Bolivien wird ausgeliefert
Von Volker Hermsdorf
Bolivien steht vor einem Kurswechsel in Wirtschaft, Sozial- und Außenpolitik. Bei der Stichwahl um das Amt des Präsidenten setzte sich der US-freundliche rechte Kandidat Rodrigo Paz Pereira von der Christlich-Demokratischen Partei (PDC) am Sonntag mit 54,5 Prozent der Stimmen gegen seinen ultrarechten Kontrahenten Jorge »Tuto« Quiroga durch. Damit endet die Ära der Bewegung zum Sozialismus (MAS), die im August nach internen Spaltungen eine historische Niederlage hinnehmen musste. Sie hatte das Land unter den Präsidenten Evo Morales (2006–2019) und Luis Arce (2020–2025) für zwei Jahrzehnte geprägt. Zugleich bahnt sich ein dramatischer Bruch mit den in dieser Zeit erreichten sozialen Errungenschaften und einer auf die lateinamerikanische Integration zielenden Außenpolitik an.
Der künftige Staats- und Regierungschef, den viele der gut 7,9 Millionen Wahlberechtigten als das »kleinere Übel« betrachteten, soll am 8. November in der Plurinationalen Legislativversammlung in La Paz vereidigt werden. Im Parlament kann er sich auf eine komfortable Mehrheit stützen. Die rechten Parteien verfügen im Senat über alle 36 Sitze und in der Abgeordnetenkammer über 120 der 130 Mandate. Das verschafft Paz weitreichende Machtbefugnisse. Allerdings wird er sich mit den unterschiedlichen Flügeln der Rechten arrangieren müssen. Doch mit Unterstützung der Kräfte um den unterlegenen Quiroga kann er zentrale Verfassungsprinzipien des unter dem MAS etablierten Plurinationalen Staates aushebeln. Kritiker warnen, dass Paz als Sachwalter wirtschaftlicher Eliten agieren könnte, die eine Rückkehr zum neoliberalen Modell der 1990er Jahre anstreben. Sein Vater, Expräsident Jaime Paz Zamora (1989–1993), und sein Großonkel Víctor Paz Estenssoro prägten bereits das Land. Paz selbst war seit 2002 Abgeordneter, später Bürgermeister von Tarija und zuletzt Senator. Mehrere Bauprojekte aus seiner Zeit als Bürgermeister standen unter dem Verdacht ungerechtfertigter Preisaufschläge und grober Baumängel. Kritisiert wird auch seine Mitgliedschaft in der »Koordination zur Verteidigung der Demokratie«, die 2019 maßgeblich zum Putsch gegen Morales beitrug.
Im Wahlkampf versprach Paz ein Modell des »Kapitalismus für alle«. Sein Regierungsprogramm sieht eine drastische Dezentralisierung vor. Den derzeitigen Staat bezeichnet er als »erstickend«, da dieser 85 Prozent des Budgets kontrolliere. Eine systematische Schwächung der Zentralregierung soll zugunsten regionaler – oft von Rechten dominierter – Machtzentren erfolgen. Die geplante Streichung von umgerechnet 550 Millionen Euro an Staatsausgaben dürfte vor allem soziale Programme treffen, während Subventionsstreichungen bei Treibstoffen die Lebenshaltungskosten explodieren lassen werden. Die angekündigte »Öffnung für private Investitionen« bedeutet de facto zudem die Reprivatisierung strategischer Sektoren und die Auslieferung von Ressourcen an transnationale Konzerne. Der künftige Vizepräsident Edman Lara – ein wegen Disziplinarverfahren entlassener Expolizist – steht für einen autoritären innenpolitischen Kurs.
In der Außenpolitik kündigte Paz eine Annäherung an die USA an, mit denen Bolivien seit 2008 nur noch Beziehungen auf Geschäftsträgerebene pflegte. US-Außenminister Marco Rubio begrüßte die Wahl als »transformative Chance« nach »zwei Jahrzehnten fehlgeleiteter linker Regierungen«. Der argentinische Präsident Javier Milei feierte den »Eintritt Boliviens in die freie Welt« und das Ende des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Auch die rechten Regierungschefs José Raúl Mulino (Panama), Daniel Noboa (Ecuador) und José Jerí (Peru) gehörten zu den ersten Gratulanten. Der noch amtierende Präsident Arce wünschte Paz »viel Erfolg« für seine zukünftige Regierung. Dagegen bekundete Morales Widerstand. Bereits im August hatte er gegenüber AFP versichert, »auf den Straßen zu kämpfen«, sollte die Rechte an die Macht kommen. Soziale und indigene Bewegungen bereiten sich auf eine neue Phase zur Verteidigung der unter dem MAS erreichten Sozialprogramme und kulturellen Rechte vor.
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