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Aus: Ausgabe vom 06.11.2023, Seite 1 / Inland
Antisemitismus in Deutschland

Mehr rechte Übergriffe auf KZ-Gedenkstätten

Berlin. Die KZ-Gedenkstätten in der BRD registrieren immer mehr faschistische Übergriffe. »Vandalismus durch Hakenkreuzschmierereien, Beschädigungen von Gedenktafeln oder Leugnung der NS-Verbrechen stellen ein Problem in einer ernsthaften Dimension dar«, sagte Oliver von Wrochem, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland, der Neuen Osnabrücker Zeitung vom Sonnabend. Viele Einrichtungen hätten mit strengeren Hausordnungen reagiert. Wer verbotene Symbole trage, sich offen antisemitisch oder geschichtsrevisionistisch äußert, werde des Geländes verwiesen. Derartige Vorfälle würden zur Anzeige gebracht. »Oft wird aber sehr subtil agiert«, sagte von Wrochem, indem etwa Fragen zur Geschichte gestellt werden, »die suggerieren, es habe den Holocaust nicht gegeben, oder die die NS-Verbrechen relativieren«. (dpa/jW)

  • Leserbrief von Rainer Döhrer aus Barchfeld/Werra (7. November 2023 um 16:20 Uhr)
    Es ist eine miserable Nachricht, dass in Deutschland die KZ-Gedenkstätten immer häufiger faschistischen Übergriffen ausgesetzt sind. Der Sprecher der KZ-Gedenkstätten in Deutschland verfügt unzweifelhaft über einen exakten Überblick über dieses widerliche Treiben an und in den Stätten des Leidens, der millionenfachen Freiheitsberaubung, der qualvollen Folterungen und Morde.
    Mein erster Besuch in der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald im März des Jahres 1960 ist mir noch heute in einigen Phasen gegenwärtig. Die Eisenhaken im Hinrichtungskeller, an ihnen wurden Häftlinge lebendig gehängt und durch SS-Angehörige stundenlang zu Tode gequält, und gelegen unter dem Lagerkrematorium, gehören bis heute dazu. Und stets bei den Besuchen seither und über sechs verflossene Jahrzehnte hinweg nähere ich mich mit den Gedanken und der Beklommenheit von damals.
    Seither habe ich jede Gedenkstätte für die Opfer und die Geschundenen des Naziterreors 1933 bis 1945, ob im Inland oder im Ausland, mit großer Ehrfurcht betreten. Manchmal, da immer wieder über solche Beschädigungen Nachrichten erfolgen müssen, stelle ich mir die bisher nicht restlos beantwortete Frage: Gibt es eine so hohe Zahl der Angriffe in den Gedenkstätten der Nazikonzentrationslager auch in Tschechien, Polen oder Österreich? Und natürlich suche ich nach Gründen dafür. Überzeugendes und umfangreiches Wissen wäre bestimmt eine Garantie dafür, jedenfalls bei sehr, sehr vielen Menschen, besonders Jugendlichen und Heranwachsenden.
    Ein krasses Gegenstück dazu stach mir in diesem Jahr in meinem Heimatdorf in Südthüringen regelrecht in die Augen, als ich eines Morgens eine Tageszeitung las. Die berichtete fast ganzseitig unter einer zeitgeschichtlichen Überschrift über jene Lesung aus einem Manuskript, zu der man wenige Tage zuvor unter dem Titel »Von Diktatur zu Dihtatur« eingeladen hatte. Auch Buchenwald wurde an diesem Abend in der Lesung erwähnt. Und Buchenwald kam im umfangreichen Pressebericht vor. Mit einem Satz. Und der Zeitungsleser erfuhr in diesem Satz: »Dass nach Kriegsende das Konzentrationslager Buchenwald durch Russen und Kommunisten weiterbetrieben und politische Missliebige dort inhaftiert wurden, wissen bis heute wenige Menschen.«
    Am Tag nach der faschstischen Pogromnacht vor 85 Jahren wurden massenhaft jüdische Männer auch aus Südthüringen, beispielsweise aus Stadtlengsfeld, Geisa und meinem Heimatort in das KZ Buchenwald deportiert. Bereits im Juli 1937 hatten viele politische Häftlinge, allesamt gestandene Widerstandskämpfer gegen die Nazidiktatur und besonders viele Kommunisten und Sozialdemokraten darunter, wochenlang und Tag wie Nacht unter freiem Himmel und strengster SS-Bewachung, auf dem steinigen Hang des Etterberges Baumrodungen, manuelle Ausschachtungen, Zimmererarbeiten und Transportarbeiten für die schnellstmögliche Errichtung des KZ Buchenwald in Sklavenarbeit verrichtet. Wenn ich diese Woche wieder zum Gedenken auf den Jüdischen Friedhof in meinem Heimatdorf dabei bin, wird mir auch der Hinrichtungskeller und das Krematorium im ehemaligen KZ Buchenwald in Erinnerung vom ersten Besuch dort im Jahre 1960 sein.
    Und vielleicht treffe ich auch wieder den einen oder anderen Klassenkameraden, der im März 1960 auch dabei war. Es war eine Jugendstundenfahrt, drei Wochen vor unserem Fest und die Jugendstundengruppe war fast die gesamte 8. Klasse unserer Heinrich-Heine-Oberschule Barchfeld (Nach dem Besuch auf dem Ettersberg: Gemeinsames Mittagessen im »Russischen Hof« mit Herrn Völkert, dem Jugendstundenleiter und Herrn Wagner, unserem Klassenlehrer; anschließend brachte uns der Bus »Garant 30«, sicher von Herrn Kannegießer gesteuert zurück in das Werratal. Auch das wollte ich unbedingt erwähnen!).