Krieg unterbrochen
Von Knut MellenthinSeit dem frühen Mittwoch morgen, vier Uhr Ortszeit, soll an der israelisch-libanesischen Grenze eine 60tägige Waffenruhe eingehalten werden. Sie würde, falls sie sich stabilisiert, einen Krieg zumindest unterbrechen, den vor allem die israelische Luftwaffe in den letzten zwei Monaten mit ungeheurem Zerstörungs- und Tötungswillen geführt hat. Nach Angaben der libanesischen Gesundheitsbehörden wurden mehr als 3.760 Menschen getötet, 15.700 weitere verletzt und über eine Million zur Flucht aus ihren Wohnungen gezwungen.
Die israelischen Streitkräfte behaupten, 80 Prozent der Führungsstruktur der Hisbollah »ausgeschaltet« zu haben. Das größte Aufsehen machte die Ermordung des Generalsekretärs der Partei, Hassan Nasrallah, beim Einsatz mehrerer superschwerer Sprengladungen gegen ein Hauptquartier der Hisbollah am 27. September. Nicht allgemein wahrgenommen wurde, dass die Verhandlungen über eine Einstellung der Kämpfe schon damals weit vorangeschritten waren und durch die gezielte Tötung Nasrallahs einen erheblichen Rückschlag erlitten, was zu diesem Zeitpunkt wohl auch beabsichtigt war.
Ob die am Mittwoch in Kraft getretene Waffenruhe und die damit verbundenen Vereinbarungen Bestand haben, kann erst die Zukunft zeigen. Am Dienstag flog die israelische Luftwaffe nochmals schwere Angriffe auf angebliche »militärische Ziele«. Israelische Kampfflugzeuge und Bodentruppen griffen außerdem an mehreren Orten im Südlibanon Flüchtlinge und Vertriebene an, die in ihre Häuser und Wohnungen zurückzukehren versuchten. Die übliche, nicht nachprüfbare Begründung: In den Menschenmengen seien auch Hisbollah-Kämpfer versteckt gewesen. In einem Fall berichteten israelische Medien von »Warnschüssen« auf Fahrzeuge Geflüchteter auf dem Heimweg, in anderen Fällen auch von Verletzten.
Die Abmachungen geben den israelischen Truppen volle 60 Tage Frist bis zum Abschluss ihres Rückzugs von libanesischem Boden. Am Mittwoch hielten sie ihre Stellungen und verboten »Bewegungen« in deren Umgebung. Einen vereinbarten Zeitplan für den Abzug der Israelis und das Nachrücken regulärer libanesischer Armeeeinheiten in den Süden des Landes gibt es offenbar nicht.
Das ist nur ein Problemfeld, das künftig den Bestand der Waffenruhe gefährden könnte. Noch schwerwiegender könnte werden, dass Israel sich »das Recht vorbehält«, weiterhin Hisbollah-Kämpfer anzugreifen, die sich südlich des Flusses Litani aufhalten, der rund 30 Kilometer nördlich der israelischen Grenze fließt. Die US-Regierung, die als zentraler Vermittler in den Verhandlungen auftrat, hat der israelischen Seite für so begründete Angriffe im Voraus grünes Licht gegeben. Realistisch betrachtet hängt unter dieser Voraussetzung die Dauer der Waffenruhe vor allem davon ab, ob die israelische Regierung sich daran halten will.
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