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Aus: Ausgabe vom 16.01.2024, Seite 11 / Feuilleton
Sozialwissenschaften

Reemtsma macht Schluss

Das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) soll nach Willen seines Gründers, Mäzenen und langjährigen Direktors Jan Philipp Reemtsma (71) in vier Jahren aufgelöst werden. Das teilten der aktuelle Institutsdirektor Wolfgang Knöbl (60) und Reemtsma als Stiftungsvorstand am Montag in einer gemeinsamen Aussendung mit. Begründet wird der Schritt mit dem besonderen Charakter der Forschungsinstitution: Diese habe, da sie seit ihrer Gründung 1984 ausschließlich aus dem Privatvermögen des Multimillionärs Reemtsma finanziert werde, ihre Forschungspolitik unabhängig gestalten können. Mit dem Ende von Knöbls Amtszeit 2028 sei dieses Modell »aus Altersgründen nicht mehr möglich«. Angesichts des dann nicht eben greisenhaften Alters beider, erscheint ein anderer Grund glaubwürdiger: »Da es nicht die Intention des Stifters war noch ist, ein beliebiges sozialwissenschaftliches Institut unter der Leitung oder Observanz irgendeiner anderen Forschungseinrichtung zu gründen, wird das Hamburger Institut für Sozialforschung im Jahre 2028 seine Arbeit einstellen«, heißt es in der Mitteilung. Auch der Verlag Hamburger Edition und die Hauszeitschrift Mittelweg 36 würden dann liquidiert. Nämliches dürfte für das Onlineportal Soziopolis und das öffentliche Archiv gelten.

Unter Reemtsmas Leitung hatte das Institut seine Arbeitsweise mehrfach geändert: So wurde der Direktor in den ersten Jahren noch von einem fünfköpfigen Beirat unterstützt, zu dem auch die trotzkistischen Wissenschaftler Helmut Dahmer und Ernest Mandel zählten. Wegweisend wurde die von dem Historiker Hannes Heer angestoßene und mitkuratierte Wanderausstellung des HIS über Verbrechen der Wehrmacht, die ab 1995 zu sehen war. Sie löste eine rege öffentliche Debatte aus und half, in der bundesdeutschen Öffentlichkeit die geschichtsklitternde Legende von der »sauberen Wehrmacht« als solche kenntlich zu machen. In den folgenden Jahren profilierte sich das Institut vor allem mit interdisziplinären Beiträgen zur Gewaltforschung. Aktuell existieren die Forschungsgruppen »Demokratie und Staatlichkeit«, »Makrogewalt«, »Monetäre Souveränität« und »Rechtssoziologie«. Über die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter wurde keine Auskunft gegeben. (pm)

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