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Aus: Ausgabe vom 28.06.2025, Seite 8 / Ansichten

Disharmonie in Brüssel

EU-Gipfel ohne wesentliche Beschlüsse
Von Jörg Kronauer
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Fahnen der EU-Mitglieder im Gebäude des Europäischen Rats in Brüssel

Wer sich einen Eindruck vom Zustand der EU verschaffen will, kann ganz einfach einen knappen Blick auf die Ergebnisse des jüngsten EU-Gipfels werfen. Außenpolitisch zentrale Themen standen auf dem Programm – das Vorgehen gegen Russland, die Positionierung gegenüber Israel, um die zwei bedeutendsten zu nennen. Was wurde beschlossen? Nicht viel. Mit Ach und Krach gelang es, die bisherigen Russland-Sanktionen zu verlängern; das muss alle sechs Monate getan werden. Dann stockte es beim neuen Sanktionspaket – dem bereits achtzehnten. Als die EU im Jahr 2022 begann, ein drittes, gar ein viertes Sanktionspaket nachzulegen, weil die ersten nicht wie gewünscht wirkten, scherzten manche, irgendwann sei wohl mit einem zwölften, einem fünfzehnten Paket zu rechnen. Inzwischen hat die Realität die Satire überholt. Aber irgendwann ist Schluss. Die Slowakei hat gegen das achtzehnte Paket, das der EU-Gipfel beschließen sollte, ihr Veto eingelegt.

Der Grund ist aufschlussreich. Weil es der EU nicht gelingt, Ungarn und die Slowakei zur freiwilligen Aufgabe ihrer Öl- und Gasimporte aus Russland zu veranlassen – Sanktionen, die das vorsähen, könnten die beiden Staaten per Veto verhindern –, sucht sie dies nun per Gesetz mit einfachem Mehrheitsbeschluss zu tun. Bratislava will jetzt das achtzehnte Sanktionspaket per Veto stoppen, bis die EU ihren Angriff auf die slowakische Öl- und Gasversorgung einstellt. Ein Patt? Abwarten. In Berlin kursieren Überlegungen, EU-Sanktionen künftig ebenfalls per einfacher Mehrheit zu beschließen. Findige Juristen wollen entdeckt haben, dass sich das rechtlich begründen lässt. Was dann? Wer annimmt, Ungarn und die Slowakei könnten in diesem Fall einfach einknicken, verkennt die Lage. Der Druck, der sich im europäischen Kessel unter dem Deckel der Brüsseler Dominanz aufgebaut hat, nimmt zu. Fällt das Veto flach, wird er sich ein neues Ventil suchen. Die Spannungen würden dann weiter steigen.

Und das ist ja nicht das einzige Problem. Einigen EU-Staaten – Irland und Spanien etwa – brennt der Gazakrieg auf den Nägeln. Zwingen Israels offensichtliche Menschenrechtsverletzungen nicht dazu, das Assoziierungsabkommen mit dem Land auszusetzen? Die Bundesregierung kann in Gaza keine gravierenden israelischen Verbrechen erkennen, legt also ihr Veto ein. Zur Uneinigkeit kommt äußerer Druck hinzu. In Kürze werden die USA die Zölle wieder in Kraft setzen, die sie im April für 90 Tage ausgesetzt hatten. Eine Lösung, die das verhindern könnte, ist nicht in Sicht. Wenigstens konnte sich der EU-Gipfel einigen, Bulgarien großzügig die Einführung des Euro zum 1. Januar 2026 zu erlauben. Ein Harmonietröpfchen im Meer des Streits? Nun ja: Ein Drittel der bulgarischen Bevölkerung findet den Euro klasse, mehr als die Hälfte aber lehnt die Einführung ab und protestiert. Bundeskanzler Friedrich Merz hantierte am Dienstag im Bundestag protzig wie Donald mit dem stolzen Wort »Stärke«. Die sähe anders aus.

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