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Den Ball ins Rollen gebracht

Kolumne von Mumia Abu-Jamal
Von Mumia Abu-Jamal
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Vom englischen Dichter William Wordsworth (1770–1850) stammt die Zeile: »Des Mannes Vater ist das Kind« aus seinem Gedicht »Mein Herz springt auf«. Selten traf eine solche Aussage derart zu wie auf das wilde und rebellische Leben von Ralph Poynter.

Poynter, ein Mitglied der »Black Panther Party« und der »Black Liberation Army«, ist vor allem als der Mann bekannt, der am härtesten für die Befreiung seiner inhaftierten Frau, der radikalen New Yorker Anwältin Lynne Stewart, gekämpft hat. Oft stand er stundenlang allein mit einem Protestplakat vor dem Weißen Haus in der brütenden Sommersonne von Washington, D.C., und forderte ihre Freiheit.

Ein Rückblick auf seine frühen Jahre zeigt ein ungewöhnliches Kind, eines von sechs Geschwistern der Familie Poynter in der kleinen Stahlstadt Vandergriff in West-Pennsylvania, nahe Pittsburgh. Sein Vater, George Poynter, war Organisator der Stahlarbeitergewerkschaft, und der kleine Ralph begleitete ihn dabei bereits im Alter von sechs Jahren. Im Alter von zwölf Jahren spielte er gerne im Schnee, formte Schneebälle und warf sie, so weit er konnte. Eines Tages beobachtete ihn ein anderer Gewerkschafter dabei, und er sagte zu Ralph: »Du triffst ja ziemlich gut mit den Schneebällen!« Ralph antwortete: »Klar. Ich treffe alles, worauf ich ziele, egal wie weit.« Der Kollege bat ihn, ihn auf eine Anhöhe zu begleiten, von der aus man das Stahlwerk überblicken konnte. Dort erklärte er dem Jungen, dass die Gewerkschaft das Werk bestreikte und dass die Arbeiter, die in Lastwagen dorthin gefahren wurden, Streikbrecher waren. Dann bat er Ralph, seine Schneebälle mit Steinen zu bestücken, und Ralph tat das. Ob er diese Steinschneebälle auch auf die Lastwagen vor der Fabrik werfen und ihre Frontscheiben treffen könne, wollte der Gewerkschafter wissen. »Aber sicher!« antwortete ihm der Junge. Fast den ganzen Tag lang warf Ralph seine »Schneebälle« und traf zielsicher. Abends besuchte der Gewerkschaftskollege Ralph zu Hause und erzählte seinem Vater, dass sein Junge maßgeblich zum Erfolg des Streiks gegen das Werk beigetragen hatte.

So unterstützte Ralph Poynter die Gewerkschaft, noch bevor er ein Teenager war. Als er die dritte Klasse der örtlichen Grundschule besuchte, erlebte er, was seine älteren Brüder schon Jahre zuvor hatten erfahren müssen: Dass »farbige Jungen«, wie sie damals genannt wurden, in der Schule oft geschlagen wurden, weil es in der Stadt so wenige Farbige gab. Ralph wurde verprügelt, und seine neue Mütze und seine neue Jacke, die seine Mutter genäht hatte, wurden zerrissen. Als er sah, wie traurig seine Mutter darüber war, beschloss er, sich beim nächsten Mal zu wehren. Als seine Angreifer am nächsten Tag wieder auf ihn losgingen, lief er nicht weg. Statt dessen wehrte er sich heftig und schlug seine Angreifer in die Flucht. Er hatte eine Lektion über Selbstverteidigung gelernt, die Jahre später seine politische Position prägen sollte.

Ralph Poynter in seinen eigenen Worten: »Das Leben von Schwarzen hat noch nie etwas gezählt, außer während der Sklaverei und sonst, wenn aus unserer Arbeit Profit für andere geschlagen wurde. Die moderne Form der Lynchjustiz, deren Opfer zu 80 Prozent Schwarze sind, findet als Todesstrafe hinter Gefängnismauern statt. Und die Polizei vollstreckt als Besatzungsarmee den Lynchmord auf der Straße.«

Ralph Poynter, Stahlarbeiter, Grundschullehrer, juristischer Ermittler für seine Frau, die Anwältin, Gewerkschafter und Revolutionär, ist nach 89 Wintern in Amerika zu seinen Vorfahren zurückgekehrt.

Übersetzung: Jürgen Heiser

Nach einem Bericht des New Yorker »Jericho Movement« ist »Ralph Poynter, langjähriger Kämpfer für die Rechte der Schwarzen und der politischen Gefangenen«, am 25. Dezember 2023 verstorben. Poynter sei »häufig als Redner bei Kundgebungen aufgetreten, bei denen die Freiheit des politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal gefordert wurde«. Er habe den vielen Gefährten und Unterstützern, die in seinen letzten beiden Tagen bei ihm waren, gesagt: »Nun ist es an euch. Setzt den Kampf fort.« (jh)

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