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Aus: Ausgabe vom 12.05.2006, Seite 2 / Inland

Gürtel noch enger schnallen?

Paritätischer Wohlfahrtsverband warnt vor dramatischer Zunahme der Armut
Presseberichten zufolge wollen Haushaltspolitiker von Union und SPD die Leistungen für Langzeitarbeitslose kürzen. Im Gespräch sei die Abschaffung des befristeten Zuschlags, den Erwerbslose zwei Jahre lang erhalten, wenn sie vom regulären Arbeitslosengeld ins Arbeitslosengeld II wechseln, berichtete die Financial Times Deutschland am Donnerstag unter Berufung auf Koalitionskreise. Hätte bisher nur die Union auf Leistungskürzungen gedrungen, die über das bereits vorliegende »Hartz-IV«-Optimierungsgesetz von Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hinausgingen, schließe nun auch die SPD Streichungen nicht mehr aus, meldete die Zeitung unter Berufung auf »Kreise der SPD-Haushälter«.

Mit Blick auf die neuen Streichungsvorschläge warnte der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) am Donnerstag vor einer weiteren dramatischen Verschärfung der sozialen Spaltung. »Die Belastungsgrenze gerade der einkommensschwachen Menschen ist vielfach überschritten. Wer den Gürtel der Ärmsten einseitig immer noch ein Stück enger schnallen will, der hat den Blick für die sozialen Realitäten in unserem Land schon verloren«, erklärte
DPWV-Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider in Berlin. Wer behaupte, daß der befristete Zuschlag einen Fehlanreiz darstelle, argumentiere zynisch. In vielen Teilen des Landes stünden einer offenen Stelle bis zu 50 Erwerbssuchende gegenüber. Nicht die Arbeitsbereitschaft der Erwerbslosen, sondern der Mangel an Arbeitsplätzen sei das Problem. Die hohe Zahl von über 800 000 Menschen, die ergänzend zu einer Erwerbstätigkeit auf Sozialleistungen angewiesen seien, belege dies.


Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wären von der Streichung der Zuschläge aktuell mehr als 400 000 Leistungsbezieher betroffen. Mit ihren Familienangehörigen handelt es sich um über 700 000 Menschen, darunter mehr als 200 000 Kinder. Die Quote derer, die in Deutschland auf Sozialhilfeniveau leben müssen, würde voraussichtlich schlagartig um einen Prozentpunkt auf 9,7 Prozent anwachsen. Bei den Kindern stiege die Armutsquote sogar um fast zwei Prozentpunkte auf 15,9 Prozent.

»Es kann nicht gewollt sein, immer mehr Kinder in die Armut zu treiben und die Gesellschaft immer tiefer zu spalten. Wir haben es bereits jetzt mit einer dramatischen Situation sozialer Zerissenheit zu tun«, mahnte Schneider. Der DPWV-Chef verwies auch darauf, daß die Ausgabensteigerungen für Arbeitslosengeld II vor allem auf die hohe Zahl von Arbeitslosen, nicht auf die Höhe der einzelnen Leistungen zurückzuführen sei. Noch am 4. Mai 2006 habe Staatssekretär Gerd Andres dies mit Verweis auf Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ausdrücklich bestätigt. (jW)