Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2024
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Aus: Literatur (Buchmesse Frankfurt), Beilage der jW vom 16.10.2024
Essayistik

Der lange Marsch in die Kriegszivilgesellschaft

Corona, Ukraine, Gaza – Stefan Ripplinger leistet wichtige Vorarbeiten zu einer Theorie der kulturellen Militarisierung
Von Gert Hecht
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»Kunst im Krieg« heißt das neueste Buch von Stefan Ripplinger. Der Journalist, Übersetzer und Kunstkritiker ist den Lesern der jungen Welt kein Unbekannter, zahlreiche Beiträge hat er in dieser Zeitung bereits veröffentlicht, war in den 90ern ihr Redakteur. Ripplinger ist einer, der noch den feinsten Sprachnuancen nachspüren kann, wenn es beispielsweise um Avantgardelyrik von Stéphane Mallarmé bis heute geht. Und er ist auch einer, der gewissermaßen mit dem Hammer philosophiert, wenn es um die politischen Grässlichkeiten der Gegenwart geht. Man könnte zu dem Schluss kommen, beides gehöre zusammen. Bei Ripplinger jedenfalls sind ästhetischer und politischer Sinn kaum zu trennen.

Das bringt uns zum Gegenstand, Ripplingers Buch: »Kunst im Krieg« ist vor allem eine politische Lagebeschreibung in kritischer Absicht, die aber auch ein paar ästhetische Grundsätze mit sich bringt. Zunächst zum Politischen, das den Großteil des Buches ausmacht und das hier – weil es in seiner historischen Periodisierung so grundsätzlich ausfällt – ausführlich referiert werden soll. Ripplinger geht davon aus, dass die »Zeitenwende« in der deutschen Politik bereits mit Corona eingesetzt hat. Die Gesellschaft wurde militarisiert, sie ist in den Worten des Philosophen Gunnar Hindrichs eine »Kriegszivilgesellschaft« geworden. Und die Kunst mischt dabei kräftig mit.

Die »Autoritätshörigkeit, die unter Corona eingeübt wurde« hat sich zur »Kriegstüchtigkeit« gemausert, schreibt Ripplinger, »und wie zuvor, unter Corona, applaudierten die Medien sämtlichen Maßnahmen, ja trieben sie an«. Aus dem Krieg gegen das Virus wurde der Krieg gegen den Feind im Inneren und im Osten beziehungsweise Nahen Osten. Politik und Medien unterwarfen sich einer »freiwilligen Selbstgleichschaltung«, Zeitungen übten sich im »Einflößen von Todesangst und Diffamieren von Kritik«, Restriktionen und Repressionen wurden stets mit »höherer Gewalt« begründet. Wir erinnern uns: Das Virus verhandelt nicht. Der Russe verhandelt nicht. Und so weiter.

Ripplingers These ist, dass sich die schockartige Formierung der Gesellschaft, die man unter dem Namen Corona kennt, in einem weit größeren Maße auf die Kultur ausgewirkt hat als bisher gedacht. Weil die Kunst als »nicht systemrelevant« eingestuft wurde, suchte man – befeuert durch staatliche Förderprogramme wie »Neustart Kultur« – für sie einen »systemrelevanten« Auftrag. Und fand ihn schließlich in der Propaganda. Ripplinger schreibt: »Corona stellte so gesehen einen Wendepunkt dar. In dieser Zeit wurde das vorher eher unpersönliche Verhältnis zwischen Staat und Kunst sehr persönlich, aber in der Folge nicht selten schmerzhaft.« Zum Schmerzhaften später.

Als der Bundeskanzler vom ganzen Parlament beklatscht die »Zeitenwende« offiziell machte, kam für die Kultur die Stunde, in der sie sich beweisen musste. Die Ukraine-Fahnen wurden so schnell und massenhaft gehisst, dass es Lieferprobleme beim Nachschub gab. Ein Fahnenmeer als Zeichen der Unterstützung einer menschenfeindlichen Politik, was man freilich – wie zuvor bei Corona – als menschenfreundliche Solidarität ausgab. Und auch sonst ließ man sich nicht lumpen und schmiss kurzerhand alles aus dem Programm, was verdächtig russisch daherkam, während man dem letzten nationalistischen Mist eine Bühne bot, solange der sich mit blau-gelben Blumen schmückte.

»Kulturpolitik wird zur Militarisierung. Treiber dieser Entwicklung sind – das ist die Ironie der Geschichte – international, nicht national gesinnte Kräfte«, schreibt Ripplinger. Also »feministische Außenpolitik« statt »Stahlhelmfraktion«. Das gilt auch für den Kulturbetrieb, wo die globale Hipsteravantgarde ihr gesamtes Phrasenarsenal an Machtkritik zum Einsatz an die Heimatfront gekarrt hat. »Der Bevölkerung, die die Kosten des Krieges zu erbringen hat, ohne an der Beute beteiligt zu werden, müssen wahre Schreckbilder des Gegners gemalt werden«, führt Ripplinger aus. »Das ist von jeher die Stunde jener Soft Power, die man ›Kultur‹ nennt.« Und die lieferte.

Wohin man schaut, überall in der Kunst wird der ukrainischen Nationalismus idealisiert, konstatiert Ripplinger. Das hat Folgen. »Die entschlossene Identifizierung mit einer chauvinistisch gewordenen Nation führte zum Rückfall der deutschen Bourgeoisie in längst überwunden geglaubte chauvinistische und vormoderne Muster.« So richtet sich der Eifer der Kulturfunktionäre darauf, die ukrainische Kunst noch nachträglich aus dem »Vielvölkergefängnis« der Sowjetunion zu befreien. Dass »man die über Jahrhunderte eng verflochtene Kultur der Ukrainer und der Russen entlang ethnischer Linien separierte«, nennt Ripplinger ein »wahres Verbrechen wider den Geist«.

Doch so sehr sich der Kulturbetrieb aus staatlicher Sicht an der Ostfront bewährte, so unsicher schien er plötzlich beim Thema Nahost zu sein. Nach dem von der Hamas geplanten und mit ihren Verbündeten begangenen Massaker in Israel und der anschließend einsetzenden Verheerung des Gazastreifens durch das israelische Militär, fühlte sich das deutsche Staatspersonal berufen, den Antisemitismus dadurch zu bekämpfen, in dem man Kultur und Wissenschaft im Sinne der unter Corona erfundenen »verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates« unter Generalverdacht und Aufsicht stellte. Die Klauseln, die womöglich gar den Inlandsgeheimdienst »Verfassungsschutz« mit der Gesinnungsüberprüfung beauftragen könnten, werden zur Zeit parteiübergreifend ausgearbeitet.

»Wie kam es, dass ausgerechnet die unter Corona stillgestellte, im Ukraine-Krieg zur Fahne gezwungene Kunst den Opinion Leaders im Gazakrieg einen solchen Ärger bereiten konnte?« fragt sich Ripplinger. Man könnte natürlich ebenso fragen, warum der Kulturbetrieb, der in der Coronazeit eilfertig die Gängelung von Künstlern und Publikum unterstützt hat und bei der Abfeierei der Ukrainepolitik ganz vorne mit dabei war, erst den Mund aufbekommt, sobald es um Israel und Palästina geht. Vermutlich war zuvor die FFP2-Maske im Weg. Wie auch immer, die staatlich und medial befeuerte Cancel Culture hatte einen neuen Anlass gefunden, wie Ripplinger an vielen Beispielen zeigt.

»Hatte sich bereits im Streit um die Documenta fifteen gezeigt, dass der Vorwurf des Antisemitismus eine politische und historische Auseinandersetzung verhindern sollte, wurde das im Streit um den Gazakrieg unübersehbar«, schreibt Ripplinger. Selbst die Forderung nach einem Waffenstillstand wurde in diesem Streit bereits als antisemitische Parole gelabelt, was die Aufklärung über Antisemitismus, der sich sowohl unter Befürwortern wie Gegnern des Gazakrieges finden dürfte, letztendlich sabotiert statt befördert. Folgt man Ripplinger, zeigt sich nun erst die schmerzhafte Seite der direkteren Abhängigkeit des Kulturbetriebs von der allgemeinen »Staatsräson«.

»Corona, Ukraine, Gaza – in drei Konflikten vollzog sich eine grundlegende Transformation der deutschen Gesellschaft«, so lautet Ripplingers politische Großanalyse. Das habe vor allem mit einer »Verschiebung in der Klassenstruktur« zu tun. Diese sei die Voraussetzung für »politische und kulturelle Umwälzungen«, die zu einem sich »als Kulturkampf äußernden innerbürgerlichen Konflikt« zwischen alter und neuer Bourgeoisie mit »grünlicher Führungsklasse« führen. Die Formierung und Militarisierung der Gesellschaft zeigt sich in der Kultur, so Ripplinger. »Kunst im Krieg« versteht er in diesem Sinne als Vorarbeit zu einer »Theorie der kulturellen Militarisierung«.

Zuletzt wagt Ripplinger noch einen Ausblick, wie sich die neue Lage in der Kunst selbst widerspiegelt. Auf die Indienstnahme der Kunst durch die Politik reagiere diese, wie bei der Documenta (für ihn ein Positivbeispiel), mit Aktivismus und Absage an die Autonomie. Wa­rum nun die »Entkunstung« der Kunst, die ja die Voraussetzung der von Ripplinger kritisierten Verwandlung in Propaganda ist, genau davor schützen soll, wird allerdings nicht recht deutlich. Am Ende bleibt wohl nur die Hoffnung, dass es anders sein könnte als Ripplingers eigene Analyse nahelegt. »Die Kunst, die sich so oft zur Handlangerin der Schlächter gemacht hat, stellt sich auf die Seite der Deserteure.« Schön wäre es ja.

Stefan Ripplinger: Kunst im Krieg. Kulturpolitik als Militarisierung. Papyrossa-Verlag, Köln 2024, 135 Seiten, 15 Euro

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