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Aus: Ausgabe vom 21.10.2025, Seite 3 / Ausland
Krieg in Syrien

Widersprüche ausnutzen

Die US-Strategie in Syrien zielt auf ein geeintes, aber schwaches Land. Das Offenhalten interner Differenzen soll äußere Interventionen erleichtern
Von Tim Krüger
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US-Diplomat Tom Barrack (2. v. l.) und Syriens Übergangspräsident Ahmad Al-Scharaa (3. v. l.) in Damaskus (29.5.2025)

Es gab noch nie Frieden. Es wird wahrscheinlich nie Frieden geben«, tönte Tom Barrack, Sondergesandter der USA für Syrien, im September in einem Interview über seine Arbeit im Mittleren Osten. Aussagen wie diese zeigen, in welchem Umfeld sich der Diplomat wähnt, der zugleich Botschafter in der Türkei ist.

Dass die USA den Mittleren Osten noch nie aus dem Blickwinkel eines Friedensstifters betrachtet haben, sondern als Spielfeld eigener Machtprojektion und wirtschaftlicher Optionen, hat sich auch nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad im Dezember 2024 nicht geändert. Syrien, das schon durch seine geographische Lage eine zentrale Position im Mittleren Osten einnimmt, war für die USA schon immer von besonderer Bedeutung. Die jahrzehntelange enge Allianz des vorherigen Regimes mit Russland war Washington ebenso ein Dorn im Auge wie der iranische Einfluss im Land, der sich seit den 2000er Jahren mit dem Aufbau der sogenannten Achse des Widerstands stark ausgeweitet hatte. Das Land war zu einem zentralen Dreh- und Angelpunkt der zwei größten Gegenspieler der USA und deren engstem Verbündeten Israel in der Region geworden. Die schnelle Unterstützung der USA für die teilweise islamistischen Aufständischen gegen Assad ab 2011 war also keine Überraschung.

Auch die Unterstützung für die HTS-Regierung unter Ahmed Al-Scharaa nach dem Sturz von Assad ist eine logische Konsequenz dieser strategischen Ausgangslage. Schon 2022 hatte der US-Thinktank Hoover Institution in einem Bericht die eher rhetorische Frage gestellt, ob die USA sich überhaupt gegen eine Übernahme ganz Syriens durch die Dschihadistenallianz HTS stellen sollten. Denn die Haltung der HTS gegen den iranischen Einfluss in Syrien und die sogenannte Achse des Widerstands war ja bekannt. Seit Dezember befinden sich die USA in der komplexen Situation, mehrere ihrer Verbündeten in Syrien – etwa die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte in der nordostsyrischen Autonomieregion und die neuen islamistischen Herrscher in Damaskus – an einen Tisch bekommen zu müssen, zeitgleich aber verhindern zu wollen, dass aus dem Land wieder ein eigenständiger Akteur werden könnte, der sich unabhängig von den USA und Israel positioniert.

So ist Barrack seit seinem Amtsantritt bemüht, einerseits Syrien so zu stabilisieren, dass es für US-Investoren nutzbar wird. Andererseits liegt sein Bestreben darin, dass das Land innerlich so gespalten bleibt, dass es sich eben gegen diesen Zugriff ausländischen Kapitals oder auch die israelischen Vorstöße auf sein Territorium nicht wehren kann. Während die Regierung in Damaskus auf ein zentralistisches Staats- und Regierungsmodell pocht und davon abweichende Meinungen als Separatismus bezeichnet, betonen Vertreter ethnischer und religiöser Minderheiten wie Kurden, Drusen und Alawiten die Notwendigkeit eines föderalen Staatsaufbaus und bestimmter Autonomierechte. Barrack weiß diesen Widerspruch auszunutzen.

Kurz vor den Massakern von Regierungstruppen an der drusischen Minderheit in der südsyrischen Provinz Suweida im Juli erklärte der US-Sonderbeauftragte gegenüber CNN Türk: »Es kann keine Struktur geben, in der drusische Kräfte sich als Drusen präsentieren, alawitische Kräfte als Alawiten, kurdische Kräfte als Kurden und so weiter. Es wird eine einzige Struktur geben.« Während sich auch die Minderheiten bis zu diesem Zeitpunkt einer Vereinigung der Streitkräfte nie verweigert hatten, wertete die Regierung solche Äußerungen als grünes Licht, die drusischen Verteidigungskräfte anzugreifen, um die Vision eines zentralistischen Syriens mit Gewalt durchzusetzen.

Dieser Versuch scheiterte nicht nur am Widerstand der Drusen, sondern lieferte zugleich dem US-Verbündeten Israel den perfekten Vorwand, den drusischen Einheiten militärisch zur Seite zu springen. Ziel Israels war es dabei, die eigene Einflusssphäre im Süden Syriens auszuweiten und der Regierung klarzumachen, dass ihr Agieren von der Zustimmung des Nachbarlandes abhängig sei. Die im Anschluss begonnenen Gespräche zwischen Damaskus und Tel Aviv sind ein Indikator dafür, dass diese Rechnung aufgegangen ist.

Eine ähnliche Strategie scheint Barrack auch in der Frage der Autonomieregion im Nordosten des Landes anzuwenden. So drängt er auf eine Einigung mit Damaskus, wobei er darauf achtet, dass eine solche ohne eine tatsächliche Aussöhnung der Regionen vollzogen wird. Es geht also um ein oberflächlich geeintes Syrien, dessen innere Widersprüche ungelöst bleiben, so dass äußere Interventionen vor allem durch die USA und Israel weiterhin möglich bleiben, um das Land auf der gewünschten Linie zu halten.

Dass von einer solchen Situation auch die ehemaligen Verbündeten Assads, Russland und der Iran, profitieren könnten, scheint Washington kaum zu beunruhigen. Deren Einfluss im Land hatte sich innerhalb eines Jahres rapide verschlechtert. Während der Iran mit dem Zusammenbruch eines Großteils seiner Verbündeten konfrontiert ist, geht Russland pragmatisch vor und scheint sich mit der weiteren Nutzung seiner Marine- und Luftwaffenbasis in Latakia zufriedenzugeben. Schon kurz nach dem Sturz von Assad hatte sich Russlands Vizeaußenminister Michail Bogdanow mit Al-Scharaa getroffen. Nach einem regen diplomatischen Verkehr kam es zuletzt nicht nur zum Treffen zwischen Putin und dem syrischen Präsidenten in Moskau, sondern auch zwischen hochrangigen militärischen Vertretern der beiden Länder.

Hintergrund: Integration der SDF in die Armee

Nach mehreren Treffen zwischen den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und der syrischen Übergangsregierung in Damaskus ist es nach Angaben des Oberkommandanten der SDF, Mazlum Abdi, vergangene Woche zu einer Einigung über einen Integrationsmechanismus gekommen. Die bisher mündliche Verständigung sehe vor, dass die SDF künftig als geschlossene Einheit innerhalb der syrischen Armee agieren werde.

Neben der militärischen Integration sei zudem die Beteiligung von erfahrenen SDF-Kommandanten an hochrangigen Positionen im syrischen Militär sowie im Verteidigungsministerium geplant. Eine Kommission werde die Integration auf rechtlicher sowie auf operativer Ebene begleiten. Die Regierung in Damaskus äußerte sich bislang nicht zu den Berichten.

Bei den Verhandlungen zwischen Damaskus und der Selbstverwaltung im Nordosten Syriens steht weiterhin die Schaffung eines demokratischen und dezentral regierten Syriens im Mittelpunkt. Insbesondere vor dem Hintergrund der Massaker in Latakia und Suweida sei die gleichberechtigte Behandlung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen unabdingbar für eine »landesweite Stabilität«, so Abdi.

In einer ersten Absichtserklärung zwischen Abdi und dem syrischen Präsidenten Ahmed Al-Scharaa vom März war die Gewährleistung der Teilhabe von verschiedenen Bevölkerungsgruppen am politischen Geschehen festgeschrieben worden. Die Kommandantin der kurdischen Frauenverteidigungseinheit YPJ, Rohilat Afrin, betonte, dass die Teilhabe von Frauen am politischen Prozess nicht verhandelbar sei. Die YPJ werde weiterhin ihre Autonomie beibehalten.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan äußerte sich vergangene Woche ebenfalls positiv über die Integration der SDF in die syrische Armee. Eine diesbezügliche Einigung in Syrien könnte positiven Einfluss auf den laufenden Friedensprozess mit der kurdischen Guerilla in der Türkei haben. (tk)

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