachlässigen, die digitale Schienen für das Bekanntmachen der Zeitung und das Nutzen ihrer Inhalte eröffnen. Heute verkauft die junge Welt im Schnitt 21.500 Einheiten jeden Tag, die Taz gibt es nicht mehr als gedruckte Tageszeitung (im Oktober hatte sie noch 14.000 Printvollabos), auch das ND (ehemals Neues Deutschland) will diesen Weg gehen und hat mittlerweile keine 10.000 Printvollabos mehr.
Ab kommenden Montag werde ich also nicht mehr Geschäftsführer der Tageszeitung junge Welt sein. Eine Zeitung, die sich gegen Kriegsgeschrei und Hochrüstung verbunden mit dem Abbau demokratischer und sozialer Rechte positioniert, eine Zeitung, die sich auf die Seite der Ausgebeuteten überall auf der Welt stellt, eine Zeitung, für die Deutschland und Europa nicht Mittelpunkt der Welt sind, wird heute dringender denn je gebraucht. Darum werden mein Kollege Peter Borak, der die Geschäftsführung als Stellvertreter unterstützt hat, und ich als Verlagsmitarbeiter mit besonderen Aufgaben die junge Welt und andere Aktivitäten des Verlags mit unserem Engagement und unserer Erfahrung unterstützen. Die neuen Geschäftsführer Jonas Pohle und Sebastian Carlens kenne ich aus jahrelanger guter Zusammenarbeit und bitte alle, sie in ihrer Arbeit bestmöglich zu unterstützen und ihnen volles Vertrauen entgegenzubringen.
Für die vielfältige Unterstützung, die wir von Mitarbeitenden und Autoren, Geschäftspartnern, Freunden und Unterstützern national wie international erfahren haben, möchte ich mich, auch im Namen von Peter Borak, herzlich bedanken. La lotta continua!
Siehe auch
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
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