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Aus: Ausgabe vom 07.11.2025, Seite 4 / Inland
Kampagne

Rechter Feldzug

Die Linke: Anhaltende Kampagne gegen Beschluss der Linksjugend. Vorstand macht rechtem Flügel Zugeständnisse, will aber »Geschlossenheit«
Von Nico Popp
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Auf Kollisionskurs? Linksjugend-Block bei der jüngsten palästinasolidarischen Großdemo in Berlin (27.9.2025)

Ganz klar ist es vorerst nicht, ob in der Linkspartei gerade eine echte Offensive der ultraangepassten rechten Strömung anläuft oder lediglich eine der periodischen Medienkampagnen mit dem Ziel der allgemeinen Disziplinierung stattfindet, die von den einschlägigen innerparteilichen Akteuren gefüttert wird. Eindeutig unterscheiden lässt sich das wegen der eingespielten Arbeitsteilung ohnehin nicht – und die politischen Resultate sind sowieso austauschbar. Seit Wochenbeginn sind verschiedene Medien bemüht, eine »Krise« der Partei herbeizuschreiben: Bild will »Furcht vor einer neuen Spaltung« und »die schwerste Krise seit der Abspaltung von Sahra Wagenknechts BSW« festgestellt haben, der Tagesspiegel führt Klage über einen »regelrechten Rachefeldzug«, den »israelfeindliche Strömungen in der Partei« begonnen haben sollen.

Der Modus erinnert an den angeblichen »Antisemitismuseklat«, der im Herbst 2024 Gegenstand einer Kampagne wurde, nachdem die bis dahin im Berliner Landesverband tonangebende Gruppe um Klaus Lederer beim Landesparteitag mit einem Antrag zum Thema Antisemitismus und Nahostkonflikt aufgelaufen war. Die Operation erweist sich als echter Rohrkrepierer, weil bei der damals an der Integration aller Strömungen interessierten Mehrheit der ums Überleben kämpfenden Partei diese Querschüsse nicht gut ankamen. Wenig später trat Lederer mit einigen anderen prominenten Parteirechten aus der Linkspartei aus.

Den Ausgangspunkt für die neuerliche Kanonade bildet nun zum einen der Bundeskongress der Linksjugend am vergangenen Wochenende, bei dem die Teilnehmer mit großer Mehrheit einen Antrag beschlossen haben, in dem sich der Verband attestiert, »versagt« zu haben, indem etwa versäumt wurde, »den kolonialen und rassistischen Charakter des israelischen Staatsprojekts« anzuerkennen und die »Verbrechen des israelischen Staats« zu verurteilen. Der Vorgang sei die »endgültige Wende zum antizionistischen Antisemitismus«, donnerte die Welt. Kolportiert wird in diesem Zusammenhang von verschiedenen Medien, dass Vertreter der proisraelischen Minderheit am Rande des Kongresses bedroht oder unter Druck gesetzt worden seien.

Die Linksjugend wurde noch vor wenigen Jahren von »antideutschen« und anderen rechten Netzwerken dominiert. Mit diesem Kongress scheint auf der Bundesebene diese Auseinandersetzung zugunsten linker Kräfte entschieden worden zu sein. Die Berliner Linksjugend, die den jetzt skandalisierten Antrag eingebracht hat, freute sich jedenfalls in einer Auswertung über den »endlich konsequent linken und antiimperialistischen Bundessprecher:innenrat«.

Das zweite Moment, das hier eine Rolle spielt (und offenkundig mit den Entwicklungen bei der Linksjugend in Zusammenhang steht), ist die wachsende Unruhe des Linkspartei-Establishments ob des als Problem betrachteten Umstandes, dass der gefeierte Mitgliederzustrom in den vergangenen zwölf Monaten auch Mitglieder in die Partei gebracht hat, die auf einer opportunistischen Linie – für deren Durchsetzung das Thema Israel eine entscheidende Rolle spielt – nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten integrierbar sind.

Aktuell zeichnet sich ab, dass der derzeit von der Bundesschiedskommission überprüfte Parteiausschluss des palästinasolidarischen Aktivisten Ramsis Kilani zur Machtfrage stilisiert wird. Der Tagesspiegel wusste unter Berufung auf seine Gewährsleute in der Partei zu berichten, dass inzwischen »vollkommen offen« sei, ob die Schiedskommission den Ausschluss bestätigt – dass der Ausgang des Verfahrens »offen« ist, so der Unterton, ist eine schlimme Sache. Ein anonymer Bundestagsabgeordneter soll gedroht haben, dass »das Maß des für mich Aushaltbaren langsam erreicht« sei, wenn Kilanis Parteimitgliedschaft wiederhergestellt wird.

An dem Beschluss der Linksjugend hat sich zunächst nahezu ausschließlich die harte Rechte der Partei abgearbeitet – ein Indiz dafür, dass sich das Interesse, daraus einen Großskandal zu machen, auf diese Strömung beschränkt. Benjamin-Immanuel Hoff, der ehemalige Chef der Thüringer Staatskanzlei, sprach von einem »Beschluss im Fahrwasser des israelhassenden Antiimperialismus«. Die Linke-Landesverbände in Thüringen und im Saarland distanzierten sich in Stellungnahmen von dem Beschluss. Die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau schrieb auf der Plattform X, die Partei stehe »vor einer prinzipiellen Entscheidung«. Gegenüber Bild sagte ein Sprecher der proimperialistischen »Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom«, die Partei sei »in Aufruhr« und stehe am »Scheideweg«.

Eine am Donnerstag verbreitete Erklärung der beiden Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken – das Resultat einer Sondersitzung des Parteivorstandes vom Abend zuvor – macht diesen Akteuren erhebliche Zugeständnisse. Kritisiert wird darin zunächst der Umgang mit der Minderheit bei dem Bundeskongress. Mit Vertreterinnen des Jugendverbandes sei vereinbart worden, dass der Verband »die Vorgänge umfassend aufarbeitet und Schlüsse daraus zieht«.

Dann wird ausdrücklich festgestellt, dass der von rechts attackierte Beschluss »inhaltlich nicht mit den Positionen der Linken vereinbar ist«. Darüber habe es im Vorstand »sehr breite Einigkeit« gegeben. Allerdings endet die Stellungnahme mit einem Verweis darauf, dass man nur mit »Geschlossenheit« gewinnen könne – das rechte »Scheideweg«-Szenario wird also nicht direkt bedient. Ob das so bleibt, wird sich bald zeigen: Auch beim Landesparteitag der Berliner Linkspartei am 15. November stehen Anträge zur Abstimmung, die von rechts als »antisemitisch« denunziert werden.

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