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Aus: Ausgabe vom 12.04.2025, Seite 11 / Feuilleton

Der Tod in Venedig

Mit Thomas Mann durchs Jahr
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Der sitzt

Kommt ein alter Künstler nach Venedig

und sieht dorten einen jungen Mann,

denn das Schicksal ist bisweilen gnädig

und hält unsere Stunden einmal an.

*

Alte Kälte ist sogleich vergessen,

und ein leerer Platz ist nun besetzt.

Leicht lässt sich der süße Schock ermessen,

wenn uns Schönheit tief im Kern verletzt.

*

Doch der junge Mann ist fast noch Knabe,

und der alte ist kein Päderast;

also bleibt der Honig in der Wabe,

unversehrt der bürgerliche Ast.

*

Aber Sehnsucht hat sehr treue Kunden,

und wer liebt, der opfert sein Gesicht.

Und der Alte, ohne zu gesunden,

lernt: Sie ist der Tod; und eben nicht.

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