Gegründet 1947 Freitag, 26. April 2024, Nr. 98
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 01.11.2011, Seite 3 / Schwerpunkt

»Occupy« Berlin: Leicht esoterisch

Mehrere tausend Menschen haben am vergangenen Sonnabend in Berlin erneut gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Bevölkerung demonstriert. Zielpunkt des von einem Bündnis organisierten Zuges sollte eigentlich der Reichstag sein, doch nahe des Brandenburger Tors versperrte die Polizei mit einem Großaufgebot den Weg. Daraufhin löste sich der Marsch auf, und in kleinen Gruppen zog man an den Sperren vorbei durch die Innenstadt, manche nach Hause, andere in Richtung Parlamentssitz. Am Brandenburger Tor hatten sich zugleich Aktivisten der »Occupy«-Bewegung versammelt, die dort ihre für Außenstehende leicht esoterisch wirkenden Kommunikationsformen zelebrierten. Die Teilnehmer wurden eingeladen, einen Spaziergang durch den Tiergarten zu machen, um sich die Sehenswürdigkeit Reichstag anzusehen. Natürlich sollten alle zueinander genügend Abstand halten, damit die Touristen mit gleichem Ziel nicht behindert wurden. Schließlich versammelten sich Hunderte Menschen bei strahlend blauem Himmel auf der Wiese vor dem Reichstag. Die Polizei war sichtlich überfordert mit der gewählten Aktionsform. Um das erneute Errichten eines Protestcamps zu verhindern, versuchten Gruppen von Uniformierten, all jene Menschen, die es wagten, sich auf die Wiese zu setzen, wieder hochzuscheuchen.

Schließlich versammelten sich die »Occupy«-Demonstranten zu ihrer Kundgebung, die sie in Anlehnung an die spanischen Empörten »Asamblea« nennen. Nachdem an manchen Orten der Einsatz von Megaphonen verboten worden war, hat sich bei diesen Aktionen das »lebende Mikrofon« durchgesetzt: Der Redner sagt, was er zu sagen hat, und alle wiederholen es im Chor. Mehr oder weniger effizient, aber kaum nachvollziehbar für Zuschauer. »Was beten die denn da?« fragte ein Tourist, der wegen der um die sitzenden Asamblea-Teilnehmer herumstehenden Kamerateams nicht näher herankam.

Tatsächlich wurde vor allem diskutiert, über was man eigentlich diskutieren wolle. Auf gemeinsame konkrete Forderungen hat sich die junge Bewegung noch nicht einigen können. Dafür singt man zusammen immer wieder das »Asamblea-Lied«: »Ich sehe offene Augen, offene Herzen./Wir teilen unsere Liebe, unsre Wut und unsere Schmerzen …« (scha)

www.occupyberlin.de

Regio:

Mehr aus: Schwerpunkt