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Aus: Ausgabe vom 21.10.2025, Seite 6 / Ausland
Mongolei

Korruption ohne Ende

Mongolei: Nächster Premierminister zurückgetreten. Im Hintergrund steht ein Machtkampf zwischen Reformern und Oligarchie
Von Eike Andreas Seidel
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Kaum im Amt, darf der mongolische Premier Dsandanschatar gleich wieder seinen Hut nehmen (Wladiwostok, 4.9.2025)

Nach nur vier Monaten im Amt ist der im Juni neugewählte Ministerpräsident der Mongolei, Gombodschawyn Dsandanschatar, am Freitag zurückgetreten. Das Parlament hatte ihm die Unterstützung entzogen und für seine Abberufung gestimmt, weil Dsandanschatar versucht hatte, an der Volksvertretung vorbei einen neuen Justizminister zu berufen. Sein Vorgänger Luwsannamsrain Ojuun-Erdene war im Juni ebenfalls nach dem Verlust des parlamentarischen Rückhalts wegen Korruptionsvorwürfen und sozialer Proteste zurückgetreten. Gleichzeitig mit Dsandanschatar legte auch Parlamentspräsident Daschsegwijin Amarbajasgalan sein Amt nieder. Die beiden sind wie Ojuun-Erdene Mitglieder der mit überwältigender Mehrheit regierenden Mongolischen Volkspartei.

Wie eine eiternde Wunde bestimmt der in der Mongolei nie aufgeklärte Skandal um den Diebstahl von Kohle im Wert von mehreren hundert Millionen US-Dollar seit 2022 die mongolische Politik. Und das waren nicht Ladungen irgendwelcher Lkw, die sich in der Südgobi aus dem von ihnen aufgewirbelten Staub gemacht hätten. Aufgeflogen ist der Diebstahl durch die Entdeckung einer Differenz zwischen den Statistiken der VR China über Kohleimporte und den offiziellen Angaben über Einnahmen aus dem Kohleexport der Mongolei. In der VR China wurden mehrere Täter hingerichtet. Die Liste der an dem Raub beteiligten Mongolen ist nicht öffentlich – sie bleiben bis heute im Nebel.

Manam, Nebel – so wird in der Mongolei das System der Oligarchen genannt, die sich seit der »Wende« 1990 am Volksvermögen bereichern, indem vor allem Bodenschätze an internationale Gesellschaften mit reichlichem Privatgewinn vertickt werden. Manam ist auch ein Kunstwort aus den Abkürzungen der beiden das Parlament bestimmenden Nachfolgeparteien der sozialistischen Einheitspartei, der Mongolischen Volkspartei (MAN) und der Demokratischen Partei (AM). Doch eine immer größer werdende gebildete Schicht, die für sich angesichts von Inflation und Erwerbslosigkeit keine Perspektive im Land sieht, organisiert sich in eigenen Parteien, die bei den letzten Wahlen insbesondere in den großen Städten nach einer Überarbeitung des Wahlrechts in Richtung Verhältniswahl einige Parlamentssitze gewinnen konnten. Die Widersprüche in der mongolischen Gesellschaft brechen auch in der regierenden MAN auf. Ausdruck davon sind die kurz aufeinanderfolgenden jüngsten Regierungswechsel.

Schon wird spekuliert, wie eine neue Regierungskonstellation aussehen könnte: Gehandelt wird der gerade zurückgetretene Parlamentspräsident Amarbajasgalan als Premier, der die Gegner des zurückgetretenen Dsandanschatar um sich scharen und gleichzeitig einige seiner Gefolgsleute mit Posten bei der Stange halten könnte. Im Hintergrund stehen Exministerpräsident Ojuun-Erdene und sein ehemaliger Innenminister Chischgeegiin Njambaatar. Letzterer war 2022/2023 ein Wortführer der durch den Kohlediebstahl befeuerten Antikorruptionskampagne, durch die Ojuun-Erdene damals ins Amt kam. Schon damals hatte er Skepsis darüber geäußert, ob Präsident Uchnaagiin Chürelsüch, dessen Amtszeit 2027 endet und der dann laut Verfassung nicht wieder kandidieren darf, und seine seit 2016 regierende MAN in der Lage sind, den »Nebel« endlich zu lichten.

Regen Anteil nehmen in der BRD sowohl die CDU als auch die SPD. Die CDU ist mit der Konrad-Adenauer-Stiftung vor allem mit der seit Jahren ins politische Abseits geratenen und intern heillos zerstrittenen Demokratischen Partei (DP) liiert. Die SPD hat mit ihrer als Konkurrenz und Nachfolge zur Sozialistischen Internationale (SI) von Sigmar Gabriel ins Leben gerufenen Progressiven Allianz (PA) gleich eine ihrer ersten Konferenzen 2017 in Ulaanbaatar durchgeführt und sucht die Zusammenarbeit mit der Mongolischen Volkspartei (MPP). Die MPP ist Mitglied in der SI wie der PA. Teilnehmer der Konferenz der PA waren aus der Mongolei unter anderem die Akteure von heute: Amarbajasgalan, Ojuun-Erdene und Dsandanschatar. Man darf gespannt sein, wie sich der Machtkampf zwischen korrupter Oligarchie und der neuen Generation von Modernisierern entwickeln wird.

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