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Aus: Frieden statt Nato, Beilage der jW vom 10.01.2015

Armee für den »Durchschnittskrieg«

Berlin macht Druck: SPD und CSU legen Konzepte für die zukünftige militärische Arbeitsteilung zwischen EU und NATO bei Interventionen vor
Von Jörg Kronauer
Sarajewo, 30. Mai 2007: Bundeswehrsoldaten der EUFOR-Truppe für
Sarajewo, 30. Mai 2007: Bundeswehrsoldaten der EUFOR-Truppe für Bosnien bei der Zeremonie, mit der Luftwaffenoberst Rudolf Giegeling das Kommando über das deutsche Kontingent übernahmmmando des

Die CSU drängelt. Sehr bedauerlich sei es, dass sich die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU so »langsam« entwickele, heißt es in einem Positionspapier, das die CSU-Landesgruppe für ihre Klausurtagung in Wildbad Kreuth diese Woche vorbereitet hatte. Da nehmen die Krisen, Konflikte und Kriege weltweit zu wie schon lange nicht mehr, und die EU steckt mit ihren militärischen Planungen fest, anstatt zu intervenieren? Nicht mit der CSU! Es soll endlich vorwärtsgehen mit der gemeinsamen Militärpolitik, verlangen die Bundestagsabgeordneten der Partei. Man kann ja wohl nicht endlos auf den nächsten Militäreinsatz warten.

Die Zeit ist aus deutscher Perspektive durchaus günstig für neue militärpolitische Initiativen der EU. ISAF, der große, kräftezehrende Einsatz auch der Bundeswehr in Afghanistan ist zu Ende, wird nun zwar als »Resolute Support Mission« (RSM) im NATO-Rahmen fortgeführt, hat aber einen deutlich geringeren Umfang. Wenn jetzt nicht mehr – wie zu Spitzenzeiten – um die 8.000 deutsche Soldaten weltweit im Einsatz sind, sondern nur noch rund 2.700, liegt das nicht zuletzt daran, dass die Bundeswehr bei RSM auf eine Obergrenze von 850 Soldaten beschränkt ist. Langfristig setzt das Kräfte frei. Mit KFOR sind immer noch mehr als 700 deutsche Militärs im Kosovo im Einsatz, doch sind dort keine umwälzenden Entwicklungen zu erwarten. Und »Operation Active Endeavour« (OAE), den NATO-Einsatz der Marine im Mittelmeer, würde Berlin in seiner gegenwärtigen Form sogar gerne beenden.

Dafür entwickeln sich mittlerweile die Einsätze im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU dynamisch. So wurde 2013 die »European Union Training Mission Mali« in Afrikas Nordwesten gestartet. An der EUTM Somalia in Mogadischu beteiligt sich die Bundeswehr seit April 2014 wieder. Im April ist zudem EUFOR RCA gestartet, der EU-Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik. Daneben wird EU- NAVFOR/»Atalanta«, die Marineoperation vor dem Horn von Afrika, auf lange Sicht fortgesetzt. »Atalanta« sichert strategisch hochwichtige Seewege, die nicht nur zu den Rohstoffquellen des Mittleren Ostens, sondern auch zu den Märkten Ostasiens führen, weshalb sie aus Sicht der Bundesregierung von größter Bedeutung sind. Gerne übersehen wird, dass »Atalanta« schon seit Jahren ganz bewusst von der EU betrieben wird, obwohl das aus westlicher Gesamtperspektive die knappen Ressourcen unnötig strapaziert: Die NATO ist mit ihrer Operation »Ocean Shield« im selben Gebiet und zum selben Zweck im Einsatz — ein deutlicher Hinweis auf die innerwestliche Konkurrenz.

Die EU hatte bereits auf ihrem Brüsseler Gipfel vom 19. und 20. Dezember 2013 beschlossen, die Weiterentwicklung der GSVP energisch voranzutreiben. Das Spitzentreffen war das erste seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009, das sich schwerpunktmäßig der sogenannten Sicherheits- und Verteidigungspolitik widmete. Vor allem die Bundesregierung erhoffte sich von ihm neue Fortschritte, nachdem die EU-Militärpolitik einige Jahre lang nicht im gewünschten Maß vorangekommen war. Damals hielt der Europäische Rat ausdrücklich fest, »im Rahmen der GSVP« seien »gegenwärtig« – also Ende 2013 – »über 7.000 Personen in zwölf zivilen Missionen und vier militärischen Operationen im Einsatz«. Ungefähr 2.800 davon waren Soldaten. Auf dem Gipfeltreffen beschloss die EU eine »Erhöhung der Wirksamkeit, öffentlichen Wahrnehmung und Wirkung der GSVP«, eine »Intensivierung der Fähigkeitenentwicklung« und die »Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie«. Auf dem Europäischen Rat im Juni 2015 sollen dann, so hieß es, die »tatsächlichen Fortschritte« bewertet und »weitere Handlungsempfehlungen« ausgesprochen werden.

Berlin macht jetzt Druck. »Wir streben einen immer engeren Verbund der europäischen Streitkräfte an, der sich zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann«, heißt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vom Dezember 2013. »Die Europäische Armee als Ziel« finde sich inzwischen »sogar im CDU-Wahlprogramm für die Europawahl«, freute sich der Kieler SPD-Militärpolitiker Hans-Peter Bartels, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, im April 2014. »Immer häufiger fällt das Schlagwort ›Europa-Armee‹«, beobachtete Tagesthemen-Redakteur Christian Thiels im Juli 2014. Im November meldete sich dann erneut Bartels zu Wort. »Das langfristige politische Ziel« sei »eine Europäische Armee«, bekräftigte er im Behörden-Spiegel. »Natürlich wird sich die Idee einer integrierten europäischen Armee nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen lassen«, räumte er ein und fuhr fort: »Das Thema wird auch weiterhin Gegenstand kontroverser Diskussionen sein. Aber sie müssen geführt werden.«

Nun denn – sie werden geführt, nicht zuletzt dank der SPD und der Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik ihrer Bundestagsfraktion mit dem designierten Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels und ihrem Vorsitzenden Rainer Arnold. Arnold hat Anfang Dezember 2014 gemeinsam mit dem SPD-Europaabgeordneten Arne Lietz ein »Positionspapier zur Europäisierung der Streitkräfte« vorgestellt, das erkennen lässt, wie die Sozialdemokraten die Chancen gerne nutzen würden, die sich durch den Rückbau von ISAF eröffnen. »Bis heute« seien im Rahmen der GSVP »wichtige Ziele nicht erreicht« worden, wird in dem Dokument bemängelt. So seien zum Beispiel »die Helsinki Headline Goals aus dem Jahr 1999, innerhalb von 60 Tagen mit bis zu 60 Tausend Soldaten wirken zu können, (...) nie realisiert« worden. Auch seien »die EU-Battlegroups (...) wenig praktikabel und binden unnötig Kräfte«. Die SPD-Politiker machen Vorschläge, um mit der EU nun endlich auch militärisch voranzukommen. Schließlich sei »deutsche Außen- und Sicherheitspolitik (...) nach unserem sozialdemokratischen Verständnis Friedenspolitik«.

Deutscher Soldat der Fregatte »Karlsruhe« an einem Maschinengewe
Deutscher Soldat der Fregatte »Karlsruhe« an einem Maschinengewehr vor dem Hafen von Dschibuti, 23. Dezember 2008. Das Kriegsschiff nimmt an der Antipiratenaktion der EU teil

Aus ihrem »sozialdemokratischen Verständnis« von Friedenspolitik heraus schlägt die SPD-Arbeitsgruppe in ihrem Positionspapier nun eine Reihe bemerkenswerter Maßnahmen vor. So soll es in Zukunft, geht es nach ihr, im Europaparlament einen Verteidigungsausschuss geben. Dieser würde Themen behandeln, die bislang ausschließlich in der Kompetenz der einzelnen EU-Staaten liegen – schließlich geht es dabei um Fragen von Krieg und Frieden. Außerdem sprechen sich die SPDler für die »Bildung eines eigenständigen Ministerrats für Militärfragen in der EU« aus. Sie wollen ein gemeinsames Weißbuch des Bündnisses zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik erarbeiten lassen und fordern die »Schaffung einer Europäischen Militärakademie oder -universität«.

Darüber hinaus plädieren sie nicht nur dafür, ein entsprechendes Befehlszentrum für die Marine in der Ostsee zu etablieren, sondern auch für die »Einrichtung eines ständigen militärischen Hauptquartiers der EU mit allen Führungsgrundgebieten«. Was soll das bringen? »Vorteil wäre die ständige Einsatzbereitschaft sowie die zentrale Planung und Durchführung der Einsätze inklusive einer Analysefähigkeit.« Wenn man ständig lossschlagen können will, dann muss man fleißig trainieren: »Um die Zusammenarbeit der verschiedenen Streitkräfte weiter zu verbessern, sollte die Zahl gemeinsamer europäischer Manöver und Übungen weiter erhöht werden.« Die SPD hat dabei eine eigenständige Rolle der EU neben dem Nordatlantikpakt im Visier. »Die NATO ist der Kompetenzträger zur Lösung von Konflikten hoher Intensität«, heißt es in ihrem Positionspapier: »Für Herausforderungen im Spektrum mittlerer und niedriger Intensität verfügt jedoch nach unserer Überzeugung die EU über bessere Lösungsmittel.«

Wird in nächster Zeit also die NATO die härtesten Kampfeinsätze übernehmen, während die EU sich – vorläufig – auf »durchschnittliche« Kriege beschränkt? Man wird's sehen. »Wir als Sozialdemokraten«, schreibt jedenfalls die Militärpolitik-Arbeitsgruppe der SPD, »wollen in Europa die treibende Kraft auf dem Weg zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee sein und diesen konsequent beschreiten.« Die SPD als Vorreiter bei der Militarisierung? Das kann die CSU natürlich nicht auf sich sitzen lassen. »Die Europäer« könnten die Krisen der Gegenwart »nur gemeinsam meistern«, heißt es in dem Positionspapier, das ihre Landesgruppe vor ihrer Kreuther Klausur durchsickern ließ. Die GSVP müsse also gestärkt werden. Und: »Die EU sollte anstreben, im Einzelfall auch ohne direkte Unterstützung der USA handlungsfähig zu sein.« Geht es nach diesen CSU-Politikern, darf die NATO keinesfalls ein Monopol auf Kriege haben.

Jörg Kronauer ist Außenpolitikexperte und jW-Autor

Im Dezember 2014 erschien von ihm der Band: Ukraine über alles!: Ein Expansionsprojekt des Westens. KVV »konkret«, Hamburg 2014, 216 Seiten, 19,80 Euro

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