Gegründet 1947 Sa. / So., 20. / 21. April 2024, Nr. 93
Die junge Welt wird von 2767 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 02.05.2011, Seite 12 / Feuilleton

Zwei Freigeister

Mit zwei musikalischen Freigeistern setzte das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) unter der Leitung von Marek Janowski seine Trilogie mit Violinkonzerten aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts am Freitag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt fort. Zum Auftakt gab es mit »A Symphonie – New England Holidays« von Charles Yves, ein vierteiliges (und nicht -sätziges) Orchesterwerk, welches zwar alles andere als eine Symphonie ist, aber – basierend auf volkstümlicher US-Radaumusik von Zirkus bis Militärkapelle – den Ideenreichtum des Spaßkomponisten eindrucksvoll demonstrierte. Yves – als Chef einer florierenden Versicherungsgesellschaft finanziell unabhängig – schrieb abseits gängiger Stile und Moden was er wollte und zelebrierte auch gerne die Lust an der Dissonanz, z.B. mit einer quälenden, tonartfremden kleinen Terz, die wie ein Kobold über über dem teilweise pathetischen Rumtata tanzt, um dann von einem polyphonen Schmetterchor verdrängt zu werden. Als roter Faden dienen die vier Jahreszeiten und ihre typischen Feste. Mit hörbarem Spaß geschrieben und ebenso vom RSB dargeboten und mit Sicherheit ein Grund, wieder mal ein bißchen mehr Yves zu hören.

Auch das anschließende Konzert für Violine und Orchester op. 14 von Samuel Barber hat einen hohen Spaßfaktor. Ganze 22 Minuten dauert das rasante, dreisätzige Werk, das seinen neoromantischen Duktus nicht verleugnet, aber diesem »altmodischen« Kompositionsstil durch extreme Stilisierungen und Komprimierungen einen völlig neuen, ausgesprochen luftigen Ausdruck verleiht. Die lyrischen Melodien münden in ein rasendes Finale, welches wohl geeignet ist, unter den Sologeigern die Spreu vom Weizen zu trennen. Gil Shaham muß nicht mehr beweisen, daß er zur letzteren Kategorie gehört, tat es aber dennoch auf eindrucksvolle Weise.Wenn die die sogenannte ernste Musik nicht auch diese Spielart hätte, wäre sie wohl ziemlich langweilig. Nachzuhören ist das alles am 15.Mai um 20 Uhr im Kulturradio des RBB. (balc)

Mehr aus: Feuilleton