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Aus: Literatur (Buchmesse Frankfurt), Beilage der jW vom 16.10.2024
Literatur

Um Liebe geht es auch

Dickes Ding: Frank Schulz’ erstaunlich politischer Roman »Amor gegen Goliath«
Von Norman Philippen
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Frank Schulz einen Klimakata­strophen- und Pandemieprofiteur zu nennen, kommt man nicht umhin. Hatte der ewige Dorfie aus Hagen (unzutreffende Selbszbezichtigung) doch eigentlich angenommen, als Romancier auserzählt zu haben, als erst Gretha, dann COVID und ihm schließlich die Idee mit dem Cupido kam. »Ich wollte eigentlich«, erzählte er jüngst im FAZ-Bücherpodcast, »nur noch Kurzgeschichten schreiben, und dann kam dieses Ding.« Was für’n Ding? Ein dickes, sein mittlerweile elfter Roman »Amor gegen Goliath«. Genaugenommen kam vor Gretha erst Karen Duve und ein Schlag in Schulz’ Magengrube und dann das Ding, aber das hören Sie mal selber nach.

Im Dings, Roman, dem dicken, geht es jedenfalls um ein paar Leute aus Hamburg und Osnabrück und was die so machen zwischen hauptsächlich Herbst 2019 bis 2021, ein bisschen auch 2024, etwa die Pandemie durch und Urlaub auf Kreta. Um Liebe geht es auch. Immer.

Nun ist Plot nicht gleich Inhalt von ein’ Buch, schon gar nie bei Schulz. Der seinen Gesellschaftsroman längst konzipiert und im Aufschreiben fortgeschritten war, als COVID kam, um zu bleiben. Also bedurfte es der Umplanung, musste ein Jahr mehr Erzählzeit und zwischen die zwei (!) Prologe noch ein drittes Buch im Buch her. Erzählstränge gibt es derer auch drei. Erstens den um den – von zwei, drei Leuten aus Schulz’ Umfeld und ca. 16 Prozent von der eigenen, Schulz’, Persönlichkeit inspirierten – Don Juanesken, narzisstisch-quietistisch-zynischen »Premium-Hirsch«, über den geschrieben steht:

»›Mein Name‹, beginnt der Mann, als parodierte er Bourgoisjargon – ein Taschenspielertrick, um den Hochstatus des geheimnisvollen Unbekannten, ebenso demonstrativ wie bescheiden, opfern zu können (für ein noch höheres Ziel, versteht sich) – ; ›ist Büttner, Doktor phil. Philipp Büttner. (Zweiundfünfzig bis, Anm. d. Rez.) Vierundfünfzig Jahre alt, stellungsloser Zeitschriftenredakteur. Verlobt. Geboren und wohnhaft in, genau: Hamburg.‹«

Zweitens den Strang, um dessen sozusagen Antagonisten Patrick »Ricky« Kotten­peter, zehn Jahre jünger als Büttner, Musiker/Komponist/Produzent aus Osnabrück-Sonnenhügel, der – er kann selbst nicht so genau sagen, warum: »O Magenbass des Grauens, o Tinnitus des Herzens, o Ohrwurm des Darmhirns …« –, ­quasi ein »Resonanzkörper« für die Kakophonie der Klimakatastrophe/Pandemie ist und von einer mittelschweren in eine schwere Depression abrutscht. Der eine Frau, Cathrin/Cathie hat, die sozusagen wiederum Rickys Antagonistin ist – »(ja, fröhlich, das ist es, was sie ist: eine intelligente, neofeministische Frau von herzerwärmender, altmodischer Fröhlichkeit).«

Schulz’ Grundidee, so, qua gewitzte Verquickung der Erzählstränge, zwei (und mehr) Typen und deren individuelle Reaktion auf den Impact der Klimakrise/-katastrophe gegeneinanderzustellen und wiederum aus diesen Konstellationen weitere Einsichten über der gegenwärtigen »Sattelzeit« Verheerungen zu gewinnen, ist von diesem, Schulz’, aufs Meisterlichste umgesetzt in »Amor gegen Goliath«.

Der dritte Erzählstrang bietet einen etwaigen Ausweg aus der Misere an, der in Teilen und ansatzweise bereits dem Buchtitel abzulesen ist. Das Buch ist trotz des eigentlich dunklen Sujets keineswegs eine Dystopie geworden, sondern, vermittels Fokus auf die Gegenwartsgesellschaft und individuellen Psychen und Mentalitäten der Protagonisten, auch eine Art Liebesroman. Ein, und das ist neu beim laut Selbstauskunft (vor dem ihm von Karen Duve versetzten Schlag in die Magengrube = Klimaschock) »eher unpolitischen Vogel« Schulz, auch dezidiert politischer Roman. Sowie, und das wiederum ist total schulztypisch, ein großer Wurf in Sachen kunstvoller Abschweifung. Die in diesem Fall ermöglicht, die Kämpfe um und Reaktionen auf die Krise(n) in allen möglichen Formen des gesellschaftlichen/wissenschaftlichen/medialen/individuellen Diskurses durchzuspielen. Mittels einer Meise, eines Baumes und eines Felsens gar mit Blick auf Fauna, Flora und Mineralisches.

COVID sei Dank, fand Schulz überdies noch die Zeit, den Schreibprozess auch mal, und fast in Echtzeit, anzureichern, indem er Gutteile eines echten wissenschaftlichen Vortrags, von (fiktiven) Leugnervideos oder eines ausführlichen Youtube-Talkformats zu paraphra- und transkribieren. Schulz ist also, man kann nicht umhin, ihn so zu nennen, ein Klimakatastrophen- und Pandemieprofiteur. Und unsereins, liebe Leser, kann es ihm nachtun, indem wir dessen, Schulz’, dickes Ding lesen.

Das am Ende was geworden ist? Ein großer Gesellschaftsroman der Jetztzeit? Ja. Vielleicht auch der lange antizipierte Coronaroman. Sowieso und auch. Ein/sein Meisterwerk? Genau.

Frank Schulz: Amor gegen Goliath. Galiani-Verlag, Berlin 2024, 752 Seiten, 32 Euro

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