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Aus: Ausgabe vom 16.10.2025, Seite 1 / Titel
Gesunheitspolitik

Kollaps mit Ansage

Krankenversicherung: Bundeskabinett beschließt »Sparpaket« – und streicht bei Kliniken. Grüne kritisieren »Zickzackpolitik«, Linke fordern Maßnahmen gegen Pharmalobby
Von Oliver Rast
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Medizinische Versorgung am Limit dank folgenreicher Streichliste aus dem Gesundheitsministerium

Sie pfuschen, sie stümpern – oder in vornehm: Sie dilettieren. Am Kabinettstisch. Die Mitglieder der »schwarz-roten« Bundesregierung beschlossen am Mittwoch das »kleine Sparpaket« aus dem Gesundheitsministerium. Ressortchefin Nina Warken (CDU) will so zwei Milliarden Euro »schnell einsparen«. Allen voran bei Kliniken. Und ein bisschen in der Verwaltung der Krankenkassen, ferner beim »Innovationsfonds« für Forschung und Digitalisierung. Alles, um den durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 2,9 Prozent in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stabil zu halten. Für das kommende Jahr jedenfalls. »Wir haben Wort gehalten: Das Defizit in der GKV wird geschlossen«, meinte Warken gleichentags lauthals.

Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen) kontert. Das Sparpaket sei eine Mogelpackung, würde das faktische Defizit der GKV kaschieren, betonte der gesundheitspolitische Sprecher seiner Bundestagsfraktion am Mittwoch gegenüber jW. Stimmt. Der Bundesrechnungshof (BRH) hatte jüngst eine »strukturelle Deckungslücke« in Höhe von sechs bis acht Milliarden Euro errechnet. Jährlich.

Auch sonst, ministerielle Taschenspielertricks. Erst im vergangenen Monat hatte das Kabinett bestimmt, den Klinikbetreibern vier Milliarden Euro aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz auszuzahlen – unter dem Label »Soforttransformationskosten«. Eine verkappte Subventionierung per Gießkanne der Krankenhauslandschaft, kritisierten BRH-Prüfer. Und nun wird den Betreibern von Hospitälern wieder knapp die Hälfte abgeknöpft. Weil sie für die Behandlung von Patienten im nächsten Jahr weniger abrechnen dürfen. Dahmen: »Das ist kein Reformkurs, das ist konzeptlose Zickzackpolitik.«

Das empört gleichfalls den Sprecher für Gesundheitsökonomie der Linksfraktion, Ates Gürpinar, auf jW-Nachfrage. Warken präsentiere eine Streichliste für Kliniken »und lässt dabei die Pharmaindustrie in Ruhe«. Das sei kein Sparen, das sei Klientelpolitik. »Wenn sie die Arzneimittelpreise nicht antastet, dann muss man sich fragen, ob hier das Kabinett regiert oder die Pharmalobby.«

Bereits im Mai hatte der Sachverständigenrat (SVR) Gesundheit und Pflege stark steigende Ausgaben für Arzneimittel beklagt. Sie machten nach der Krankenhausversorgung inzwischen den zweitgrößten Kostenblock in der GKV aus, vor den Ausgaben für ärztliche Behandlungen, so der SVR damals. Das weiß auch Dahmen. Wirkungsvoll wäre etwa »eine befristete Anhebung des Herstellerabschlags auf patentgeschützte Arzneien von derzeit sieben auf 17 Prozent«, fordert der Grünenpolitiker. Damit ließen sich umgehend rund drei Milliarden Euro einsparen. Was sagt die größte Opposition im Bundestag, die AfD? Arzneimittelpreise sollten nicht weiter abgesenkt werden, meinte deren gesundheitspolitischer Sprecher, Martin Sichert, gegenüber jW. Schon jetzt gebe es bei mehr als 500 Medikamenten Lieferengpässe, »eben weil die Preise im internationalen Vergleich in Deutschland nicht besonders hoch sind«.

Zur Gesundheitskrise gehört nicht zuletzt: das Kliniksterben. Seit 2022 hätten 67 Krankenhäuser mit 82 Standorten Insolvenz angemeldet, bemerkte Henriette Neumeyer, Vizevorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), im jW-Gespräch. »Die öffentlich getragenen Kliniken müssen aus den chronisch klammen Kommunalkassen gestützt werden, andere mussten schließen.«

Fraglos, das Gesundheitswesen droht zu kollabieren. Doktern, flickschustern Kabinettsmitglieder weiter herum, werden die Nebenwirkungen: tödlich.

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